Haben alle Regelsysteme, die ihren Käufern/Spielern dieses unverbindliche Angebot machen, das nur gesagt, weil sie so schlecht gemacht sind?
Ich erkenne bei vielen Spielen seit den 80ern bis heute verschiedene Gründe so eine Regel einzufügen.
- Das Regelwerk bietet teilweise widersprüchliche Regeln an. Hier muss der User von Hand rangehen und entscheiden, welche Regelteile ihm wichtig erscheinen (AD&D, vor allem wenn man versuchte verschiedene Module gleichzeitig zu spielen)
- Das Regelwerk bietet teilweise unbenutzbare Regeln an (z.B. Elementar- und Dschinnenmagie bei DSA4), die der User vielleicht besser gleich weglässt.
- Ältere Regelwerke versuchten bestimmte Stimmungen und Themen am Spieltisch durchzusetzen, wussten aber nicht wie man das über Regeln oder Würfel transportieren kann (WoD). Stattdessen wird die Option freigeschaltet, die Regeln zu ändern, wenn sie der Stimmung, die das Spiel eigentlich haben soll, im Wege stehen.
- Manche Regelwerke entschieden sich bewusst z.B. für den Ansatz "Drama geht vor Würfel" (WoD, DSA, BESM), da müssen andere Regeln zwangläufig weichen.
Punkt 1 und 2 sind schlicht Schlampereien. Hier ist das Angebot nicht unverbindlich sondern ein Muss, um das Spiel überhaupt spielbar hinzubekommen.
Punkt 3 ist in so weit verzeihbar, da bis dato noch die Ideen fehlten, wie man sowas modelliert (du nennst diese Ideen ja brettspielig, nagut). Sie verwenden also Regeln die grossen Vorbildern oder Vorläufern ähnlich sind, pfropfen dem Gerüst dann aber eine neue Stimmung oder ein Thema auf, ohne es auch mechanisch stützen zu können.
Punkt 4 wurde in vielen Spielen eher dürftig umgesetzt, z.B. indem dann nicht erklärt wurde, wie dann eigentlich das Drama aufgebaut werden sollte (z.B. für Vampire gab's haufenweise Clanbücher, mit noch mehr Hintergrund und Plothooks, mit noch mehr Splats, mit noch mehr tollen Fähigkeiten .. aber nirgends wurde erklärt, wie man das Zeug denn dann einsetzen soll).
Viele der Systeme machen auch noch den Fehler, dass sie das Regeländern und Entscheiden über Hausregeln fast ausschliesslich dem SL aufhalsen.
Ich denke, wegen dieser Punkte haben Spiele, die "Ändert die Regeln, wenn ihr wollt" verwenden, einen schlechten Ruf weg. Es wurden Unzulänglichkeiten damit kaschiert oder es mangelte schlicht an den richtigen Mitteln.
Es gibt ein paar Systeme, die bewusst sagen: "Ja, du darfst mich modifizieren":
- D&D 3.5 ist ein prominentes Beispiel. Hier allerdings haben sich die Autoren reingehängt und die "Behind the curtains"-Artikel geschrieben, ein Teil des DMG beschäftigt sich damit, wie man neue Zauber usw. in eine Spielwelt einführt, und es wurde sogar ein ganzes Quellenbuch über optionale Regeln geschrieben (Unearthed Arcana). Es wird genau erklärt, wie sich Regeländerungen auf Spielfluss, Balance und Stimmung haben können.
- Universalis hat explizite Regeln für das Einführen von optionalen Regeln und gibt dem User damit einen Guide
- Freeform-Regelwerke geben gute Anleitung dafür, wie man in einer Gruppe bewusst strittige Dinge untereinander ausmacht.
Relativ neutral ist mir GURPS in Erinnerung geblieben. Da wurde zwar auch gehausregelt, aber alleine bei der Masse an Regeln hat man damit nicht das Spiel besonders stark verändert oder gar kaputt machen können. Und GURPS hat so viele Regeln, dass echt ne Menge Kleinigkeiten tatsächlich über explizite Regeln beschrieben waren, so dass man sich selten für unbeschriebene Sachen eigene Regeln ausdenken musste.
Die einzigen, die viel an GURPS auszusetzen haben und die viel hausregeln sind Leute mit abgeschlossenen Physik-Studium
Die sitzen tatsächlich mit dem Taschenrechner da und versuchen zu berechnen, unter Berücksichtigung von Tonnage, Reaktor-Leistung und Beschleunigungswert zu berechnen, wann ein Raumschiff den Sprungpunkt erreicht.
Wo ich jetzt eine Liste von Rollenspielen gegeben habe, die sich mit dem "Ändert die Regeln, wenn ihr wollt" mal positiv und mal negativ hervorgetan haben, würde ich gerne ein Rollenspiel kennen lernen, das
a) diese Regel eingebaut hat
b) der Autor das bewusst mit der Absicht tat, den Spielern viele Möglichkeiten in Sachen Spielstil offen zu lassen.
c) dabei kein Bockmist bei raus kam
EDIT: Gaaah, Rechtschreibfehler könnt ihr behalten. Heute habe ich einen "Page fault in nonpaged area"-Nachmittag gehabt, mein Gehirn ist noch nicht wieder da