Ahh, es geht weiter, sehr schön.
Ich hatte das hier auch nicht vergessen ich wollte nur etwas "abkühlen" lassen.
Erstmal die Punkte von Gaukelmeister und dann Fredi und Dom, da ihr ähnliches ansprecht.
@Gaukelmeister
(i) Das "objektiv prüfbare" soll im Prinzip nur eine Umschreibung von "explizit" sein. Es geht um einen Verweis, einen Index. Es muss also etwas tatsächlich existieren in einer Form die die Spieler unabhängig voneinander beurteilen können, z.B. schriftlich, mündlich, ein Gegenstand der etwas anzeigt etc.
Insofern ist das der entscheidende Unterscheid zu impliziten Mitteln, die in diesem Sinne nicht "greifbar" sind. Erst durch das Berufen auf ein implizites Mittel wird überhaupt klar dass derjenige dies überhaupt als Mittel ansieht. Es muss sich dann erst herausstellen ob es überhaupt ein MdE sein kann bzw. ist oder war, indem enthüllt wird ob es alle Spieler tatsächlich teilen.
(ii) Es ist gar keine so leichte Frage ob sich prinzipiell alle MdE explizit machen lassen. Ich würde sagen prinzipiell ja, in der Praxis wird dies aber selten sinnvoll oder erwünscht sein, zumindest für ein Rollenspiel. Für das Rollenspiel gilt insbesondere dass MdE während des Spiels entstehen, dies ist nicht nur ein erwünschter Nebeneffekt, sondern Kern des Rollenspiels. Aber dazu später vielleicht mehr.
In Brett- oder Computerspielen sähe das alles schon ganz anders aus. Ich schätze das hat etwas mit Komplexität und Verarbeitung zu tun.
Was das folgende Problem angeht liegt eventuell ein Missverständnis vor: Die Explizitheit des Mittels hat mit der Explizitheit der Einigung nichts zu tun. Das sind unabhängige Dimensionen. Selbst wenn wir über ein Meta-Mittel reden, dass die Einigung auf ein explizites Mittel betrifft, muss diese (Meta-)Einigung nicht selbst explizit sein, nur die Referenz auf das Mittel muss es sein, um das Mittel explizit zu machen.
Beispiel: Der SL sagt: "Wir spielen D&D3.5". Die Spieler fangen an zu spielen.
Die D&D-Regeln sind nun explizites Mittel, da sie referenziert wurden. Die (Meta-)Einigung auf das Mittel war aber selbst nicht explizit, sie hätte es aber auch sein können, das ist egal für die Explizitheit des Mittels.
Der nächste Punkt ist der Inhalt und die Bedeutung eines expliziten Mittels. Dadurch dass explizite Mittel durch Referenz "objektiv prüfbar" sind, kann man sich hier etwas erlauben das man in der Programmierung
Lazy Evaluation nennt. Die Bedeutung eines Mittels wird erst dadurch näher bestimmt, dass sie gebraucht wird.
Wird das MdE also in einem konkreten Einigungsprozess gebraucht, kann jeder über die Referenz nachprüfen ob die Anwendung mit dem Übereinstimmt was das Mittel vorgibt. Dabei besteht natürlich immer ein gewisses Recht der Erstinterpretation durch denjenigen der mit der Regel zuerst in "Kontakt" kommt, die anderen prüfen dann quasi als Richter ob das Mittel diesen speziellen Einigungsfall abdeckt.
Die Einigung selbst kann dabei durchaus wieder implizit sein, obwohl das Mittel explizit ist. Deshalb nenne ich diesem Bereich Kompetenz. Regeln dieser Art stecken Räume von Fällen ab, die interpretationswürdig und -bedürftig sein können. So lange kein Einspruch kommt, kann ein durch Kompetenz ermächtigter Spieler mit seiner eigenen Interpretation der Regel spielen. Die Auslegung der selben Regel durch die anderen Spieler begrenzt jedoch seine Kompetenz und definiert sie dadurch erst in der Praxis.
Im Anwendungsfall der Einigung ist dieser Prozess nicht explizit, so lange er funktioniert. Deshalb: explizites Mittel, implizite Einigung.
(iii) Wikipedia sagt dazu: "Eine Konvention ist eine nicht formal festgeschriebene Regel, die von einer Gruppe von Menschen aufgrund eines Konsens eingehalten wird. Die Übereinkunft kann stillschweigend zustande gekommen oder auch ausgehandelt worden sein."
Das ist genau das was ich meine, obwohl ich es nicht nach Wikipedia definiert habe. Ich gehe aber davon aus, dass ich mich nicht zu weit vom Sprachgebrauch entferne, obwohl mir deine Auslegung des Begriffs durchaus bekannt ist.
(iv) Evidenz und Kompetenz habe ich ja schon beleuchtet. Bei Mechanik habe ich versucht den Sprachgebrauch aus dem Rollenspieljargon aufzugreifen und möglichst präzise und deckungsgleich auf das Modell anzuwenden. Mechanik ist also das "wozu man was machen muss" und das gleichzeitig geregelt ist, also: explizites Mittel, explizite Einigung.
Diskussion ist explizit, da hast du völlig recht. Genauer: Nur der Einigungsprozess ist es, und so steht es da ja auch. Das implizite an Diskussionen im Rollenspiel sind die Mittel. Gäbe es ein Mittel das klar zu einer Einigung beitragen würde bräuchte man nicht diskutieren. Man braucht nicht diskutieren, wo entweder jemand die Kompetenz hätte zu entscheiden, oder wo eine Entscheidung durch einen vorgegeben Spielprozess moderiert werden würde, also durch eine Mechanik.
Eine Diskussion könnte natürlich nie zu einer Einigung führen wenn es gar kein Mittel gäbe, nur dass diese eben implizit sind. Spieler bringen Argumente um die anderen zu überzeugen. Diese Argumente selbst sind aber nicht ausdrücklich als im Spiel zu verwendende Mittel referenziert worden, also nicht explizit.
Punkt (v) fasse ich mal weiter unten mit den Einwürfen von Fredi zusammen. Aber Dom sagte ja auch bereits, dass das L-System niemals nur ganz oder teilweise aus dem Werk bestehen kann, sondern dass immer noch etwas dazu kommen muss.
@ Fredi:
Welche Auslegung des L-Prinzips ist die richtige bzw. praktikabelste?
Das ist ein noch sehr diskussionswürdiger Punkt. Ich bin mir da selbst nicht 100% sicher und kann nur einige Argumente und Beweggründe nennen.
Du definierst das L-System als alles, was prinzipiell zur Anwendung kommen könnte. Also ist alles, was im Regelwerk steht, Teil des L-Systems.
Das stimmt nicht ganz. Es gilt nur der Teil der Regeln über den Einigkeit herrscht. Selbst wenn z.B. ein SL also "en bloc" eigenmächtig ein Regelwerk bestimmt ("Wir spielen D&D!"), und die Gruppe dies anscheinend annimmt, kann das eben nur ein Anschein sein. Tatsächlich besteht eventuell keine Einigkeit, oder es gibt andere Auslegungen von Kompetenzen, oder es gibt Widersprüche im Regelwerk, bei denen auf ganz unterschiedliche Weise jeden Spieler völlig klar ist was denn "eigentlich gemeint" war (Impossible Thing u.ä).
Ich möchte diese Auswirkungen solcher Werke nicht aus dem L-System ausschließen, weil sie in jedem Fall geltende Regeln sind und damit den Einigungsprozess steuern. Hier gilt zu beachten, dass ich das Werk als Grundlage für das Rollenspiel auch als entscheidenden Einfluss auf die Konventionen - also die impliziten Mittel - sehe. Das Werk ist nicht einfach nur eine Vorschlag für geltende Regeln der dann ganz oder teilweise 1 zu 1 übernommen wird, sondern grade in den mittelbaren (Meta-)Entscheidungen prägt das Werk auch Evidenz und Diskussion.
Ich finde alle Auslegungen des L-Prinzips (extensiv, praktisch und auch eng) haben ihre speziellen Anwendungsgebiete deswegen habe ich sie ja genannt. Man könnte Vincent mal fragen was er gemeint hat, denn ich könnte mir sogar vorstellen das es die enge Auslegung war.
Ich denke aber auch, dass die extensive Auslegung aus den von Dom genannten Gründen die für den "Alltag" am sinnvollsten zu gebrauchende ist.
Der Punkt mit der Unmittelbarkeit auf Fiktion ist in der Tat auch noch eine neue Sache und noch nicht ganz ausgereift. Dies dient im Endeffekt der weiteren Differenzierung um genaue Ebenen bezeichnen zu können.
1of3s Einwand gegen das L-Prinzip und den Systembegriff ist immer, dass System ja "alles" sei und man so ein Konzept nicht für technische Überlegungen braucht. In deiner Auslegung bestünde dieses Problem. Man hat zwar einen umfassenden Begriff für "alles was irgendwie relevant ist", aber dieser Raum ist unbeherrschbar für nähere Betrachtungen.
Aus diesem Grund - und ich denke das L-Prinzip gibt das her - habe ich schon länger dafür plädiert alles aus dem L-System heraus zu halten was sich nicht auf Fiktion bezieht. Das L-System bleibt damit Kern des Rollenspiels, aber eben nicht "das Rollenspiel". Wer letzteres gerne hätte, dem gefällt diese Einschränkung natürlich nicht.
"Alles was (fürs Rollenspiel) relevant ist" ist für mich der Social Contract.
Damit beantworte ich auch Doms Frage:
Der SoCo ist zwar nicht das größte vorstellbare Einigungssystem das existierst oder vorstellbar ist, aber das größte das wir betrachten, weil es einen Bezug zum Rollenspiel hat. Der SoCo ist also unser "catch all".
Meta-MdE gehören also auch nicht zum L-System, sondern zu anderen Systemen die im Einzelfall nun noch bezeichnet werden müssen.