Man erzählt auch, erspielt aber eher, würd ich sagen. Klar, der SL erzählt viel, beleuchtet Hintergründe, beschreibt Szenen, das machen die Spieler im Prinzip auch. Aber die Handlungen der Spieler werden im Rollenspiel nunmal nicht erzählt, sondern erspielt. Bei einer Erzählung hätte man keinerlei Einflussmöglichkeiten, beim Rollenspiel im Normalfall schon, deshalb heißt das ja auch Spiel .
Die Handlungen der Spielercharaktere werden, außer beim Liverollenspiel, durchaus erzählt, denn sie werden nicht durchgeführt, sondern verbal wiedergegeben. Das ist auch Erzählung. Die Art des Erzählens ist nur eine andere: der SL ist ein sogeannter allwissender Erzähler, der Kontrolle über alles außer den SC hat und alle Hintergründe kennt, die einzelnen Spieler sind wie Ich-Erzähler, die nur über ihren Identifikationscharakter wirken und über diesen hinaus keine Einsichten haben (sollen).
Der Unterschied zwischen Erzählung und Erleben liegt, denke ich, primär in der Erwartungshaltung. Dieselbe Beschreibung seitens des SL kann sowohl dem einen als auch dem anderen Zweck dienen.
Ein Beispiel: Der Spielleiter beschreibt einen NSC, der in einer kurzen Nebenhandlung zu Beginn des Abenteuers auftaucht und einen kleineren Konflikt mit einem der SC hat, z.B. eine Eifersüchtelei. Wenn ich als Spieler jetzt eine erzählerische Erwartungshaltung habe, nehme ich an, dass dieser NSC später wohl in einem größeren Konflikt wieder auftauchen wird, weil so nach erzählerischen Prinzipien ein Antagonist aufgebaut wird. Habe ich eine Erlebnis-Erwartungshaltung, rechne ich nicht unbedingt damit und bin später, sollte der NSC wieder als Gegner auftauchen, womöglich ebenso überrascht, wie es mein SC sein sollte, oder nicht enttäuscht, wenn er nicht wieder auftaucht.
Beim Lesen von Jean Auels 'The Shelters of Stone' ist mir das besonders aufgefallen, weil ich an einen Roman natürlich mit einer erzählerischen Erwartung herangehe; in diesem Roman werden sogar mehrere potentielle Antagonisten aufgebaut, mit denen es im ganzen Buch
nicht zum erlösenden Konflikt kommt. Falls das nicht Vorplanung für den nächsten Roman ist, der bei Auels Veröffentlichungsfrequenz wohl 2020 erscheint, ist das vom erzählerischen Standpunkt her ziemlich schwach; sieht man den Roman aber als historische Simulation, also Darstellung eines potentiell historischen Erlebnisses, ist es ok.
Robin