Ich wollte mal mit einem oft wieder gehörten Vorurteil über Narrativismus aufräumen. So höre ich doch immer wieder, dass Plausibilität von Charakteren etwas ist, das für Sim spricht und bei Nar nicht so wichtig wäre. Das ist absolut nicht richtig.
Bei Nar geht es darum durch das Spiel ein gewisses Thema zu erschaffen. So etwas wie "Liebe ist wichtiger als Karriere". Dazu braucht es natürlich (mindestens) einen Charakter, der durch seine Aktionen in der Geschichte dieses Thema verdeutlicht.
Man braucht also einen Charakter, der gewisse Eigenschaften hat und sich nach diesen Eigenschaften auch plausibel verhält. So wäre im Fall der Frage "Ist Liebe wichtiger als Karriere?" zum Beispiel ein Charakter geeignet, dem sowohl seine Familie wichtig ist (Liebe) als auch seine Karriere. Dieser Charakter sollte sich dann in einzelnen Situationen auch entsprechend so verhalten, d.h. er sollte durch sein Verhalten zeigen, dass ihm Familie und Karriere wichtige sind (woher sonst sollte der Zuschauer bzw. die anderen Spieler das sonst wissen).
Der Knackpunkt von Nar ist nun, dass der Charakter in Situationen gebracht wird, in denen der Spieler entscheiden muss, wie er den Charakter handeln lässt. Und diese Entscheidung darf nicht offensichtlich sein, sonst ist es ja keine richtige Entscheidung. Es ist also klar, dass der Charakter seine Familie und seine Arbeit liebt. Aber was passiert, wenn beide aufeinander treffen? Es ist spät, morgen ist die Präsentation, die über die Beförderung entscheidet, sie ist nicht mal ansatzweise fertig und du hast deiner Frau versprochen mit ihr die Schulaufführung deines Sohns zu besuchen. Was nun? Hier entsteht ein Dilemma, bei dem sowohl die Entscheidung für die Familie als auch die Entscheidung für die Karriere für den Charakter plausibel wären. Schließlich hat es ja zuvor gezeigt, dass er sowohl Familie als auch Karriere liebt. Somit ist die Entscheidung gegen eines der beiden durch die Situation auch völlig verständlich und somit absolut plausibel.
Für Nar ist also Plausibilität der Charaktere mindestens genauso wichtig wie für Sim. Denn wenn der oben genannte Charakter sich unplausible verhalten würde (also plötzlich ohne Grund seinen Job schmeißt oder seine Familie verlässt), wäre das gesamte entstehende Thema im Eimer und es würde nur "Der Typ ist irre" bleiben. Das sind die Stellen in Filmen oder Büchern, wo sich einem die Fußnägel aufrollen und man schreit „warum macht er denn jetzt das?!?“ Das zerstört den gesamten Effekt, die "Message", die hinter dem Charakter steht. Ein unplausibler Charakter kann keine "Message" transportieren, kein Thema erzeugen.
Was aber bei Nar auch sehr wichtig sein kann ist Veränderung. Das heißt, dass sich Charaktere nicht immer konsistent verhalten müssen. Sie sind "lebendige" Charaktere, die sich (allerdings plausibel) verändern. Wenn ein Charakter sich also mehrmals für Überstunden und gegen Familie entschieden hat, muss das noch nicht heißen, dass er dabei bleiben muss. Es muss nur plausibel nachvollziehbar sein, warum er seine Einstellung plötzlich ändern sollte. Wenn die Frau des Charakters also mit gepackten Koffern dasteht und er sein Leben vor dem Abgrund wieder findet, so kann er durchaus durch die Krisensituation eine plötzliche Erleuchtung haben, die seine Einstellung ändert und zu einem Happy-End führt. Klassischer Hollywood-Stoff. "Man sieht es oft nicht und wenn, dann fast zu spät, aber wenn es hart auf hart kommt, ist Liebe wichtiger als Karriere." Das ist plausibel, das ist Nar. Nar ohne Plausibilität geht nicht. Ohne Konsistenz schon, wenn mit Konsistenz nur gemeint ist, dass sich ein Charakter nicht verändern darf. Denn eine gewisse Veränderung des Charakters gehört bei Nar (fast immer) dazu.
Soweit klar jetzt? Oder gibt es dazu noch Fragen?