Totgesagte leben länger. Oder: Haben externe Impulse dem P&P-Rollenspiel eher geschadet oder genutzt? Eine Bestandsaufnahme...
- Das klassische Rollenspiel gibt es seit 1974 (Erstauflage D&D); die ersten Spieler kamen aus der War-Gamer-Ecke und suchten eine Alternative zu den klassischen Skirmish-Systemen (Kampf in kleinen Einheiten). Nicht umsonst heißt die D&D-Urfirma „TSR“= Tactical Studies Rules (also ungefähr „Regeln für taktische Simulationsstudien“)
- Das erste deutsche Rollenspiel war Midgard (1981); es war auf der Welt Magira angesiedelt, die von Leuten entwickelt worden war, die entweder TableTop gespielt haben („Das ewige Spiel“), oder Fantasy-Conventions abhielten (FOLLOW = The Fellowship of the Lords of the Lands of Wonder).
- Ich habe damals (1985) zuerst Computer-Textadventures auf dem C64 gespielt (Zork, Ultima II, Bard’s Tale), dann Solo-Abenteuerbücher („Der Hexenmeister vom flammenden Berg“, „Der Einsame Wolf“), dann DSA (1986). Die meisten Leute, mit denen ich damals P&P gezockt habe, hatten vorher Computerspielerfahrung
- 1993 waren viele vom Trading-Card-Fieber angesteckt (ich kannte einen, der hat 10.000 DM in Magic-Karten investiert), aber es wurde immer noch P&P gespielt. Ein paar Leute sind aber auch durch Magic zum P&P gekommen.
- Mitte der 90er breitete sich Life-Rollenspiel, und zwar vor allem Vampire, aus wie eine Seuche. Einige sind ganz zum LRPG abgewandert. Aber es haben auch Spieler über das Life zu P&P gefunden.
- Ende der Neunziger gab es eine Riesenwelle durch Diabolo, Neverwinter Nights und ähnliche Spiele. Auch hier wieder dasselbe Phänomen: Einige Abwanderungen, ein paar Zugewinne für die P&P-Community.
Jetzt heißt die Sau, die durch’s Dorf getrieben wird, eben MMORPG. Klar, die P&Pler werden einige Spieler verlieren (die ansonsten irgendwann eh aufgehört hätten); dafür entdeckt der eine oder andere, dass es auch ein Rollenspiel ohne Computer gibt.
Es gibt also seit über dreißig Jahren das Bedürfnis nach P&P als eigenständiger Spielform, obwohl das Rad auf dem Spielemarkt ansonsten mehrfach neu erfunden wurde. Ich kenne heute deutlich mehr P&P-Spieler als früher und Rollenspiel ist nicht mehr so erklärungsbedürftig (die meisten haben irgendwann schon mal was davon gehört). Aber P&P-Rollenspiel ist als Hobby immer noch so exotisch wie – sagen wir mal – Brieftaubenzüchten. Es kommt für ein Hobby relativ intellektuell daher (dicke Bücher), obwohl man am Spieltisch weniger Zeit braucht, um das wesentliche erklärt zu bekommen, als bei einem Ravebnsburger-Familienbrettspiel. Aber: Rollenspiel ist zeitaufwändig und sein Reiz ist Außenstehenden nur schwer zu vermitteln. P&P ist exotisch, MMORPG ist Mainstream. Der Mainstream wandelt sich ständig; P&P nur gemächlich, und es existiert in seiner Nische relativ komfortabel.
Dass Cons heute weniger besucht werden als früher, ist sicherlich richtig. Dazu muss man aber einschränkend sagen, dass das vor allem für die großen überregionalen Treffen gilt, die früher als Informationsquelle unabdingbar waren. Wenn du früher wissen wolltest, was in der Szene los ist, musstest du einmal im Jahr auf ein Con. Heute gibt’s das Internet, über das du dich informieren kannst. Und die kleinen, regionalen Cons in Jugendhäusern oder –Herbergen sind immer noch sehr gut besucht. Hier kommt es eben viel mehr drauf an, welche Leute da sind und welche Systeme gezockt werden.
In meinen Augen ist die Frage, ob MMORPGS das klassische P&P ablösen ungefähr so sinnvoll wie die Frage, ob die vielen Sex-Seiten im Internet dazu führen werden, dass die Menschen nicht mehr miteinander ins Bett gehen.
Sorry, aber: You can’t beat the real thing…