Ich bin mal so frei.
Catherine (XBox 360) ... ganz seichte Spoiler.
Okay. Ich gebe "Schnitzler +Catherine" bei Google ein und finde kein einziges Resultat, das irgendwie mit dem Spiel zusammenhängt. Bin ich wirklich der einzige Idiot, der sich nach den verschiedenen Endings gefragt hat, ob Catherine eine lockere Adaption der Traumnovelle ist? Kann ich mir fast nicht vorstellen. Thematisch und vom Aufbau her ist es praktisch dasselbe, nur japanischer, und so ziemlich genau einen Level weiter unten, was den Anspruch angeht ... oder doch auf demselben Level? Hm. Mal sehen.
Ich hatte das "Good Katherine Ending". Es hat mir wirklich gut gefallen, sogar noch einen Tacken besser als die Variante, die eigentlich "perfect" sein sollte. Ich konnte mich damit identifizieren, Vincent war nicht mehr der total dümmlich-unsympathische Vollhorst vom Anfang und Katherine einen guten Tacken weniger psycho (und dazu noch echt süß). Wenn ich mir so überlege, wie die verbleibenden Endings teilweise aussahen, na ja. Gut getroffen. Damit will ich nicht sagen, dass ich sie schlecht fände. Gerade das Freedom Ending hat mich unerwartet getroffen, und sogar die beiden Bad Endings haben einen coolen Abschluss geliefert. Da hat dann auch dieser sonst eher grenzwertige Midnight-Venus-Rahmen ein bisschen zum Gesamtbild beigetragen. Und warum fängt dieser Text hier nun mit den Endings an? Nicht unbedingt, weil wirklich sinnvoll organisierte "Not-so-perfect Endings" ziemlich außergewöhnlich sind, sondern vorrangig deshalb, weil der Abschluss so zentral für die Geschichte und die Inszenierung ist; und weil die Geschichte und die Inszenierung praktisch das Herzblut von Catherine darstellen. Eigentlich fiebert man spätestens ab dem zweiten Tag dem Ende entgegen. Man weiß noch nicht, wie es ausgeht (und das ist durchaus eine Erwähnung wert), aber man will es wissen, und man fragt sich, wie zur Hölle Vincent, dieser Volldiot in Herzchen-Shorts, das Ruder rumreißen soll, oder wo bei allen Göttern das Ganze noch hinführt. Und da hat der ganze Horror gerade erst angefangen. Das Spiel macht tatsächlich so weiter, bis es fast schon in die Screwball-Sparte abrutscht, wo man eigentlich nur noch irgendetwas Hartes vor den Bildschirm werfen will, weil die ganze Zeit über so viel schiefgeht und der Protagonist nur mal ein Paar Eier bräuchte, um die Situation zu klären. Passiert aber nicht, und man HASST es. Aber eigentlich ist das allein ja auch schon eine kleine Kunst, und ziemlich mutig, denn Catherine ist in meinen Augen ganz bewusst kein sonderlich angenehmes Spiel, bis zum Ende zumindest. Wahnsinnig gut gemacht, ja, durchgängig spannend, oh ja! ... aber nicht angenehm. Und wenn wir einmal bei den Sachen sind, die Catherine nicht ist: Es ist auch kein spektakuläres Spiel. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das "gewollt" oder doch eher "nicht so richtig gekonnt" ist, aber dafür, dass Story und Inszenierung doch schon ziemlich intensiv und mit der Zeit auch irgendwo episch werden, hat es verblüffend wenige Höhepunkte, wenige eingängige Szenen. Und wenn es nicht mit so einer krassen Hingabe und Selbstverständlichkeit das wahrscheinlich erste "große" Videospiel wäre, dass sich vielseitig und tiefgehend mit Beziehungen auseinandersetzt, würde man es wohl ziemlich schnell wieder vergessen. So allerdings bleibt es hängen.
Aber noch mal apropos "nicht angenehm": Das Gameplay wirkt beizeiten ein wenig doppelgesichtig. Einerseits hab ich selten ein so gut funktionierendes System gesehen (abgesehen von den Kletteraktionen HINTER dem Turm; wer die verbrochen hat, darf bitte einmal abrutschen), das auch noch echt gut zur Mythologie des Settings passt. Jeder neue Block ist cool durchdacht und ändert die Funktionsweise des Kletterns, ohne aber ständig neue Nerv-Mechanismen ins Spiel zu pumpen. Klasse, gerade in diesem Genre. Auf der anderen Seite pendelt selbst der leichteste Schwierigkeitsgrad zwischen gähnend langweilig und abartig stressig. Klar, bei Bossen soll das Spiel ja etwas anziehen, aber hier war es doch schon irgendwo extrem. Gerade, weil gegen Ende wieder ein paar lächerlich einfache Sequenzen dabei waren, scheinbar einfach aus Trotz. Dazu kommt noch so ein wahnsinniges Gefühl von Höhe, von "hoffentlich bist du schwindelfrei" und von ständiger Panik. Macht das Klettern nicht unbedingt einfacher, rein psychisch gesehen, und zugegebenermaßen ist das abermals eine Kunst. Schon heftig, wie man automatisch Schiss kriegt, weil man weiß, dass es bei den Bossen so richtig los geht. Als Abschluss zum Spielsystem sei auch noch kurz erwähnt, wie organisch der ganze Kleinscheiß in die Story eingebunden ist; das Quatschen in der Kneipe, die Plattformen mit den Traumschafen, die Schmuddelfotos auf dem Klo, sogar der Arcade-Automat und die verdammte Speicherfunktion passen gut ins Bild. Es gibt so überraschend viel Content. Und, oh Gott, dieser SMS-Mechanismus. Klar, Pest und Cholera, abermals nicht angenehm, da irgendwas einzutippen, aber am Ende einfach nur so verdammt gut.
Zurück beim Inhalt sei gesagt, dass das Spiel eine leicht seltsame Konsistenz hat, was die verschiedenen Erzählebenen, ihre Inszenierung und ähnliche Dinge angeht. Glücklicherweise vermeidet es in neun von zehn Fällen unnötige Cheesiness, nicht zuletzt dadurch, dass Vincent die Traumdialoge mit Psycho-Schafen und babylonischen Gottheiten durch seine bodenständige Fuck-you-Mentalität zu einem einzigen Genuss macht. Die anderen Charaktere können auch was. Lediglich Catherine bleibt die ganze Zeit über sehr blass und klischeetreu, Erklärung hin oder her. Und man fragt sich irgendwann, ob es gegen Ende wirklich notwendig gewesen ist, die ganzen "normalen Leute" auf die übernatürliche Ebene zu zerren. Hätte es nicht gereicht, die Beziehung Beziehung und den gefährlichen Horror-Traum gefährlichen Horror-Traum sein zu lassen? Eine psychologische Verbindung hätte in meinen Augen gereicht. Zwar funktioniert das Gesamtbild, aber es entwertet den zentralen Konflikt doch schon so ein bisschen, gerade Vincents "Strategie" in meinem Ending. Der bereits erwähnte Midnight-Venus-Rahmen, der dem erfolgreichen Spieler eine sowieso offensichtliche Interpretation ins Gesicht klatscht, hat dann auch nicht mehr geholfen, so hypnotisierend der Glitzer-Afro der Dame auch ist. Traut euren Spielern doch wenigstens ein Minimalmaß an Auffassungsgabe zu, okay?
Warum fand ich das "Good Katherine Ending" nun eigentlich so toll? Hängt wahrscheinlich wieder mit der Traumnovelle zusammen. Das Ganze hatte einfach ein sehr realistisches, lebendiges Gefühl. Das Leben geht weiter, und obwohl es eindeutig ein "happy" Ending war, muss es nicht zwangsweise auch ein idealisiertes "Happy Ending" sein, mit Traumhochzeit und glitzernder Perfektion. Arthur Schnitzler macht das noch einen Tacken besser, weil er den Konflikt des Paares nicht so clear-cut beendet, sondern das aktuelle "Kapitel" abschließt und deutlich macht, dass die Zukunft eben nicht gesichert ist, nur weil man gemeinsam ein großes Hindernis überwunden hat ("Niemals in die Zukunft fragen"). Es ist zwar schön, dass Vincent keine Angst mehr haben muss, als Rosine aufzuwachen, aber die Metapher mit dem Turm und dem "großen Ziel am Ende" auf eine Beziehung auszuweiten, ist mindestens mutig und wahrscheinlich sogar eine ziemlich destruktive Erwartungshaltung. Vielleicht hätte es ein Ende geben sollen, in dem der Turm eben nicht aufhört, und in dem Vincent trotz allem bereit ist, weiterzuklettern. Wenn das jetzt irgendwie negativ klingt ... Ist nicht so gemeint. Catherine hat einen anderen großen Vorteil, an dem Schnitzler verkackt, denn es ist einfach wunderbar interaktiv (und nutzt sein Medium damit großartig aus). Es gibt ein wirklich offenes Ende, ein deutliches und glücklicherweise vollkommen wertfreies Ausleben verschiedenster Lebenswege. Sie haben sogar an ein gutes Ending ohne direkte Romance gedacht; wie großartig ist das denn bitte? Eigentlich fehlt nur noch die Dreiecksbeziehung.
Definitiv nicht das beste, aber vielleicht eines der (im positiven Sinne) mutigsten japanischen Spiele der letzten Zeit, mit viel Kram, den es sonst viel zu selten gibt. Und wenn man dann noch das optische Design des Spiels, die Musik, diese wahnsinnigen Menüs und den Soundtrack betrachtet, wird ein weiterer Vorteil deutlich: Keine Shin-Megami-Tensei-Coolness für die Traumnovelle. Am Ende ist Schnitzler einfach nicht Atlus.