Ich wollte doch mal was über Opposition (Antagonismus) im Rollenspiel schreiben. Vieles davon gilt auch für eine ganze Reihe von klassischen Rollenspielen, aber eben nicht für jede Variante. Und bevor jetzt jemand kommt und wieder nörgelt, beziehe ich das Ganze nur auf Cooperative Thematic Play (CTP).
Opposition spielt in jeder Geschichte eine zentrale Rolle. Helden werden erst dadurch zu Helden, dass sie Schwierigkeiten und Gegner zu überwinden haben. Dabei ist es auch wichtig, dass der Held manchmal Rückschläge einsteckt. Ein Held, dem immer alles gelingt, wäre schnell langweilig.
Auch für gute (thematische) Geschichten braucht es eine Opposition, an der der Held sich abarbeiten kann. Erst wenn er unter Druck steht und nicht alles haben kann, was er gerne hätte, wird deutlich, was er wählen würde. Durch den Druck der Situation wird die Persönlichkeit des Helden deutlich.
Das gilt nun auch für die Spieler im DAG. Erst dadurch, dass es eine Opposition gibt, kann der Spieler seine Vision vom Charakter umsetzen. Gäbe es keinen Antagonismus, würde der Charakter in der Luft hängen und könnte kein Interesse wecken.
Die Aufgabe die Opposition im Rollenspiel zu übernehmen, fällt meist dem Spielleiter zu. Allerdings lassen ihn viele klassische Rollenspiele mit dieser Aufgabe ziemlich alleine. Der SL muss genau entscheiden, wie viel Opposition er seinen Spielern zumuten kann. Er muss genau sehen, dass die Opposition stark genug ist, damit sie den Spielern genug Halt für die Darstellung ihrer Charaktere gibt, muss aber gleichzeitig genau im Auge behalten, dass die Opposition nicht zu stark wird, um das Spiel nicht vorzeitig zu beenden oder die Spieler ihres kreativen Inputs zu berauben und so zu frustrieren. Dies liegt u.a. daran, dass der SL über "unbegrenzte Macht" verfügt, also beliebig starke Opposition ins Spiel einführen kann. Er hat also einerseits die Aufgabe die Opposition darzustellen, darf aber andererseits nicht alle seine Möglichkeiten nutzen, muss sich also selbst einschränken. Es wohnen also "zwei Seelen ach in seiner Brust".
Der SL steht also ständig vor der Anforderung genau die korrekte Schwierigkeit für die Opposition an dieser Stelle des Spiels zu bestimmen Die Praxis zeigt allerdings, dass es nicht leicht ist, die richtige Schwierigkeit zu treffen. Sehr oft werden Schwierigkeiten unterschätzt, was dann den SL dazu zwingt "zu schummeln", also verdeckt zu würfeln und die Schwierigkeit rückwirkend anzupassen, damit die Spieler nicht frustriert werden. Umgekehrt werden oft Werte (Hit Points u.a.) im Nachhinein erhöht oder zuvor nicht geplante Verstärkung ins Spiel gebracht, wenn sich herausstellt, dass die Opposition zu schwach war. Es ist also mit ganz praktischen Probleme verbunden die beiden widersprüchlichen SL-Aufgaben unter einen Hut zu bringen.
Dass es vielen SL so schwer fällt, die Opposition optimal zu gestalten, liegt auch daran, dass die Regeln die SL bei der korrekten Festsetzung der Opposition fast nicht unterstützen oder beraten. Positivbeispiel ist dabei
D&D, das immerhin mit seinen Challenge Ratings Empfehlungen für die Stärke der Opposition liefert. Aber die meisten anderen "klassischen" Spiele versagen hier.
Eine Lösungsmöglichkeit für dieses Problem möchte ich hier kurz vorstellen:
Das Problem ist ja, dass der SL unbegrenzt starke Opposition erschaffen kann. Erst dadurch entsteht ja das Problem, dass die Opposition zu stark sein kann, wenn der SL seine "unbegrenzte Macht" einsetzt. Eine einfache Lösung des Problems besteht also darin, dem SL etwas von seiner Macht wegzunehmen und ihn nur noch in gewissem Maß Opposition erschaffen zu lassen.
Es mag zunächst komisch klingen, dass es dem SL das Leben erleichtern soll, wenn man ihn in seinen Möglichkeiten einschränkt. So komisch ist es aber nicht, denn je mehr Möglichkeiten man hat, desto schwerer ist die Entscheidung. Hat der SL unbegrenzte Möglichkeiten für Opposition, ist seine Entscheidung schwer, denn er hat quasi unbegrenzte Entscheidungsspielräume. Hat er nur noch begrenzte Ressourcen, um damit Opposition zu erschaffen, muss er nur noch entscheiden, wie er diese Ressourcen einsetzen will. Dadurch, dass die Ressourcen schon feststehen, wird dem SL einiges an Vorarbeit abgenommen.
Der berechtigte Einwand lautet nun: "Aber irgendwer muss ja die Ressourcen festsetzen!" Stimmt. Der Vorteil hierbei ist, dass diese Festlegung zentral geschehen kann. Das heißt, dass sich der Designer das Spiels
einmal ausführlich Gedanken darüber machen muss, wie viele Ressourcen der SL zur Verfügung bekommt anstatt diese Arbeit jedem einzelnen SL aufzudrücken. Der Designer muss also seiner Verantwortung nachkommen und ein Spiel herstellen, das dem SL die Arbeit die Opposition zu erstellen abnimmt oder wenigstens erleichtert. Ein Vorteil bei so einer zentralen Festsetzung der Ressourcen ist, dass der Designer des Spiels bei einer anständigen Playtestphase Informationen aus verschiedenen Gruppen und deren Spiel bekommt. Der Designer kann also die Menge der Ressourcen, die der SL üblicherweise braucht, viel besser abschätzen als der SL vor Ort, der dann nur evtl. noch kleinere Modifikationen vornehmen muss.
Durch die Einschränkung der absoluten Macht des SL wird ein Problem für den SL beseititg, das ich vorhin angesprochen habe: Er muss nicht mehr zwei widersprüchliche Aufgaben wahrnehmen. Beim "klassischen" Rollenspiel ist der SL die Opposition der Spieler (Antagonist), ist aber gleichzeitig für deren Spielspaß und den Schutz der SC (die ja üblicherweise nicht alle sterben sollen) verantwortlich. Dadurch, dass die festen Ressourcen dafür sorgen, dass der SL selbst wenn er wollte die Spieler nicht so einfach ausstechen bzw. Die SC töten kann, fällt eine Aufgabe weg und der SL kann sich voll auf die andere Aufgabe konzentrieren: den Spielern eine wunderbare, fiese, anspruchsvolle (und durch die festen Ressourcen doch nicht zu starke) Opposition zu sein. Der Rollenkonflikt des SL als Gegner und Beschützer der Spieler wird aufgelöst, er kann die Rolle des Gegners voll ausfüllen.
Dadurch, dass der SL sich mit begrenzten Ressourcen stärker auf eine Rolle konzentrieren kann und sich weniger als "überparteilich" begreifen muss, passiert noch etwas weiteres: er wird mehr von einem "Überwesen" zu einem Mitspieler. Sowohl für die Spieler wird deutlich, das der SL nicht allmächtig ist, was den SL aus der Rolle des alleine für den Spaß verantwortlichen nimmt. Es ist dann deutlich nicht mehr seine Aufgabe, die Spieler zu beschützen und für deren Spaß zu sorgen, was die Spieler selber mehr in die Verantwortung für ihren eigenen Spaß nimmt.
Vor Allem aber kann der SL sich selber als einen Mitspieler begreifen. Es ist für ihn (oder wenigstens für mich in einer solchen Situation) einfacher selber Spielspaß zu haben: ich darf mit Leib und Seele "böse" sein, muss mich nicht bremsen, muss mich nicht fragen, ob ich den Spielern schon zu viel zumute. Ich kann einfach Vollgas geben und draufhalten. Das System selber wird mich stoppen, bevor die Gefahr für eine Verletzung der Inputmöglichkeiten der Spieler zu groß wird. Ein tolles Gefühl!
Und bevor jetzt wieder alle auf Forge einschlagen: Es stimmt, viele Forge-Spiele machen sowas. Bei
The Pool kann der SL keine (regeltechnische) Opposition geben, selbst wenn er möchte. Bei
PtA ist sein Budget genau festgelegt. Bei
WGP unterliegt er genau denselben Regeln wie die Spieler (zieht Karten usw.). Das alles sind Spiele, die mir sehr gut gefallen.
Aber es gibt solche Ansätze auch wo anders.
D&D bietet immerhin eine gewisse Hilfestellung. Mir ist das immer noch viel zu wenig (die CR sind schwammig und ich habe mich als SL doch sehr häufig verschätzt), aber es ist ein Anfang. Aber z.B.
Rune gibt dem SL ein genaues Budget für seine Herausforderung, mit dem er dann Gegner, Fallen, Hindernisse usw. Erstellen kann. Auch hier wird es dem SL einfach gemacht, die richtige Schwierigkeit zu finden und er wird zu einem Mitspieler.
Insgesamt:
Opposition ist wichtig. Irgendwer muss den Protagonisten ein Antagonist sein.
Die meisten Rollenspiele machen es dem SL nicht leicht, das richtige Maß an Opposition zu finden. Sie zwängen den SL in zwei widersprüchliche Rollen, den Gegner und den Spielerbeschützer.
Eine mögliche Lösung ist es, den SL in seiner Macht, Opposition zu erschaffen, zu beschränken. Dadurch kann er sich auf seine Rolle als Antagonist konzentrieren und wird von einem "Überwesen" zu einem Mitspieler, was auch seinen Spielspaß erhöhen kann.
Das war eigentlich alles. Konstruktive Beiträge sind immer erwünscht.