Den Brief zum Thema Regelumsetzung von Drakensang 2 habe ich heute bei Gamestar aufgeschnappt.
Bernd Beyreuther outet sich als Erzählonkel und sagt die Mehrheit der Rollenspieler spielt so. Vielleicht kennt er RPG nur vom Hörensagen.
Ansonsten sagt er Vernünftiges zum Umgang mit DSA4.
»Ullrich Kiesow, der leider früh verstorbene Großmeister und Schöpfer von Aventurien, musste vor 20 Jahren in steter Regelmäßigkeit entrüstete Spielerbriefe beantworten, wieso die geheimnisvolle Großmagierin NAHEMA – eine berühmte Meisterfigur des Pen und Paper-Systems – denn mit einem Kettenhemd zaubern könne. Die Regeln lassen doch so etwas nicht zu…
Die meisten Spielleiter werden über so eine Frage lachend den Kopf schütteln, wissen sie doch, das der Spaß des Spielabends über jeder Regelfuchserei steht. Erstaunlicherweise hat diese Diskussion bis heute nicht abgerissen. Man kann sie in aktuellen Foren nach wie vor verfolgen.
Grundsätzlich muss die Frage gestellt werden, was Regeln denn sind. Darauf gibt es zwei grundsätzliche Antworten, die nur bedingt vereinbar sind:
1.) Die Regeln sind das Fundament des Spiels.
2.) Die Regeln sind nur ein Hilfsmittel für das Spiel.
Das DSA4-System versucht beiden – sehr verschiedenen – Ansätzen gerecht zu werden: einmal durch detaillierte Regeln alle Facetten des Heldenlebens würfeltechnisch abzubilden und andererseits durch eine lebendige, farbige unglaubliche tiefe magische Welt eine fantastische Bühne für Romane, Abenteuer, Computerspiele, Hörspiele und, und, und zu schaffen. Jeder Rollenspielleiter wird für seine Gruppe entscheiden, welche dieser zwei Seiten wie stark Eingang in den Spielabend findet und wo die für die jeweilige Party richtige Gewichtung der beiden Richtungen liegt.
Bei einem PC-Spiel, das Hundertausende Spieler weltweit spielen wollen, muss ich als Regisseur – als Quasi-Spielleiter – diese Entscheidung treffen.
In meinen unzähligen Gesprächen mit den Fans auf Conventions, in den Foren, in unseren eigenen Rollenspielgruppen (hier in der Firma gibt es viele davon) habe ich den Eindruck gewonnen, dass die regel-priorisierende Fantreue eher die Ausnahme ist. Darüber hinaus wird die Einschätzung, wir hätten das System ungenügend umgesetzt, dem außerordentlichen Aufwand, den wir getrieben haben, nicht gerecht.
Sind Charaktere und Spielwelt wichtiger als die Regeln?Sind Charaktere und Spielwelt wichtiger als die Regeln? Auch mit DSA-Redakteuren verbindet uns die sehr gut durchdachte Einschätzung, dass die Regeln nur das Mittel zu Spielspaß sind. Nicht nur am Tisch müssen sie dem Spielspaß nachgeordnet werden. Vor allem ist beim Transport des Systems auf ein anderes Medium (vom Tisch in den PC) jede Anpassung, die dem flüssigen Spielspaß dient, gerechtfertigt. Darüber hinaus muss auch ein Kompromiss gefunden werden, um jene Spieler anzusprechen, die DSA nicht kennen und trotzdem losspielen wollen. Ein hundertprozentig regelgetreues Drakensang mit 200 Talenten hätte eine so kleine Nischen-Gruppe von Käufern erreicht, dass eine Fortsetzung heute sicherlich nicht zur Debatte stünde. Es ist ja gerade auch die in 25 Jahren gewachsene Komplexität des Systems, die es heute jungen Spielern erschwert oder unmöglich macht, den Zugang zu dem Pen und Paper Spiel zu finden.
Daneben gibt es den Aspekt des Aufwands bei der Umsetzung . Natürlich sind Teile des Regelwerks nicht oder nur in ganz kleinen Teilen umgesetzt und eingebaut. Natürlich gibt es Facetten der Umsetzung, wo wir gezwungen waren, Kompromisse zu treffen, die uns selbst nicht zufrieden stellten: die Modularität der Charakter-Erschaffung im Pen-und-Paper-Regelwerk ist tatsächlich ein großes Plus der vierten Edition. An ihrer Umsetzung hätten wir uns in Drakensang schlicht die technischen, budgettechnischen und gestalterischen Zähne ausgebissen. Die Umsetzung in 3D erfordert in allen Bereichen einen außerordentlichen Aufwand, weit über dem, den man vor zehn Jahren in 2D hatte.
Auch gibt es selbstverständlich ganze Regelbereiche, die wir uns für weitere Fortsetzungen wünschen. Hier seien die Magiebereiche der Hexen und Druiden genannt, die Wunder vieler Gottheiten, Archetypen wie Geweihter, Moha, Hexe, Firnelf, Maraskaner, Al’Anfaner … Und in der Tat wollen wir in Am Fluß der Zeit auch dort weitergehen: die Charakter-Erschaffung wird nicht nur optisch modularer, auch das System der Vor- und Nachteile und der modulare Umgang damit bei der Erstellung der Spielerfigur wird seinen Eingang in das nächste Drakensang finden.
Screenshot aus dem nächsten Drakensang-Spiel: Am Fluss der Zeit.Screenshot aus dem nächsten Drakensang-Spiel: Am Fluss der Zeit. Drakensang wird daher in Zukunft auf jeden Fall den Weg gehen, die Regeln weiter auf das PC-Rollenspiel hin zu optimieren, zugänglicher zu gestalten und den Spielspaß zu steigern. Das geschieht in enger Abstimmung mit dem Lizenzgeber, den Fans und der Redaktion. Für unsere Umsetzung und Vereinfachung in Drakensang wurden wir von unzähligen DSA-Fans gelobt und bestätigt.
Die Seele von Aventurien aber liegt für uns nicht zuerst in den Regeln, sondern in der Stimmung, der runden Geschichte, der stimmigen Darstellung der Welt und ihrer Bewohner. Der größte Wert der Lizenz liegt für uns in Rakorium, Arombolosch, Growin, Heidruna und alle den bekannten Figuren: der unglaublichen Tiefe und Vielfalt dieser fantastischen Welt, die unglaublich viel größer ist als nur das Regelwerk. Eine Welt, die aus lebendiger Geschichte, Mythologie, Götterwelt, Magie, Intrigen und Politik besteht und die Hundertausende Spieler lieben und beleben.
Und zwar nicht nur, indem sie den W20 rollen.«