Autor Thema: [Pool, Puddle] Abenteuer in Waeland - Charakter oder Plot oder was?  (Gelesen 2960 mal)

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Offline Schwules Lesbenpony

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Silvia: Ich weiß nicht was ich für ne Szene setzen soll. Mach jemand anders.
Stefan (SL), Rafael, Agata: Das geht nicht! Du bist jetzt dran, Mach ne Szene!
Silvia: Oh Mann, dann finde ich halt in nem Buch ne Todesanzeige von Sven, begraben in, Kränze an, Spenden für, etc.
*fettes Lachen am Tisch*
Stefan (SL): Echt Silvia, das geht so nicht, es gibt doch keine Todesanzeigen, und schon gar keine von Sven.
Silvia: Ist mir scheiß-egal. Ich finde halt eine, ist meine Szene. Mir geht dieses Gesuche hier auf den Nerv. Jetzt gib uns endlich Deinen Hinweis, damit wir weiter machen können.
Stefan (SL): Ihr habt halt noch nicht richtig gesucht...

An dieser Stelle wurde das Spiel unterbrochen, um dem Frust in der Gruppe auf den Zahn zu fühlen:
  • Rafael hatte sich schon vorgenommen aus der Gruppe auszusteigen, weil für ihn das Kuddelmuddel von Plot- und Charakter-Spiel nicht funktionierte.
  • Sylvia war frustriert, weil sie das Gefühl hatte, dass ihr Charakter und damit sie keine Handlungsmöglichkeiten hatte. Zudem war sie es Leid hinter irgendeinem Plot zu tapern.
  • Nicole langweilte sich mit ihrem oberflächlichen Charakter, und versuchte über die Darstellung von Charaktermacken zum Spiel beizutragen.
  • Alle waren sich einig, dass nur Agata mit ihrer Spielfigur irgendwie im Spotlight stand und ständig die Geschichte antrieb, während alle anderen mehr so ihre Statisten waren.

Im Folgenden entstand eine Diskussion über Spielerwünsche, Arten von Rollenspiel und nicht funktionierendes Rollenspiel:
  • Alle Spieler waren sich sehr schnell einig, dass ein "vom Plot oder einer Geschichte getriebenes Rollenspiel" nicht mit einem "Charakterrollenspiel" (die persönlichen Konflikte der Figuren stehen im Mittelpunkt; Setting und Szenen dienen der Beleuchtung und Auflösung der Konflikte) vereinbar sind. Zudem wollten alle eigentlich das "Charakterrollenspiel" ausprobieren.
  • Für ein solches "Charakterrollenspiel" müsste jeder eine Figur haben, die von einem inneren Konflikt getrieben wird. Dieser Konflikt muss vor allem für den Spieler eine Motivation sein.
  • Damit das Setting und das Thema der Geschichte funktionieren, muss der Konflikt des Charakters an das Thema gebunden sein.
  • Dass Agata als einzige den Spotlight bekam, lag daran, dass sie die einzige war, die eine Figur mit einem für sie interessanten Konlfikt gebaut hatte, der stark mit dem Thema der Geschichte verbunden war. Deshalb hatten ihre Szenen immer einen Fokus.

Die Gruppe besteht aus einem SL, Stefan und vier Spieler/innen, Rafael, Silvia, Agata und Nicole. Wir kennen uns alle schon realtiv lange und treffen uns auch zu zahlreichen anderen Aktivitäten über das Rollenspiel hinaus. Stefan und Silvia sind verheiratet, Rafael und Agata sind Geschwister.
Wir spielen in der Welt von Midgard, im äußersten Norden (wem das Nichts sagt: Wikinger und Winter). Wir hatten uns von vorne rein für Pool als System entschieden, weil es so wenige Regeln hat und jeder zur Geschichte beitragen kann. Auch hatten wir direkt eingeführt, dass die Szenensetzung a la PTA rotiert, um den Spielerinput zu maximieren.
Der Spielleiter hatte eine Ausgangssituation, die gleichzeitig das Thema der Geschichte war: Das Eis des Hohen Nordens schreitet immer weiter voran. Dieses Eis bringt eine große Macht mit sich, ist aber in seinem Innersten böse und verderbend.

Wir entschieden uns also neue Charaktere zu machen, bzw. die vorhanden Charaktere umzumodeln.
  • Rafael: Hjörm war schon immer von Pech verfolgt, Nichts gelang ihm. Bis er ins Fenn (eine Schnee- und Eislandschaft) zog. Er verdingt sich seitdem als Führer und Jäger und fühlt sich dem Fenn verbunden.
    Konflikt: Rafael entschied sich, die Verbundenheit seiner Figur mit dem Fenn auszubauen. Hjörm hat im Fenn etwas gefunden, was ihm bisher immer gefehlt hatte: einen Ruhepol, den Mittelpunkt seiner selbst. Das voranschreitende Eis zwingt ihm eine Entscheidung auf: Wird er sein Selbst in diesem Eis finden oder wird er dagegen ankämpfen? Und wie wird ihn das verändern?
  • Silvia + Nicole: Silvia und Nicole beschlossen neue Figuren zu entwerfen. Hierfür haben wir als Visualisierungshilfen Mindmaps benutzt. Auf der ersten Mindmap stand in der Mitte "Eis" mit zwei Zweigen - "Macht" und "Böse". Silvia und Nicole haben dann ein bisschen "gebrainstormed" und ihre Assoziazionsfelder zu dem Thema der Geschichte dargestellt. Anschließend hat sich jede einen Begriff aus der Mindmap ausgesucht, der sie am meisten interessierte.
  • Silvia:Silvia hatte den Begriff "Stolz" ausgewählt (Kommentar:"Wahrscheinlich, weil ich selber keinen habe."). Auf einem Blatt wurde "Eis" ganz links, mit jeweils "Böse" als Abzweig darüber und "Macht" darunter, und "Stolz" ganz rechts aufgetragen. Die Verbindung dazwischen stellte das Spannungsfeld zwischen den beiden Themen dar.
    Figur: Tyra ist Schamanin eines Nomadenvolkes. Eine wichtige Aufgabe war immer das Frühlingsritual, aus dem sie auch ihre Macht zog. Diesmal gelang das Ritual nicht; schlimmer noch, das Eis und mit ihm Tod und Elend breiteten sich immer weiter aus. Tyras Familie wurde aus dem Stamm verstoßen und Tyra entehrt.
    Konflikt: Tyra ist sehr stolz auf ihre Position als Schamanin und die damit Verbundene Macht und Ehre. Wird sie ihrem Stamm beweisen können, dass sie immer noch eine echte Schamanin ist?
  • Nicole: Nicole hatte "Abenteuer" ausgewählt. Nach derselben Vorgehensweise hatte sie eine Art Arved Fuchs bzw. Reinhold Messner, jemanden der in der Konfrontation mit den extremsten Naturgewalten immer wieder sich selbst und seine Grenzen erprobt.
    Konflikt: Edda reist durch die Welt, um sich immer wieder den härtesten Prüfungen, die die Natur zu bieten hat, zu stellen. Diesmal hat sie sich für das Eis entschieden - das Böse als härteste Herausforderung. Wird sie das Eis und seine Macht beugen und brechen und als Siegerin zurückkehren, oder wird das Eis sie brechen?

Anschließend spielten wir noch ein paar Szenen mit unseren neuen Figuren:
  • Alle Spieler hatten einen Fokus für die Szenensetzung, so dass sie keine Probleme mehr hatten, sich geeignete Szenen zu überlegen.
  • In allen Szenen wurden die anderen Figuren mit eingebunen, um Probleme an ihnen stärker zu beleuchten und Dynamik in die Gruppenbeziehungen zu bringen.
  • Agata musste sich auf einmal das Spotlight mit den anderen Spielern teilen. ;D
Nicht weil die Dinge schwierig sind, wagen wir sie nicht,
sondern weil wir sie nicht wagen, sind sie schwierig.

aga g.

Offline Fredi der Elch

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Hey, klingt für mich so, als ob ihr einen Riesenaufstand getrieben habt, um NAR neu zu erfinden. ;D Was ihr als „Charakterspiel“ bezeichnet habt, ist schon sehr NAR (Charaktere im dramatischen Sinn usw.). Das hättet ihr auch leichter haben können. ;)

Ok, genug gelästert. Für mich bleiben zwei Hauptpunkte:

Pool funktioniert nicht mit Plot. War zwar klar, aber es ist schön, das auch aus der Praxis bestätigt zu sehen. Ich kann mir echt nicht vorstellen, wie ihr das gemacht habt. Eigene Szenen, die Spieler können Konfliktausgänge beschreiben und trotzdem kann der SL auf Infos sitzen und bestimmen, dass die SC nicht an der richtigen Stelle gesucht haben?!? Ich dachte die Spieler bestimmen, was die „richtige“ Stelle ist! Das musste ja so was von schief gehen. Und dass alle damit irgendwie unzufrieden waren, verdeutlicht, dass es so nicht geht.

Pool bietet (zu?) wenig Struktur. Und das wurde durch die rotierenden Szenen, die die Spieler framen mussten, nicht besser. Nicht ohne Grund sind die eigentlich wichtigsten Hilfsmittel bei PtA die Issues und die Screen Presence (ich erinnere mich da an einen Bericht einer gewissen Caynreth über Issues in PtA ;) ). Die CR und das Framing usw. sind nett, aber ohne die Struktur durch die Issues und die SP hängen die Spieler in der Luft und wissen nicht, was sie mit ihrer neuen Freiheit anfangen sollen. Und genau das hat dein Beispiel gezeigt, dass die Spieler nicht wussten, was für Szenen sie beginnen sollten. Und mit Issues (und nichts anderes habt ihr ja für die Charaktere neu gemacht) wurde das schlagartig besser.

Insgesamt denke ich, dass dein Bericht zeigt, dass Pool „Charakterspiel“ eben nur mit starken Issues funktioniert. Meeeeensch, das hätte ich dir auch gleich sagen können!! ;) Aber das ist ein Punkt, der IMO nicht oft genug unterstrichen werden kann und solche Praxisberichte machen das sehr eindrucksvoll. Insofern: ein Top-Bericht mit einem Punkt, der sich sicher auf andere Spiele und Gruppen übertragen lässt. So muss ein Actual Play-Bericht aussehen (ok, so oder wie der Polaris-Bericht ;) )!
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Offline 1of3

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Agata musste sich auf einmal das Spotlight mit den anderen Spielern teilen. ;D

Caesar schrieb seine Kriegskommentare auch schon in der 3. Person. Große Vorbilder.


@Fredi: Wirklich eine Tragödie, dass du nicht bei jeder Gruppe live dabeisein kannst, um deine Weisheit sofort an den Mann zu bringen.

Offline Fredi der Elch

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Gelle? ;D
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Offline Dr.Boomslang

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Also mir hat Fredis Analyse geholfen. Jetzt weiß ich wenigstens auch warum ich "Pool" noch nie leiden konnte. :)
Fredi kann mir immer sagen warum ich etwas blöd finde ;)

Offline Fredi der Elch

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Das ist doch schon mal was, oder? ;D

Ich denke, dass Cay das auch schon alles wusste (steht ja zwischen den Zeilen in ihrem Post), aber ich wollte es einfach noch mal sagen. Ich lese mich selbst einfach zu gerne.
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Zitat von: 1of3
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Offline Six

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Caesar schrieb seine Kriegskommentare auch schon in der 3. Person. Große Vorbilder.


@Fredi: Wirklich eine Tragödie, dass du nicht bei jeder Gruppe live dabeisein kannst, um deine Weisheit sofort an den Mann zu bringen.

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Offline Schwules Lesbenpony

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Als Vorwarnung: Bin ziemlich unstrukturiert heute!

 ~;D Der gute Fredi hat mich schon richtig verstanden:
Ich denke, dass Cay das auch schon alles wusste (steht ja zwischen den Zeilen in ihrem Post), ...

Aber genau um zu veranschaulichen, was so alles passieren kann, habe ich dieses Actual Play hier geschrieben (und ich hasse diese Tipperei echt!!!). Für mich ist das hier die Abbildung von Inkohärenz, Social Contract, etc. im Spiel, am Spieltisch. Wäre ich nicht dabei gewesen, könnte ich das für ein konstruiertes Beispiel halten.

Ich habe sowohl mit den Spielern als auch mit dem SL lang und schmutzig vorher Narr und Pool besprochen: Charakterkonzepte, Spotlight, Issues, Sinn von Würfen, Kicker, etc. Und ich habe wirklich niemandem irgendwas aufgezwängt (naja, vielleicht nur ein bisschen aus der Motivationskiste gezaubert ;)). Aber sprechen und hören ist halt was anderes als spielen, scheitern und handeln.
Erst an dieser Stelle, als es für alle richtig krachte, und irgendwie alle echt angepisst waren, konnte ich die ganzen Konzepte vor den Augen der anderen anwenden und sie an erlebten Beispielen erklären. Wohlgemerkt, meine Figur und meine Szenen waren schon immer auf Narr "getunet"; wäre das nicht so gewesen, hätte es kein gelingendes Beispiel gegeben (meine persönliche Ausrede für die Rampensau ;)).

Das ist ein Grundproblem von neuen Konzepten (egal ob Rollenspiel oder was anderes): Je weniger Erlebnisgrundlage mit etwas  verknüpft werden kann, desto weniger kann man sich etwas vorstellen. Dazu ist ein extrem ausgeprägtes und trainiertes Abstraktionsvermögen notwendig (Philosophen können sowas ganz dolle toll ;D) und die Fähigkeit diese abstrakten Konzepte dann auf konkrete Situationen anzuwenden (ob Philosophen sowas können, weiß ich nicht ;D).

Ich will damit auch schon in ein Horn blasen, mit dem Fredi immer wieder gerne herumposaunt: Sag nicht, das ist nix für Dich, wenn Du es nicht schon mal probiert hast! Ausprobieren, scheitern, dann meckern!

Was Pool angeht, stimme ich der Einschätzung zu, dass es in den Strukturvorgaben extrem schwächelt - PTA oder Dogs sind da wirklich vorbildlich. Allerdings gibt es auch ganz andere Freiheiten - man muss sich halt entscheiden, was man will. Zudem ist es nicht so, dass die o.g. Probleme nicht auch bei PTA aufkämen: Spieler/innen, die noch nie Narr gespielt haben und durch Illusionismus-Railroading "verhunzt" sind, können auch hier massive Probleme haben, die neuen Konzepte in die Spielhandlung umzusetzen.
« Letzte Änderung: 22.02.2006 | 22:12 von Caynreth »
Nicht weil die Dinge schwierig sind, wagen wir sie nicht,
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aga g.

Offline 1of3

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Da hast du was falsch verstanden. Das war freundschaftliche Bissigkeit.

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Da hast du was falsch verstanden. Das war freundschaftliche Bissigkeit.

Genau, das ist unser unterschwelliges Gruppenkuscheln.  :D

PS: Caesar war ein echt mieser Autor. Nach dem Genuss des Gallischen Kriegs und der Feldzüge in Britannien kann ich seine Schreibe nicht ausstehen (bis auf die Partizipialkonstruktionen, die sind echt cool!). Hat er wahrscheinlich eh nicht selbst geschrieben, sondern irgend so nen armen Schreiberling dafür eingesetzt, der musste sich dann den Kram aus dem Finger saugen.
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