Das Problem bei der sogenannten "realistischen" Steigerung ist oft, dass die Lernkurve an das In-Game-Geschehen geknüpft wird. Ein Abenteuer wird vielleicht an einem einzigen Tag stattfinden, aber man stellt sich die Frage: "Was hat der Charakter daraus gelernt?" Dass das nächste Abenteuer vielleicht erst Wochen später stattfindet und der Charakter bis dahin viel besser etwas hätte lernen können, wird dabei selten berücksichtigt.
Hinzu kommt, dass die Verbesserung der Fähigkeiten des typischen RSP-Charakters ohnehin jeder Plausibilität spottet. Denn: Sie richtet sich nicht nach verstrichener In-Game-Zeit, sondern nach Anzahl der gespielten Abenteuer. Wenn die ganze Kampagne sehr dicht ist und alles direkt nacheinander passiert, dann wird mein junger Krieger innerhalb weniger Monate zu einem Schwertmeister, der es mit den besten seiner Zunft aufnehmen kann. Anderer Krieger, die ihm begegnen, haben 20 Jahre lang in allen möglichen Kriegen und Schlachten gekämpft und sind ihm doch unterlegen.
Die Entwicklung der Fähigkeiten eines Charakters in einem klassischen Rollenspiel soll daher keine realistische oder auch nur plausible Lernkurve bilden. Sie soll den Spieler für seine Leistung beim Spielen belohnen.
Dem steht gegenüber das Bedürfnis, es einigermaßen plausibel zu halten. Es wäre ein Bruch der Plausibilität, wenn der Charakter in Abenteuer 1 ständig vom Pferd fällt, dann nie wieder reitet und in Abenteuer 5 plötzlich das Rodeo gewinnt. Die typische Lösung für dieses Problem ist die retrospektive Begründung. Man muss halt irgend eine Erklärung dafür finden, dass die Fähigkeit sich verbessert. Diese kann ohne Probleme außerhalb des tatsächlich im Spiel ausgespielten liegen. Lässt sich eine solche Erklärung partout nicht finden, dann darf er die Fähigkeit nicht steigern.
Diese retrospektive Begründung ist aber ein völlig anderer Ansatz, als aus dem In-Game-Geschehen nachträglich im Sinne einer Kausalität abzuleiten, was der Charakter steigern darf. Die oft gebrauchte Regel: "Du darfst nur Fertigkeiten steigern, die du im Abenteuer eingesetzt hast", ist daher eigentlich von keiner Warte aus betrachtet sinnvoll. Der Spieler möchte etwas tun, es wird ihm verboten, es gibt keinen nachvollziehbaren Grund dafür. Das ist für mich der Prototyp einer überflüssigen Regel.