Klassisches Rollenspiel (KR) steht in einer langen Tradition, die zu den Anfängen unserer Hobbies zurück geht. KR ist damit eine organisch gewachsene Kategorie von Spielen, die nur im Zusammenhang mit ihrer Geschichte zu sehen ist. Viel Grundannahmen und Regelmechanismen werden beim KR direkt aus anderen Rollenspielen (RSP) entlehnt, anstatt auf ein bestimmtes Spielziel hin ausgerichtet und designt zu werden. In diesem Sinn ist KR kein Designer/Autorenspiel.
Damit würde D&D3.5 (und noch mehr das kommende 4.0) klar kein KR sein. Denn das ist sehr klar auf einen bestimmten Spielstil hin ausgerichtet. Klar
kann man D&D auch anders benutzen, jedoch kann ich auch beispielsweise Dogs in the Vineyard problemlos dazu benutzen, ein "richtiges" Western-Rollenspiel (mit Indianerüberfällen, Schießerien, Poker usw.) zu spielen.
KR ist in ein Spieltradition eingebettet, die es Spielern leicht macht verschiedene KR zu spielen, ohne immer erst wieder die Art des Spielens neu zuerlernen müssen. Hat man einmal KR gelernt kann man jedes KR spielen. Designspiele müssen dagegen jedes für sich erlernt werden. Dies bringt enorme Vorteile beim Betreiben des Hobbies, da Mitspieler so leichter zu finden sind.
Auch das ist nicht haltbar. Wie schon des öfteren hier angesprochen wurde, gibt es riesige Unterschiede im Spiel z.B. bei DSA, D&D oder Vampire. Umgekehrt habe ich schon auf Cons mit mir wildfremden Rollenspielern "The Pool" gespielt, und es hat keine Probleme gegeben (von wegen "das ist ja seltsam anders"). Anderes Spiel => anderes Verhalten. Meiner Erfahrung nach kommt es dabei im Wesentlichen darauf an,
wie das Spiel eingeführt wird. Man kann sagen "Ey, wir machen mal was total abgespacetes Neues" oder sagen "Ich hab hier ein cooles neues Rollenspiel gekauft".
Auf der anderen Seite gibt es natürlich Spiele, die versuchen, Dinge extrem untraditionell zu Regeln, z.B. ohne Spielleiter, mit mehr als einem Charakter, mit Arkana-Karten, verteiltem Erzählrecht o.ä. Diese Spiele müssen dann tatsächlich neu gelernt werden.
KR unterstützt mehrere Spielstile dadurch, dass es keinen exklusiv bedient. Je nach Geschmack der Runde kann daher ein KR für unterschiedlichste Zwecke genutzt werden. Designspiele sind dagegen auf einen bestimmten Spielstil zu geschnitten und lassen sich nur mit Schwierigkeiten missbrauchen.
Es gibt tatsächlich Spiele, die keinen Spielstil richtig unterstützen. Das sind dann aber die, wo es auch innerhalb der Spielerschaft sehr kontroverse Diskussionen und Vorwürfe gibt (mir fällt hier insbesondere DSA ein). Bei D&D beispielsweise stellt keiner die Frage "Ist das jetzt Powergaming, wenn ich mir ne coole Waffe kaufe?"
Oder um es anders zu sagen: Der Spielstil hängt von den benutzten Regeln ab. Und zwar so, dass man es sich erst bewusst machen muss bzw. dass man es vielleicht gar nicht merkt, dass man in Spiel A anders spielt als in Spiel B.
Das "Problem" z.B. mit vielen forgigen Spielen ist, dass die einen bestimmten Spielstil "heraushängen" lassen und dass dann da sofort auffällt, dass man diesem Stil dann auch folgt.
KR setzt sich aus einer Vielzahl von Mechanik- und Settinghäppchen zusammen, die austauschbar sind. Da diese nicht designt wurden, kann man mit ihnen herumspielen und das KR so an den eigenen Geschmack anpassen. Bei Designspielen ist dies nicht ohne weiteres möglich. Ein Regeländerung bricht Designspiele sicher, aber kann KR ohne weiteres für den Geschmack der Gruppe optimieren. Wichtig ist dabei auch, dass KR immer nur ein Spielangebot sind, während Desingspiele eher zur Spielanleitung neigen.
Hm, passt auch nicht wirklich. Ok, viele der "modernen Designerspiele" kommen mit wenig Regeln und wenig Setting daher. Da kann man natürlich nur wenig weglassen oder anders machen als bei Regelmonstern. Aber schau mal auf etwas größere Spiele, wie z.B. TSoY. Schon da kann man problemlos Dinge verändern.
Anders als Designspiele ist es im KR, aufgrund der klassischen Aufgabenverteilung (SL macht Story) möglich sich kreativ zusammenzutun. Abenteuer, Settinghäppchen, Regelmechanismen, Crunch und Fluff können von SLs ausgetauscht werden. Ebenso können Spieler Charakterideen untereinander austuaschen. Bei Designspielen ist dies nur bedingt möglich, da oft keine klassische Aufgabenverteilung vorliegt und die Story meist erst im Spiel entsteht.
"SL macht Story" ist auch im klassischen Spiel nicht wirklich gegeben, es sollte eher "SL bereitet Situationen vor" heißen. Allerdings wird daraus häufig ein "SL macht Story", was sehr viele auch sehr blöd finden (ich nenne hier mal mit Railroading und Illusionismus zwei böse Forge-Wörter). Daher versuchen viele "moderne" Spiele ja auch damit zu brechen und verankern Regeln, die dem SL eine Vorbereitung stark erschweren, wodurch der Vorbereitungsaufwand sinkt.
Aber um nochmals auf DitV zurückzukommen: Wenn du da unverhofft in eine Runde reingerätst, wirst du kaum einen Unterschied zum "klassischen" Rollenspiel finden.
KR widmen sich recht stark Style-over-Substance. Es ist also weniger wichtig, wie man etwas macht, sondern wichtig, wie es das Resultat wirkt. KR können sich Realismus, Cinematik, Phantastischen Realismus etc. auf die Fahne schreiben, welche aber weniger in den Regeln festgesetzt wird, wie es für Designspiele typisch wäre, sondern vielmehr in der Summe aus Regeln, Setting und Abenteuern.
Also, wenn ein Spiel klar eine Richtung erkennbar ist (z.B. bei D&D), ist es in diese Richtung entworfen worden. Wenn keine Richtung erkennbar ist, ist dies ein Indiz dafür, dass sich die Autoren nix dabei gedacht haben (ist aber nicht zwingend der Fall).
KR besitzen aufgrund ihrer Tradition Schnittstellen zu anderen Künsten. So können sich RSPler auch kreativ auslassen, wenn sie nicht zum Spielen kommen, in dem sie Geschichten schreiben, Bilder malen etc. die auf ihr Rollenspiel bezogen sind.
Das geht immer. Da kommt es eher darauf an, ob man Spiele nur mal so zwischendurch oder als Endloskampagne spielt und wie die Leute so drauf sind. So hat beispielsweise in meiner DSA-Runde kein Spieler eine ausführliche Hintergrundgeschichte. Umgekehrt male ich für fast jedes Rollenspiel irgendein Charakterporträt, auch wenn es hinterher fürchterlich aussieht.
Wie man zusammenfassend sagen kann, begeistert KR nicht durch seine Form, sondern gerade durch seine Formlosigkeit. KR setzen nur einen vagen Rahmen, der von den Spielern beliebig ausgefüllt werden kann. KR ist der Legokasten mit dem man seinen eigene Phantasien ohne Zielrichtung bauen kann.
Das ist die ewige Frage nach Spiel und Spielzeug. Ohne Zielrichtung mach auch Lego im Übrigen nur begrenzt Spaß... (ach, ich weiß nicht, was ich bauen soll). Lego bietet viele Möglichkeiten und gibt kein Ziel vor, dennoch sucht man sich meist selber Ziele (heute bau ich mal ein Auto).
Insgesamt habe ich das Gefühl, du willst alle Spiele mit mehr als 300 Seiten A4 und Spiele (FETT) mit maximal 100 Seiten A5 (MAGER) voneinander trennen. Klar ist doch, dass FETTe Spiele viel mehr Bausteine haben, die man anpassen kann als MAGERe. Damit sind die Freiheiten, Dinge anders zu machen als vorgesehen, bei FETTen Spielen viel größer.