Lieber Fredi,
Ich möchte mal für Abgründe im Rollenspiel plädieren. Für Abgründe und gegen "Das geht gar nicht", "das ist krank" und "DU bist krank". Ist mir einfach mal ein Bedürfnis.
Mir wurde nämlich erst mit der Zeit bewusst, dass es tatsäclich nicht um Akolythenmacherei sondern darum, dass ein solcher Spielstil akzeptabel ist. Vor allem nach Vermis Post:
Andererseits habe ich es aber auch satt, nachts wachzuliegen, weil irgendwas das irgendein trauriger Wichser online über mich oder meine Freunde geschrieben hat mich wieder mal so wütend macht, dass ich nicht schlafen kann und ich mich dann mit einer hitzköpfigen Erwiderung nachts um drei um Kopf und Kragen rede.
Kinners, Kinners!
Natürlich geht das alles. Und selbstverständlich sollte man dieses ganze bigotte Gewäsch, wie abartig es sei, so etwas im Rollenspiel zu verwenden, auf keinen Fall ernst nehmen!
Alles weißes Rauschen. Zumal man ja auch nicht vergessen darf, dass vermutlich auch unter Rollenspielern — wie in der ganzen Gesellschaft — eben ein gewisser Satz an Sexisten, Rassisten (Wr haben einen Stammantisemitsimus von relativ stabil 10-15% in der BRD) und einfach spießigen Idioten rumläuft.
Ich denke, dass alles was im Rollenspiel passiert gänzlich wertneutral ist. Ich würde im übrigen nicht einmal eine F.A.T.A.L.-Runde als irgendwie moralisch fragwürdig ansehen, nur mir zu langweilig.
Doch nun zum Thema:Es klingt ja so, als würdest Du Dir so etwas im Rollenspiel nicht nur wünschen, sondern auch machen. Wie sind denn Deine Erfahrungen?
Um meine Frage etwas deutlicher zu machen:
Ich bin Erzählspieler. Ich möchte interessante Geschichten erzählen. Aber mehr noch, ich möchte alle Facetten des Menschseins beleuchten. Und dabei möchte ich nicht bei "Abenteuern" Schluss machen. Die sind eine mögliche Art von Geschichten, aber eben nicht alles.
Mir scheint ja das Medium / die Technik Rollenspiel vor allem für das Prinzip
Abenteuer geeignet, also einer Thematik, die literarisch eher unter Pulp bzw. Trivialliteratur läuft. Das sagt nichts über die Qualität im Rollenspiel aus, der Medienwechsel ist hier entscheidend. Stirb Langsam ist ja ein sehr guter nd wichtiger Film! Er wäre aber ein recht triviales Buch. Das gilt auch umgekehrt: Verfilmungen guter Bücher ergeben oft mittelmäßige Fime: andere Kriterien.
Natürlich gibt es gute Shakespeare-Verfilmungen — einerseits weils Shakespeare auch eine Menge Action bietet und einfach so stark ist, dass er immer noch durchscheint andererseits weil es auch (kon)geniale Filme wie Kurosawas Ran gibt.
Was mich nun wirklich interessiert: Klappt so etwas mit Spielen wie PTA? Mir schienen diese nach den Beschreibungen eher für die Soap-Opera geeignet zu sein; diese behandeln natürlich auch abgründige Sachen aber eben selten abgründig, sondern eher kitschig. Dies dünkt mir allerdings das größte Problem an Deinem Anspruch zu sein: Schindlers Liste ist ja auch keineswegs abgründig, sondern eben kitschig — aber dennoch ein ganz guter Film. Ich kann mir ehrlich gesagt keine wirklich 'anspruchsvolle' Behandlng vom Holocaust im Rollenspiel vorstellen. Eher so etwas wie Werewolf Women of the SS.
Dazu gehört für mich auch, sich mit den Abgründen des Menschseins zu befassen. Wenn ich mich mit den Mitläufern der Nazizeit befassen will, muss ich mich mit den Gräueltaten befassen. Wie konnte ein liebender Familienvater jemals Menschen vergasen? Zur Beantwortung der Frage im Spiel muss ich mich mit den Abgründen befassen und die Spannung aushalten, die sich zwischen Abscheu und Verständnis aufbaut. Eben die Spannung, ein Mensch zu sein.
Das abgründige am Holocaust ist doch aber, dass die Menschen sich diese Fragen eben nicht gestellt haben. Entweder macht man daraus nun Geschichten wie Schindlers Liste, dann hat man wieder Abenteuer/Kitsch, oder man will wrklich KZ-Alltag spielen, doch auch das würde wohl eher weniger anspruchsvoll und abgründig werden — vermute ich zumindest.
Viele Grüße
kirilow