Hier folgt der nächste Teil meiner Spielleiternotizen zur Orient-Express-Kampagne. Diesmal geht es um das Lausanne-Kapitel.
****** SPOILER! SPIELER NICHT WEITERLESEN! SPOILER! ******
Lausanne bietet mit dem Traumabbild der Stadt einen sehr stimmungsvollen Handlungsrahmen. Leider werden auch hier die Möglichkeiten des Szenarios nicht völlig ausgeschöpft.
1. Edgar Wellington
Die Motivation von Wellington ist äußerst obskur. Dem Brief nach zu urteilen, den er nach Paris geschickt hat, geht es ihm darum, mehr über das Simulakrum zu erfahren. Kaum sind die SC eingetroffen, bietet er ihnen jedoch ohne große Umschweife die Rolle des Kopfes an. Das ist um so merkwürdiger, da der Duc des Esseintes sowohl als Edgars Dealer fungiert als auch sein Interesse für den Okkultismus geweckt hat. Würde er ihm nicht trauen, wie im Abenteuer vorgesehen, so würde er wohl kaum ausgerechnet den Duc verwenden, um den Preis für die Rolle in die Höhe zu treiben. Und wenn er ihm traut, würde er die Rolle bestimmt an ihn weiterverkaufen. In diesem Fall bekämen die SC von der Rolle aber gar nichts mit. Wie man es auch dreht und wendet, auf diese Weise wird kein Schuh draus.
Meine Lösung wäre, dass Wellington die Rolle überhaupt erst durch den Duc erhalten hat. Die Rolle wurde nicht von einem Soldaten nach Lausanne gebracht, sondern lagerte als einzige der Sedefkar-Rollen in der Nationalbibliothek in Paris. Dort wurde sie vom Duc gestohlen (damit lässt sich ein Hinweis platzieren, der zeigt, dass der Duc irgendetwas über Fenalik weiß; nach meiner Lesart agiert er ja sogar als Fenaliks Stellvertreter – siehe Pariskapitel).
Nun ist die Rolle aber auf Menschenhaut geschrieben und wie alle Dinge, die mit dem Simulakrum zu tun haben, unterliegt sie dem Verfall. Dieser kann nur dann dauerhaft aufgehoben werden, solange das Simulakrum zusammengesetzt ist und von einem Träger benutzt wird. Da das aber zurzeit nicht der Fall ist, war die Rolle in einem erbärmlichen Zustand, als sie vom Duc entwendet wurde. Dennoch nahm er sie auf seiner Flucht mit in die Schweiz. Dort lernte er wie gehabt Wellington kennen, macht ihn drogenabhängig und zeigte ihm Traumlausanne. Das alles hatte aber einen Zweck: Er brauchte einen von ihm abhängigen Präparator, der die Rolle soweit restauriert, dass sie erhalten bleibt, bis das Simulakrum gefunden wird.
Wellington machte sich daran, die Rolle zu restaurieren, konnte aber der Versuchung nicht widerstehen, sich mit ihrem Inhalt zu beschäftigen. Deswegen schrieb er den Brief nach Paris. Gleichzeitig drängt ihn aber der Duc, die Rolle wieder herauszurücken. Wellington hat aber Blut geleckt; die Rolle erscheint ihm zu wertvoll, um sie dem Duc zu überlassen. Deswegen fertigt er die Fälschung an (und zwar nicht nur eine oberflächliche, sondern eine sehr gekonnte Fälschung). Mit der echten Rolle will er sich absetzen.
Der Besuch der Charaktere kommt für Wellington sehr überraschend. Ungeplant ist auch das zeitgleiche Auftauchen des Ducs (hier ist der Zufall als dramatisches Moment mal angebracht!). Der Duc will Wellington eigentlich zur Rede stellen, um endlich seine Rolle wiederzubekommen. Da die SC anwesend sind, lässt er allerdings zunächst davon ab. Er kommt aber zurück, nachdem er sich von den SC getrennt hat. Edgar händigt ihm die Fälschung aus, die der Duc spätestens zu Hause als solche erkennt. Voller Wut geht er zurück zu Wellington. Und so nimmt das Unheil seinen Lauf…
2. Die Handouts
Gerade für das Lausanne-Kapitel können gut gemachte Handouts die Stimmung extrem steigern. Das Tagebuch von Wellington lässt sich recht leicht anfertigen. Anspruchsvoller ist schon die Rolle des Kopfes. Es macht etwas Mühe; aber ich empfehle die Rolle nach den Beschreibungen im Abenteuer aus „Elefantenhaut“ (pergamentartiges Papier) anzufertigen. Der Effekt bei den Spielern lohnt meines Erachtens den Aufwand.
Ähnlich verhält es sich mit der Traumdroge. Im Abenteuer wird sie als Flüssigkeit mit der Farbe trüben Wassers beschrieben, in der glänzende Partikel eingeschlossen sind. Im Cthulhu-Forum wurde zur Simulation mal eine Mischung aus reinem Ethanol (Alkohol), Lebertran und Nelkenöl (gibt’s in der Apotheke) vorgeschlagen. Das Nelkenöl ist eine pfiffige Zutat: es wirkt leicht betäubend und sein Aroma überdeckt alles andere in der Mixtur, was ein sehr komisches Gefühl ergibt, wenn man tatsächlich etwas von dem Gesöff in den Mund nimmt.
Ich habe statt Ethanol Absinth verwendet (selbst schon eine klassische „Traumdroge“), weil der sich schön trübt, wenn man Wasser dazugibt. Statt Lebertran tut es auch thailändische Fischsoße (auf Sardellenbasis).
Für knapp 5cl Traumdroge benötigt man: 1cl extrastarken Absinth (z.B. Tabu 73%), 3cl Wasser, 1 TL Sardellensauce, 1 TL Pflanzenöl, 10-15 Tropfen ätherisches Nelkenöl. Das ganze ergibt eine bleichgrün-trübe Flüssigkeit mit stark schimmernden Fetttropfen darin. Der Geruch ist betäubend und es schmeckt absolut widerlich, ist aber ansonsten völlig harmlos (es sei denn, es reagiert jemand allergisch auf Wermut oder Gewürznelken). Sehr zu empfehlen!
3. Der Abend mit Max
Der Hochstapler Max dient im Abenteuer nur dazu, die SC abzulenken. Was aber wäre, wenn er mit dem Duc unter einer decke steckt und ebenfalls zu den Brüdern der Haut gehört? Die Begegnung wäre für die SC dann um einiges gefährlicher, denn Max wird mit allen Mitteln versuchen, sie davon abzubringen, zu Wellingtons Laden zurückzukehren. Zu diesen Mitteln könnte auch der eine oder andere Zauber aus dem Repertoire des Duc zählen.
4. Rückkehr zu Wellingtons Haus
Im Abenteuer wird vorgeschlagen, die SC nach dem Entdecken von Wellingtons Tod durch das Anrücken der Polizei zur Flucht zu zwingen, so dass sie die Traumdroge erst im Zug einnehmen. Ich halte von dieser Variante wenig; sollten sie nämlich die Traumdroge übersehen oder in der Eile vergessen, dann fällt die ganze Traumlausanne-Episode flach.
Ich frage mich außerdem, warum der Duc Wellington unbedingt töten will. Ein Mord in so enger Nachbarschaft erregt nur unnötiges Aufsehen. Wahrscheinlicher ist, dass er den schlafenden Wellington vorfindet, zurück in sein Haus eilt und ihn körperlicher Form als Mosaik-Prinz Traumlausanne betritt. Die SC haben damit eine realistische Chance, Edgar Wellington zu retten. Schafft es der Mosaik-Prinz aber, Wellington den geheimen Aufbewahrungsort der Rolle zu entlocken, dann wird er Wellingtons Traumabbild töten. Der Wellington in der wachen Welt verfällt damit unwiederbringlich dem Wahnsinn. Diese Lösung passt auch viel eher zu einem Anhänger des Hautlosen. Da der Hautlose ein Avatar Nyarlathoteps ist, werden seine Anhänger vor allem danach streben, andere in den Wahnsinn zu treiben.
5. Traumlausanne
Die Spieler haben zwei Möglichkeiten, um Traumlausanne zu betreten: Sie trinken von der Traumdroge oder sie begeben sich in körperlicher Form durch die Tür im Haus des Ducs in die Traumwelt. Den Duc zu verfolgen, dürfte nicht allzu schwer sein und wahrscheinlich kennt auch Wellington seine Adresse.
Die zweite Methode ist die gefährlichere: Erstens ist man dann sofort tot, wenn man in der Traumwelt umkommt, und nicht nur wahnsinnig. Zweitens kann man nur durch die Tür in die wache Welt zurück (oder durch ein anderes Tor), aber nicht dadurch, dass man einfach aufwacht. Trotzdem würde ich als Spieler diese Methode bevorzugen, da man sonst nicht weiß, was mit den schlafenden Charakteren geschieht (es sei denn, einer nimmt die Droge nicht und bleibt als Wache zurück).
Welchen Weg die Spieler auch wählen, der Spielleiter sollte auch die Episode in Traumlausanne nicht zu linear gestalten. Ich empfehle, statt der vielen passiven Begegnungen mit den Traumgestalten, die Ereignisse aus der Kampagne vorwegnehmen, lieber nur einige wenige Begegnungen durchzuspielen. Bei diesen sollte der SL den Spielern allerdings etwas mehr Möglichkeit zur Interaktion geben.
Die Idee mit der Gerichtsverhandlung finde ich sehr stimmungsvoll. Hier bietet sich auch Platz für gutes Rollenspiel. Wenn die Spieler geschickt vorgehen, spricht aber auch nichts dagegen, dass sie Wellington mit Gewalt aus den Händen des Duc befreien. Nicht alle Bewohner von Traumlausanne müssen auf den Mosaik-Prinzen gut zu sprechen sein und können den SC mit Rat, einem Versteck oder dem Hinweis auf eine Rückkehrmöglichkeit in die wache Welt helfen.