Ich weiß nicht, ob es irgendjemandem sonst noch so geht, aber wenn ich ein Kernproblem von L5R für mich formulieren müsste, wäre es dies: dass das Setting zwei "Core Storys" besitzt, die letztlich unvereinbar miteinander sind.
Der Begriff der "Core Story" ist mir übrigens neu, und ich habe ihn erst durch das Tanelorn-Forum kennen gelernt. Wenn ich ihn also falsch verstanden habe und falsch verwende, möge man mich bitte berichtigen.
Auf der einen Seite möchte L5R den innerrokuganischen Konflikt in durchaus knallharter Weise darstellen. Dazu gehört: Duelle sind tödlich, ein Treffer setzt die Todesspirale in Gang, ein Hieb mit einem Katana bringt einen halt um, man ist gleichsam machtlos gegen höherrangige Samurai, Wiederbelebung ist Maho.
Auf der anderen Seite soll man sich ohne zu zögern den dunklen, übernatürlichen Bedrohungen entgegenstellen, die
noch gefährlicher sind als ein Katanahieb, und heldenhaft Ruhm und Ehre erwerben. Natürlich kann man mit Elementargeistern sprechen und mit Göttern und Halbgöttern verhandeln und sich zur Not auch in eine Schattenland-Armee werfen.
Meine Erfahrung ist, dass diese beiden Pole wenn schon nicht ausschließen, so dann doch zumindest irgendwie beißen. Beim kurzfristigen Wechsel auf D20 waren die Charaktere schon deutlich zäher, was den Zug "Dann leg ich mich mal mit dem Oni an" deutlich verstärkte, gleichzeitig aber auch die Bedrohung der Charaktere durch die eigenen Kastenangehörigen nach unten schraubte.
Ich weiß nicht, ob das eine angemessene Kritik ist. Aber mir kommt es so vor, als seien sich die Macher dieser Kluft durchaus bewusst, wenn sie zumindest immer wieder Kleinstmodule anbieten, wie die Tödlichkeit des Systems begrenzt werden könnte, um ein "heroischeres" Spiel zu ermöglichen. Wobei mein Einwand gegen einen solchen Eingriff immer der ist, dass das Gleichgewicht der Schulen deutlich verschoben wird, wenn die Wundpunkte durch die Bank weg erhöht werden.
Mein persönliches Problem mit dem Setting ist, dass man bei konsequenter Umsetzung der romantisierten Form von Bushido, wie er in Rokugan gelebt wird, extrem starke Restriktionen in Bezug auf die eigenen Handlungsmöglichkeiten auferlegt bekommt. Ich kann das nicht ab, ich bevorzuge Freidenker und -handler, aber viele andere sehen genau darin den Reiz des Settings.
Diese Kritik kann ich sehr gut verstehen. Restriktionen werden einem meiner Ansicht nach auch bei der Charaktererschaffung auferlegt, indem bestimmte Vor- und Nachteile auf bestimmte Klans zugeschnitten sind, so dass man nicht selten bei recht gleichförmigen Charakteren landet, "der typischen Krabbe".
Die strenge gesellschaftliche Kodifizierung ermöglicht natürlich auf der anderen Seite Aspekte des Rollenspiels, die man sonst eben unmöglich einfangen kann. Rokugan wird dadurch eben auch zu einem Setting, worin ein Haiku einen Krieg verhindern und das sofortige Annehmen eines Geschenkes denselben auslösen kann.
Es gibt selbstredend auch Möglichkeiten, Ronin-Kampagnen zu spielen oder hauptsächlich Klans zu wählen, die die Bushido-Verpflichtungen etwas lockerer sehen. Zudem gab es im Spielleiterhandbuch der zweiten Edition den Hinweis, es doch auch mit einem "freundlicheren Rokugan" zu versuchen, wo Nezumi ohne Probleme in den Abenteueralltag integriert werden können.
Allerdings finde ich diese Varianten auch nicht wirklich befriedigend, da sie von L5R auch wieder wesentliche Qualitäten abschneiden bzw. vom Regelwerk nicht in derselben Weise unterstützt werden.
Nach der Leküre des Bulldogs!-Regelwerks bin ich auf den Gedanken gekommen, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn die Spieler ihren Daimyo in ähnlicher Weise gemeinsam erstellen würden wie die Mannschaft in Bulldogs! ihren Captain. Dies würde den Spielern ein wenig mehr Macht in Bezug auf ihre Rolle im Gesamtsystem einräumen, ohne die enorm wichtigen gesellschaftlichen Bindungen innerhalb Rokugans auszuhebeln, indem man den Charakteren plötzlich größeren Freiraum in ihren Entscheidungen zubilligt.