Hallo, liebe Gemeinde!
Am Wochenende war es soweit: "Zeitgeist", das einzig wahre Zeitreise-Spiel, geschrieben von Karl "Continuum" Lauer wurde einem Playtest unterzogen. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Test mit Bravour bestanden
Der HintergrundDer Hintergrund ist schnell erzählt: Zeitreisen (in die Vergangenheit) sind möglich, dem normalen Bürger jedoch verboten. Es gibt allerdings eine Behörde, die N.E.R.D (was die Abkürzung heißt, weiß ich nicht mehr), bei der man Anträge auf Änderung der Zeitlinie einreichen kann, die dann, nach eingehender Prüfung bewilligt oder abgelehnt werden. Der Antragsteller wird natürlich von den Änderungen der Zeitlinie selbst betroffen, weiß demnach von nichts mehr, bis er von einem Agenten die Rechnung vor den Latz geknallt kriegt.
Alle Charaktere sind - wie sollte es anders sein - Agenten bei dieser Behörde und tun ihr bestes, genehmigte Zeitänderungen durchzuführen. Wobei das Beste selten gut genug ist - dazu später mehr.
Mitspieler und CharaktereGespielt haben Karl Lauer, Dorin, Vash the Stampede und ich. Einen Spielleiter gibt es nicht. Die Charaktere waren ein abgehalfterter, geschiedener Losertyp (ich), ein ehemaliger Rodeocowboy (Dorin), ein mit einer Alkoholikerin verheiratetes Muttersöhnchen (Vash) der seinen Hund ZU sehr liebte und einen Ex-Hundeführer, dessen Mutter nicht mehr mit ihm redete (Karl Lauer).
Abgesehen von den Konzepten bestanden die Charaktere nur aus jeweils 2 Personen bzw. Ereignissen in den 6 Kategorien "Familie", "Liebe", "Freundschaft", "Job", "Alltag" und "Bester/schlechtester Tag des Lebens". Keine Zahlenwerte.
Das SpielNach der Charaktererschaffung einigt man sich auf einen Auftrag, den die Charaktere bekommen (in unserem Fall: Unser Chef hat einen Strafzettel bekommen - wir sollten das rückgängig machen), dann kann man schon loslegen.
Der Grundmechanismus besteht aus einem Domino-Spiel. Richtig gelesen. Die Steine werden verdeckt hingelegt und einigermaßen ordentlich angeordnet, der Grundstein (0-0) wird offen hingelegt. Dann wird gebrainstormt, wer eine gute Idee hat, wie man den Auftrag lösen kann, zieht einen Stein und legt ihn an. Zunächst mal egal ob er passt oder nicht, es besteht später die Möglichkeit, auszutauschen. Das Ziel des Spiels ist es, die Steine ringartig anzulegen, wenn das erreicht wurde, hat man den Auftrag geschafft.
Ist der Kreis noch nicht geschlossen, dann ist dieser Versuch der Auftragslösung fehlgeschlagen. Der Spieler der erzählt hat, beschreibt auch, was schiefgegangen ist. Und beim nächsten Lösungsversuch muss das berücksichtigt werden. Beim Anlegen der Dominosteine greift der erste der beiden echt genialen Mechanismen in diesem Spiel: Der Einfluss auf die Aspekte. Die Augenzahl auf der einen Hälfte des Dominosteins bestimmt, welcher Spieler betroffen ist (Abzählen im Uhrzeigersinn, kann einen auch selbst erwischen), die auf der anderen Hälfte, um welchen Aspekt es sich dreht (darum auch 6 Aspekte) und die Summe der Augen (gerade oder ungerade) ob es positive oder negative Auswirkungen sind. Auch diese Auswirkungen werden vom ziehenden Spieler erzählt.
Egal, ob die Auswirkung positiv oder negativ ist, es gibt auf jeden Fall eine Kerbe - der Spieler ist vom Universum vorgemerkt, das sich nicht gerne in der Zeitlinie herumpfuschen lassen will. Bei 6 Kerben im gleichen Aspekt, wird man selbst aus der Zeitlinie gelöscht.
Die IntermezziJeweils nach 2 Kerben bei einem Spieler (in allen Aspekten) kommt der zweite geniale Punkt zum tragen: Die Intermezzi. Eine Szene wird geframt, der betroffene Spieler sagt, um was es sich drehen soll. Vielleicht will er negative Auswirkungen einer Kerbe rückgängig machen, vielleicht das Verhältnis zu einem der Aspekte verbessern - whatever. Der Spieler links von ihm ist für diese Szene der SL. Spieler und SL können sich einigen, welche NSC an der Szene beteiligt sind, diese werden per Schnick-Schnack-Schnuck unter den übrigen Spielern verteilt.
Die Szene wird ausgespielt, auf einen Konflikt hingesteuert, Stakes gesetzt - und der Konflikt mittels eines Steines aufgelöst: Ein Stein wird verdeckt gezogen, zwischen die beiden Konfliktparteien gelegt und aufgedeckt - die höhere Augenzahl gewinnt. Der Stein wird wieder verdeckt an seine alte Stelle gelegt. Das hat einen netten Memory-Effekt: Wenn man Steine austauschen will (und das muss man, sonst kann man den Kreis nicht schließen) oder der Kreis sich seinem Ende nähert, dann kann einem das dabei durchaus helfen, die passenden Steine zu finden - wenn man sich denn noch erinnern kann.
Wenn der Kreis irgendwann geschlossen ist, ist der Auftrag erledigt. Was dann mit den Änderungen der Zeitlinie passiert, ist noch ein wenig unklar. Bleiben sie für's nächste Spiel bestehen ist das zwar ausgesprochen charmant, wird aber schnell unübersichtlich.
Das konkrete SpielWie bereits gesagt bestand unser Auftrag darin, einen Strafzettel zu verhindern. Der erste Lösungsansatz war, daß wir den Polizisten überfallen. Klappte nicht - wir wurden verhaftet. Später haben wir dann unter anderem dafür gesorgt, daß unser Chef nie den Führerschein gemacht hatte - also war der STrafzettel der seines Sohnes. Sohn? Nichts leichter als das. Unser Chef sollte nie ein Kind gahabt haben - also besuchten ir ihn in der Vergangenheit, brachen ihm ein Bein und schmierten dann den Chirurgen, eine Vasektomie durchzuführen. Das Kind blieb trotzdem - seine Frau hatte ihn betrogen. Außerdem war in unserer Welt der Otto-Motor nie erfunden worden (also hatten alle Autos Brennstoffzellen), Parkverbote gab es nicht und dergleichen mehr.
Abstrus, aber witzig.
Die Intermezzi trugen angenehm zum Bild der Charaktere bei und brachten auch einen
Rollenspielaspekt ins Spiel - ansonsten war das pures Aushandeln auf der Metaebene. Intermezzi waren zum Beispiel:
- Vashs Frau will, daß seine überfürsorgliche Mutter auszieht
- Karl versucht, seine Mutter davon zu überzeugen, daß er auch eine richtige Arbeit macht und will sich mit ihr aussöhnen
- Ich versuche, bei meiner heimlichen Liebe (der Frau an der Brottheke) voranzukommen - und meine Exfrau kommt rein
und dergleichen mehr. War großartig
FazitZeitgeist ist ein sehr unterhaltsames Erzählspiel, mit ein paar
echt innovativen Ideen. Teilweise fühlt es sich ein klein wenig wie Inspectres an (wegen der abstrusen Ideen), hat aber vor allem in den Intermezzi Potential für Ernsthaftigkeit. Muss aber nicht
Ein paar Kritikpunkte, die ich habe sind:
- Erzählrechte: Daß ein und derselbe Spieler die Lösungsidee, den Grund für das Scheitern und die Auswirkungen auf den anderen Spieler festlegt, ist ein bischen zu viel auf einmal. Da wäre imho ein wenig Splitting angebracht
- Die Erzählrechte sollten klarer geregelt werden - da gibt es bislang keine Regelung. Wir haben uns immer am Tisch geeinigt und bei ähnlich eingespielten Gruppen mag das funktionieren, aber allgemein sollte hier eine Struktur rein, die festlegt, wer wann was erzählt.
- Die Auswirkungen der Zeitänderungen - hier sollte festgelegt werden, welche Änderungen genau bestehen bleiben und wie sie sich auswirken.
- Eine etwas feiner Körnung der mechanischen Kerben-Auswirkungen wäre nett - bislang ist das entweder keine Auswirkung oder der Exitus. Ist ein bischen wenig.
Trotz dieser Kritikpunkte ist das imho eine verdammt runde Sache die auch schon überraschend ausgereift ist. Ein paar Kinderkrankheiten (s.o.) gibt's noch, aber riesigen Spaß hat es trotzdem gemacht. Würd ich mir glatt kaufen und ich ermutige jeden hiermit dazu, das Spiel auch mal auszuprobieren - es lohnt sich