Wie die meisten wahrscheinlich wissen, gibt es für das von Pegasus vertriebene Rollenspiel Cthulhu mehrere Settings. Z.B. 20er Jahre, 1990er, viktorianisches Zeitalter, wilder Westen, 1000 AD...
Eine reizvolle Spielidee, die in meiner Runde entwickelt wurde, sind multitemporäre Kampagnen. Also eine fortlaufende Geschichte, die in mehreren Zeiten spielt.
Dabei wurde bewusst auf die Möglichkeit von Zeitreisen verzichtet. Denn wenn man beispielsweise aus der Neuzeit ins Mittelalter reist, haben die Charaktere dort Neuzeitliches Wissen und Inventar. Das kann der mittelalterlichen Stimmung sehr abträglich sein
Also musste ein anderes Mittel gefunden werden. Als Ideal hat sich das der Reinkarnation erwiesen. Es scheint auch nicht ungewöhnlich, dass die selbe Seele in ihren unterschiedlichen Inkarnationen immer wieder auf den Mythos trifft. Möglicherweise wissen gewisse Mythoswesen ja auch von der Gefahr, die von bestimmten Seelen für sie ausgeht und machen sich sofort nach dem Tod einer Inkarnation auf die Suche nach ihrem neuen Leben.
Natürlich braucht jeder Spieler für jede Zeit in der gespielt wird einen eigenen Charakter. Es ist reizvoll die einzelnen Charaktere eines Spielers sehr unterschiedlich zu gestalten. Und doch sollte es eine Verbindung zwischen ihnen geben. Immerhin handelt es sich ja jeweils um die gleiche Seele.
Darum entwickelt jeder Spieler für jeden seiner Charaktere ein gemeinsames Prinzip. Dem Spielleiter obliegt es, diese Prinzipien in die Kampagne einzubinden. Denn diese Prinzipien sind wahrscheinlich der Grund dafür, dass eben diese Seele in ihren verschiedenen Leben mit dem Mythos konfrontiert wird. Es macht Sinn, dieses Prinzip in den unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich auszulegen, damit sich die Charaktere in den unterschiedlichen Zeiten nicht zu ähnlich werden. Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Spieler hatte sich als Prinzip „einem Ort dienen“ ausgesucht. In der Neuzeit war er Hausmeister an einer Uni, im viktorianischen Zeitalter war er Polizist in London und im Mittelalter ein Küster. Das Prinzip ist überall erkennbar, seine Umsetzung aber sehr verschieden.
Alternativ kann man auch den Zufall über das Prinzip entscheiden lassen indem man die Spieler eine Tarotkarte ziehen lässt.
Man kann die Kampagne natürlich strikt zeitlich linear durchspielen. Muss man aber nicht. In einschlägigen Medien gibt es immer wieder Leute, die behaupten sich an frühere Leben erinnern zu können. Menschen, die man heute als Propheten bezeichnet, hatten möglicherweise irgendeine Verbindung zu ihren späteren Inkarnationen. Wenn man dies in Betracht zieht, kann man während der Kampagne in den Zeiten springen.
Alles, was ein Charakter mit einer Inkarnation erlebt hat, wird zur Vision/Erinnerung in den anderen Leben. So werden in den unterschiedlichen zeiten immer wieder neue Puzzleteile der Geschichte freigespielt. Diese Visionen haben aber nur in Einzelfällen Einfluss auf die Fertigkeiten der Inkarnationen, welche die Ereignisse nicht selber erlebt haben.
Der Charakter aus dem Mittelalter hat zwar in seinen Visionen Autos gesehen, wird sie aber nie wirklich begreifen können.
Er hat die Bilder gesehen, möglicherweise gefühlt, was sein anderes Ich gefühlt hat, verfügt aber nicht über dessen Wissen über seine Zeit.
Darum empfiehlt es sich in nicht linearen Kampagnen die Anzahl der Epochen auf drei zu beschränken. Ansonsten kann man leicht den Überblick verlieren.
Eine multitemporäre Kampagne hat einige schöne Nebeneffekte. Sie kann länger dauern, als eine normale Kampagne, da ein einzelner Charakter bei Cthulhu eben niemals so lange lebendig und bei Verstand bleiben kann, wie es drei vermögen.
Außerdem eignet sich eine solche Kampagne wundervoll dazu, die Unendlichkeit des Mythos zu verdeutlichen.
Des weiteren gibt es wundervolle Verstrickungen, die allein aus dem unterschiedlichen Erfahrungshorizont der Charaktere entstehen.
Wenn zum Beispiel die 1000AD Gruppe aus religiöser Überzeugung ein Artefakt verschwinden lässt, kann dies die Gruppe in der Neuzeit ganz schön zur Verzweiflung bringen. Insbesondere dann, wenn sie diesen Gegenstand dringend benötigt. Vielleicht führt die letzte bekannte Spur zu dem Artefakt ja auch ins viktorianische Zeitalter....
Auf diese Art und Weise kann man alle drei Gruppen gleichzeitig auf Trapp bringen, ohne ihnen ständig die großen Alten auf den Leib zu hetzen.
Fazit: Eine multitemporäre Kampagne bietet viel Abwechslung und lässt die Spieler ungewöhnlich tief in den Mythos eindringen. Sie benötigt einen erfahrenen Spielleiter und erfahrene Spieler. Gerade in einer nicht linear erzählten Kampagne ist es mit der klassischen Trennung von Spieler- und Charakterwissen nicht getan. Die Spieler müssen ein Gespür dafür entwickeln, welche Erfahrungen eines Charakters ungefiltert an die anderen Inkarnationen weitergegeben werden können. Als Faustregel sollte gelten. Je moderner die Epoche, desto mehr versteht die Inkarnation, was in den anderen Zeiten geschieht. Darum bietet es sich für den Spielleiter an, das Finale der Kampagne in die modernste gespielte Epoche zu legen. Das Finale gewinnt besondere Spannung, wenn die vergangen Inkarnationen vorher eindrucksvoll dem Wahnsinn anheim gefallen sind. Natürlich sollten sie dabei den Grundstein für den erfolgreichen Abschluss der Kampagne gelegt haben.