Fredi schrieb:
Wenn ein Spiel kein klar definiertes Spielziel hat (also der Autor gar nicht weiß, welches Spielergebnis er erreichen möchte), dann ist das Spiel als Anleitung zwangsläufig schlecht (und „Simulation“ kann sehr wohl Ziel des Autors sein). Wenn jemand nicht weiß, wo er hin will, kann er keine gute Anleitung schreiben und hat somit bezogen auf diesen Punkt (Regelwerk als Anleitung) versagt. Und nur um diesen Zweck des Regelwerks geht es in diesem Thread. Wobei ich (wo anders) eine Diskussion darüber, was das Regelwerk noch sein kann, außer einer Anleitung wie man spielen soll, sehr schön fände.
Das kann er haben.
Ok, wenn man axiomatisch voraussetzt, dass ein Regelwerk ein Spielziel [wie soll das Spiel gespielt werden] erreichen will, das dann aber nicht erreicht, hat es als Anleitung versagt. Soweit stimmt das. Beispiel: liest man die Storyteller-Essays in WoD-Spielleiterbüchern und vergleicht sie mit dem Regelsystem, klafft da eine gewisse Lücke. Nicht umsonst gibt es u.a. Vermis Versuch, Vampire narrativer zu gestalten. Hier haben wir ein System, das das in den Essays offensichtliche Ziel 'mehr Erzählung im literarischen Sinne' nicht konsistent umsetzt, weil es viele Elemente enthält, die sich gut z.B. zu reinem Munchkin-Spiel zweckentfremden lassen.
Die Frage ist, muss ein Regelwerk denn ein Spielziel voraussetzen? Ich meine, nein. Für mich ist ein gutes System eines, welches mich in meinem persönlichen Spielstil nicht einschränkt. Es soll mir eben nicht sagen, wie ich zu spielen habe, es soll mir als Werkzeug dienen. Wie ich spiele, weiß ich selbst - und deshalb brauche ich ein Regelwerk, das mich dabei nicht blockiert. Es ist wie ein Werkzeugkasten, ein Spielzeug, ein Sportgerät: ich kann das Ding benutzen, aber es schreibt mir nicht vor, wofür ich es zu benutzen habe und was am Ende dabei rauskommt.
Das soll nicht heißen, dass meine Spiele kein Ziel hätten: aber es erwächst nicht aus dem Regelwerk. Das Ziel ist (für uns als Gruppe) die plausible Darstellung des Erlebnisses, eine andere Person in einer anderen Welt zu sein. Dieses Ziel tragen wir von Setting zu Setting. Mein System ist daraus entstanden, dass die von uns früher verwendeten Systeme dieses Spielziel mehr oder weniger blockiert haben, indem sie entweder gleich unplausible Ergebnisse brachten oder versuchten, die Plausibilität zu bestimmen und zu regeln. Was aber plausibel ist, das entscheiden wir ausschließlich selbst. Ich musste also ein System bauen, das sich dazu verwenden lässt, die Ergebnisse zu erzielen, die wir als plausibel erachten, ohne sie zu diktieren. Als gedankliche Basis diente das CoC-System, herausgekommen ist etwas, das dem Unknown Armies-System ziemlich ähnlich sieht.
Das führte dazu, dass viele Dinge im Vergleich zur klassischen Spielweise bei uns umgekehrt laufen: es gibt keine Charaktererschaffungsmechanismen wie Zufallswerte oder Punktpools, aus denen man einen Charakter erschafft und diesen dann mit Leben füllt, sondern es wird stattdessen ein Charakterkonzept allein auf der Basis, was im verwendeten Setting plausibel ist, als Text entworfen und von da aus ohne künstliche Beschränkungen in Punktwerte fürs Charakterblatt umgewandelt. Es gibt eine generische Eigenschaftsliste, die ohne Rücksicht auf Genre-Konventionen versucht, alle Bereiche (in der Regel menschlicher) Charaktere abzudecken, während Fertigkeiten völlig frei wählbar sind, ohne dass es Vorgaben gäbe. Das Regelwerk definiert keine Aktionen (z.B. Moves), sondern der Spieler beschreibt seine Bewegung völig frei auf der Basis dessen, was das Setting annehmbar erscheinen lässt (ein Werwolf darf im Kampf abgefahrener agieren als ein normaler Mensch von der Straße), ein Fertigkeitswurf ermittelt dann, wie gut der Plan umgesetzt wird. Alles in allem ist das immer noch ein ganz klassisches System, aber eben um alle Vorschriften erleichtert und auf grundlegende Mechaniken reduziert. Wenn ich es veröffentlichen würde, würde ich nicht sagen, dass es Leute dazu bringen soll, realistisch und erzählend zu spielen (das wäre eine Anleitung); ich würde eher sagen, dass es benutzt werden kann, wenn man realistisch und erzählend spielen möchte, weil es da nicht verhindert. Es kann auch anders benutzt werden, aber wie geeignet es dafür ist, ist eine andere Frage.
Das ist jetzt meine Ansicht darüber, was ein Regelwerk noch sein kann; aber womöglich gibt es noch dritte und vierte Möglichkeiten. Fire away.
Robin