Die neue Welle der Indie-Rollenspiele wartet mit vielerlei systemtechnischen Raffinessen auf: Mal werden Würfel so gerollt, mal wieder anders, mal gilt es, Karten auszuspielen, mal sind es ganz randseitige Dinge wie ein Rouletterad. Alles schön, alles gut.
Hat alles nur einen großen Nachteil für mich: Die Auswertungszeit dauert mir zu lange. Sprich: Der Kontakt mit der Metaebene ist für meinen Geschmack (und meiner Erfahrung nach) viel zu intensiv. Mir hilft es nichts, wenn ich mit diversen tollen Regeln diverse Würfel zu meinem Wurf hinzuaddieren darf (TSOY), wenn ich Deskriptoren aktivieren kann, um zusätzliche Würfel zu bekommen (Story Engine), oder wenn ich zusätzliche Karten ziehen darf, um meine Erfolgschancen zu erhöhen (PTA).
Alles das sind nette Systemspielereien, Metabenenen-Features, aber sie bringen mir nichts in Hinsicht auf das Erleben meines Charakters.
Mir geht es nicht darum, eine möglichst tolle, geschliffene Geschichte zu erzählen. Mir geht es nicht darum, einzig und allein nach irgendeiner engen, klar formulierte Prämisse zu spielen. Mir geht es darum, ganz im klassischen Sinne des aristotelischen Theaters, meinen Charakter in der Interaktion mit seiner Umwelt zu erleben. Mir geht es auch nicht um das vielgerühmte Distributed Authoring, das gemeinsame Erzählen einer Geschichte, wo jeder gleiche Erzählrechte hat. Kreativität zündet dann erst richtig, wenn man mit den Mitteln zurande kommen muss, die man zur Verfügung hat. Du willst alleine und ohne Ausrüstung den Mount Everest überqueren? Dann spiel' es mir vor, zeig' mir, was du machst, um rüber zu kommen! Und wenn ich, der ich den mächtigen Berg spiele, zurückschlage, weil du mit deinen Aktionen meine Reaktionen hervorgerufen hast, dann wundere dich nicht. Und hör' auf zu jammern, du hast keine Hand aus dem Himmel, die dir das Leben rettet, nachdem sie ein paar dumme Würfel gerollt hat. Du, du allein – du wolltest es so! Keine out-of-character-Spielerei soll dir da helfen können.
Als Spieler geht es mir darum, meinen Charakter zu spielen, voll und ganz. Und als Spielleiter geht es mir darum, meinen Charakter (die Umwelt, die Nichtspielercharaktere) zu spielen, voll und ganz.
Auch die Modeerscheinung Player Empowerment ist mir, schlichtweg gesagt, egal. Oder genauer: egal geworden. Es gab eine Zeit, sie ist noch nicht lange her, da wollte ich sie unbedingt in meine Spiele einbauen. Damit die Spieler auch formal ihre Ideen einbringen konnten. Was brachte es mir? Nichts. Gar nichts. Weil wir, wie ich nach eingehender Analyse feststellen konnte, schon immer so gespielt hatten, dass meine Spieler "empowert" waren. Ihre Vorschläge, in oder out of character, waren schon immer meine Orientierungspunkte, meine Leuchttürme in der wilden See des Abenteuers.
Vielleicht, und das mag ein häretischer Gedanke sein, vielleicht fehlt es im politischen korrekten Rollenspielerleben einfach an einer Kernkompetenz namens Vertrauen. Vertrauen in den Spielleiter, dass er nicht gegen mich, sondern mit mir spielt. Vertrauen in meine Mitspieler, dass sie nicht gegen mich, sondern mit mir spielen. Und Vertrauen in meine eigene, naturgegebene Fertigkeit (die eventuell etwas Übung braucht, aber sei's drum), Geschichten erzählen zu können.
Vertrauen in uns alle, anstatt Regeln, Forginess und Player Empowerment.