So, ich habe meinen Urlaub genutzt, um Dread zu lesen und 1½ Mal mit meiner Freundin zu spielen. Dadurch habe ich einen ganz guten Einblick in das Spiel bekommen, wie die Autoren es sich vorstellen. Und kann sagen: Vash hat das Spiel absolut „by the book“ geleitet! Die von mir angesprochene Fruchtlosigkeit gewisser Züge ist so gedacht, ja es wird sogar als eine Aufgabe des Spielleiters angesehen, den Spielern unnütze Züge aus den Rippen zu leiern. Wenn man sich die drei Szenarien im Buch anguckt, dann ist der SL dort gehalten, den Informationsfluss ziemlich deutlich zusteuern und den Spielern dadurch erst nach und nach Möglichkeiten zu eröffnen. Bis der SL damit rüberkommt, kommen die Spieler nicht weiter, egal was sie versuchen.
Was aber ist dann eigentlich die Aufgabe der Spieler? Nun, sie spielen ihre Charaktere. Optimaler Weise entwickelt der Spieler Spaß daran, den Kampf seines Charakters gegen die Umstände auszuleben, sich in ihn hineinzuversetzen, sich dem Unausweichlichen zu widersetzen. Mit einem geschickten SL und unerfahrenen Spielern mag es sogar möglich sein, die Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen vor den Spielern zu verbergen. Aber jeder erfahrene Rollenspieler, der selbst schon mal geleitet hat, wird schnell erkennen, was sein Charakter nicht weiß: Dass er immer nur so weit kommt, wie der SL ihn lässt.
Ich persönlich habe mit genau dieser Spielweise, dem Kampf gegen das Unausweichliche und dem Ausleben des Charakters, einige meiner denkwürdigsten Rollenspielrunden erlebt. Aber: Es hat sich für mich abgenutzt. Ich habe es ja bei der Dread-Runde hier gemerkt: In dieser Rolle fühle ich mich nicht mehr wohl. Micha und Enkidi haben das sicher viel besser gemacht als ich. Ich selbst konnte mich an den rätselhaften Ereignissen, dem Zusammenreimen der Zusammenhänge, den klasse schauspielerischen Leistungen und Einfällen meiner Mitspieler und der von Vash toll aufgebauten Atmosphäre sowie der Angst vor dem Fallen des Turms freuen. Aber das, was eigentlich von mir erwartet worden wäre, konnte ich nicht beisteuern, nämlich meinen Charakter in einer vorgegebenen Situation mitreißend ausspielen. Ich konnte Druck machen, versuchen, das Geschehen in eine bestimmte Richtung zu beeinflusen, die Situation zu ändern. Handeln eben. Aber mit der Erkenntnis, dass ich damit nicht wirklich weiterkomme, hat dieses Handeln für mich einiges von seinem Reiz verloren.
Das klingt jetzt wie eine harsche Kritik, aber wie gesagt, die Runde war allein aufgrund ihrer übrigen Qualitäten der Hammer. Es ist auch kein Vorwurf an Vash, da er sich erstens voll an das Regelwerk gehalten hat und zweitens das „Nicht-Weiterkommen“ ja nicht nur von ihm ausging, sondern auch von dem gruppeninternen Konflikt, den die Regeln nicht auflösen konnten.
Das führt mich zum zweiten Punkt, und auch darin sehe ich mich bestätigt: Dread ist für harten PvP-Konflikt ungeeignet. Zwar wird im Regelwerk behauptet, Konflikte zwischen Charakteren seien das Salz in der Suppe. Wie man die genau handhaben soll, dazu lassen sich die Ausführungen jedoch am Besten als Rumgeeiere bezeichnen. Letztendlich ist die Vorstellung der Autoren, dass jeder 1-2 Steine zieht und dann einer aufgibt. Das bei uns aufgetretene Problem, dass sich einer opfert um den anderen zu stoppen, wird nicht angesprochen.
Außerdem: Gesetzt den Fall, der Konflikt tritt früh im Spiel auf. Es wird gezogen, gezogen, gezogen, immer weiter, bis einer aufgibt. Jetzt haben wir einen absurd wackligen Turm schon ganz zu Anfang. Das macht das Spiel geradezu kaputt. Der einzige Moment, wo das System für den PvP-Konflikt funktioniert, ist in einem dramatischen Finale, wo es dann auch daramtisch passend ist, dass einer stirbt.
Somit haben wir nicht nur die Stärken, sondern auch die Schwächen des Systems kennen lernen dürfen. Da ich die Idee dahinter aber einfach zu genial finde, überlege ich, wie man diese Schwächen ausbügeln könnte (wobei das erste ja keine objektive Schwäche ist, sondern nur meine persönliche Vorliebe). Ergo:
1) Wie kriegt man es hin, dass ein gezogener Stein auch wirklich „lohnt“, dass er einen Fortschritt, einen realen Gewinn für den Spieler bedeutet? Ich habe über Stakes und dergleichen forgiges Gesums nachgedacht, aber es verworfen, weil es dem Spiel zu viel von seiner Unmittelbarkeit nehmen würde. Trotzdem sollte man versuchen, möglichst klar zu definieren, was der Charakter tut und was er damit erreichen will. Was mir im Regelwerk überhaupt nicht gefällt, ist die Idee, die Bedeutung eines Zuges erst nachträglich zu interpretieren, und zwar durch den SL. Ich würde stets vor dem Zug klarstellen, was passiert, wenn es klappt, und was passiert, wenn der Spieler nicht zieht. Wenn der Turm unbeabsichtigt fällt, kann man improvisieren. Aber auch vor einem „Opfer“ sollte ein Spieler wissen, was sein Opfer eigentlich bewirkt.
Ferner würde ich bei der Szenario-Entwicklung darauf achten, den Spielern Optionen offen zu lassen. Bei dem ersten Szenario im Buch (dem Werwolf-Szenario) ist das ganz gut gelungen, wobei letztlich zu oft „geht nicht“ dasteht. Der Aufbau eines Szenarios nach Themen, mit möglichen Szenen, erscheint mir für das von mir gewünschte Ergebnis jedenfalls geeigneter als ein linearer Plot-Aufbau. Das bedeutet natürlich, dass all das schöne Plot-Theorie-Wissen nicht mehr so gut zur Anwendung kommen kann. Wobei man ja trotzdem gerade am Anfang schon noch einige Szenen recht gut planen kann. Später dann eben nicht mehr.
Was den Informationsfluss angeht, müssen die Spieler nicht von Anfang an alles wissen. Aber: Sie dürfen nicht aufgrund eines Informationsmangels zur Handlungsunfähigkeit verdammt sein, und sie müssen die Chance haben, aus eigener Kraft alles Wichtige herauszufinden. (Manche Dinge können natürlich auch verborgen bleiben, die werden dann vom SL nach dem Spiel erklärt, aber die Spieler brauchen eine Datenbasis, aufgrund derer sie die Auswirkungen ihrer Handlungen vernünftig einschätzen können.)
2) Für PvP sehe ich zwei Möglichkeiten, beide nicht wirklich perfekt: Entweder man verzichtet auf eine Mechanik. Die Spieler müssen halt akzeptieren, dass das Spiel im Kern kooperativ ist. Dann braucht man aber auch keine Steine zu ziehen, dann kann man Konflikte zwischen Charakteren einfach ausspielen und die Spieler müssen sich einigen, wenn es hart auf hart kommt, ohne Hilfe vom System (denn das System so wie es ist ist auch keine Hilfe).
Oder man gibt dem aktiven Spieler das Heft in die Hand. Denn solange jede Aktion durch einen Zug sofort wieder negiert werden kann, kommt man nicht weiter. D.h. ich schieße auf dich, ich ziehe. Du nicht. Wenn ich erfolgreich ziehe, trifft dich meine Kugel. Du bist nicht tot, da du den Turm nicht umgeworfen hast, aber du bist sicherlich verletzt. Dieses System versagt aber, wenn es einen direkten Konflikt gibt, einen Wettlauf, Armdrücken, usw. Dann könnte man höchstens den Spieler ziehen lassen, der nach dem Questionaire der Stärkere ist. Am Ende bleibt es leider dabei, dass Dread und PvP nicht zusammen passen.
Ich habe gesprochen.