Kurz: Kommt drauf an.
Lang:
Man sollte sich der einzelnen Faktoren bewußt sein, an denen man bei der Entwicklung eines Kampfsystems schrauben kann, und dann abwägen, was das Setting und Genre für welches man das System schreibt am besten unterstützt. Das '80er Problem' ist meines Erachtens nämlich nicht, daß man pro Schlag 1-15 mal würfeln muß und dann x Hitpoints wegstreichen darf, sondern daß man sich keine gedanken gemacht hat, wohin man mit dem System wollte.
Mögliche Faktoren, die beachtet werden sollten sind:
Dynamik
Dynamik bezeichnet (im Rahmen dieses Posts) Art der Initiativeaufteilung auf die einzelnen Kämpfer.
Initiative kann z.B. wie bei SR3 in großen Tabellen festgehalten werden und haarklein berechenbar die Reihenfolge der Kämpfer bestimmen. In diesem Fall neigt das Spiel dazu einen sehr taktischen Zug zu bekommen, lange Planung zu belohnen und läuft auserdem Gefahr, sehr 'brettspielig' zu werden.
Andererseits kann Initiative auch von der Szenenbeschreibung, den Mitspielern am Tisch und der Konsensfindung innerhalb der Spielergruppe abhängig gemacht werden, wie dies z.B. bei Wushu der Fall ist. Dies unterstützt einen 'geschichten erzählenden' Ansatz, da die Dynamik der gewünschten Dramatik der Szene folgt und komplett durch die Gruppe (oder den SL) bestimmt werden kann. Die Gefahr hierbei ist, daß das Spiel sich stark auf die Metaebene verlagert, da viel diskutiert werden muß.
In meinem System z.B. mache ich (im Nahkampf) die Dynamik an den einzelnen Kämpfercharakteren und der bisherigen Situation fest, indem ich dem Angreifer solange die Initiative zugestehe, bis der Verteidiger mit seinem Paradewurf nicht nur geblockt, sondern auch die Qualität des Angriffes überboten hat ---also sehr gut pariert hat---. In diesem Fall kann er kontern und wird zum Angreifer. Verwundung beeinflußt diese Probe noch mit, so daß es ein verwundetewr Charakter schwerer hat, die Initiative an sich zu reißen. Dadurch erzeuge ich eine Eigendynamik, die sich sehr realistisch anfühlt und bei (etwa) gleich guten Kämpfern beinahe wie ein Tanz aussieht. Nachteil ist hier, daß ich wenig Möglichkeiten offen lasse, einen 'Wunsch-Spannungsbogen' im Kampf zu installieren.
Anzahl der Würfe
Die Anzahl der Würfe beeinflußt das 'Look&Feel' eines Kampfes dramatisch. Wenn ich nur wenige (im Minimalfall einen) Würfel verwende, so muß ich entweder auf viele Details verzichten, oder diese möglichst geschickt mit dem Ergebniss des Wurfes verknüpfen. Auserdem lege ich den Fokus anderst. Wenn ich z.B. Schadens- und Trefferwurf trenne, so lege ich meißtens mehr Gewicht auf die verwendete Waffe, als auf das Können des Charakters. Dies ist z.B. bei vielen Fernkampfwaffen sinnvoll, oder wenn ich mein System stark auf Artefakte ausrichten will.
Verbinde ich beide Würfe zu einem, so besteht eine starke Abhänigkeit des Schadens vom Können des Charakters und der Aussage, wie 'gut' er getroffen hat. Dies widerum ist sinnvoll, wenn ich viel mit Nahkampf spiele, oder will, daß sich Fernkampf ein wenig wie Nahkampf anfühlt. Auserdem sollte ich mich hierfür entscheiden, wenn ich die Aufmerksamkeit der Spieler stärker auf den Charakter, als auf Ausrüstungslisten lenken will.
Verwundung
Wie ich die Verwundung eines Charakters darstelle, ist eines der stärksten Faktoren, um System und Hintergrund mit einander zu verbinden. Hier liegt zum Beispiel ein Hauptteill der ,,Wie gefährlich sind Kämpfe?'' Frage begraben.
Wähle ich z.B. ein Hitpointsystem, so werden Kämpfe berechenbarer, was sich wieder für den taktischen Ansatz lohnt. Ein Wundsystem hingegen ist z.B. eine gute Möglichkeit, ein System gleich so richtig gemein werden zu lassen. Auf einmal reicht es nämlich, dem Charakter in das ---weniger geschützte--- Bein zu schießen, um gewaltige Probleme zu verursachen. Auserdem werden Wunden eher beim Spielen der SC durch den Spieler umgesetzt, da sie weniger abstrakt sind, als Hitpoints.
Ein anderes Kriterium ist: ,,Wieviel hält man aus?'' Hierbei ist egal, ob ich Hitpoints oder Wunden verwende. Je überlegener ich den SC werden lasse,. desto mehr unterstütze ich 'sinnloses Gemetzel' und große Kampfszenen (Extrembeispiel dürfte hier wieder Wushu mit seinen Mookfights sein) je 'kleiner' die Charaktere werden, desto fieser ist auch das System.
Wenn ich ein System zum fröhlichen Orkschnetzeln schreibe, würde ich mich z.B. hüten, Wunden (mit ekeligen Resultaten) oder zu wenig Hitpoints zu verteilen, den meine Spieler sollen den Gegnern klar überlegen sein. Degenesis dagegen schreit geradezu nach Trefferzonen, Wundsystemen und richtig fies wenig aushaltenden Charakteren, da das Setting eine beklemende Atmosphere schaffen will und die Texte ausdrücken: ,,Mach einen falschen Schritt und du bist tot''. Hier ein D6D-ähnliches Hitpointsystem zu nehmen, würde das Setting sofort ins lächerliche ziehen.
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So, viel geschrieben, hoffentlich einigermaßen hilfreich gewesen.
Kritik? Anregungen? Weitere Faktoren?
Gruß,
raVen