Sakrileg! Seit ich hier im Forum bin, habe ich 887 Postings lang das Storytelling als höchste Form des Rollenspiels postuliert. Kleine Ungereimtheiten in meiner eigenen Spielweise habe ich damit erklärt, dass ich halt noch kein vollendeter Storyteller bin. Ich war nicht neutral bei meiner Suche nach dem Sinn, sondern ging immer von vornherein vom "Erzählen einer guten Geschichte" aus. Was in den allermeisten Fällen auch zutrifft. Aber eben nicht in allen.
Dann kam dieser "Oh brother where art thou"-Thread, und ich erwischte mich bei folgender Aussage:
na ja, wenn man Roadmovies nicht mag, hat der Film natürlich einen schweren Stand... Es geht dabei nun mal um die Porträtierung seltsamer Charaktere, um schöne Landschaftsaufnahmen und gute Musik, die sich zu einem stimmungsvollen, wenn auch handlungsarmen Film verbinden.
Ich liebe solche Filme, bei denen man sich einfach davontreiben lässt. Egal, ob die Stimmung eher entrückt-melancholisch ist wie bei dem zitierten film, oder brutal-morbid wie bei "Natural Born Killers", nachdenklich-traurig, gelöst-fröhlich, andächtig-verträumt... Dass ein Film kaum Handlung hat, stört mich nicht, solange die Charaktere und Schauspieler mir gefallen und die Atmosphäre stimmt.
Lässt sich das nicht auch auf das Rollenspiel übertragen? Wir haben schon oft von Atmosphäre als einem essentiellen Element guten Rollenspiels gesprochen, das dann zur erzählten Geschichte bzw. zu den dargestellten Charakteren beiträgt. Haben wir nicht das Pferd von hinten aufgezäumt? Ist nicht das, was die Erfahrung des Rollenspiels so einzigartig macht, eben gerade die Stimmung, die Atmosphäre? Ist nicht sie allein der Faktor, der die Intesität des Erlebnisses, die Dichte des Gefühls für die Spielwelt bestimmt?
Eine fesselnde Atmosphäre mag man einerseits durch eine rasante, spannungsgeladene Geschichte voller dramatischer Konflikte und Entscheidungen erzeugen. Andererseits mag sie auch durch die Beschreibung stimmungsvoller Settings und Situationen, vielleicht untermalt durch passende Musik, und durch die Porträtierung interessanter und faszinierender Charaktere entstehen. Ersteres wäre der Storytelling-Ansatz, letzeres, zumindest in Teilen, der Method-Acting-Ansatz.
Beide sind gleichwertig und frei miteinander kombinierbar. Am Besten ist es, wenn eine Verflechtung gelingt. Das Ziel ist aber nicht per se die Darstellung eines Charakters, oder die stimmungsvolle Beschreibung seiner Umgebung, seine Verwicklung in eine spannende und unterhaltsame Geschichte oder auch einfach einen dramatischen Kampf. Das einzige, worauf es wirklich ankommt, ist die durch das Spiel erzeugte Stimmung, die Atmosphäre. So sieht's aus, Freunde!
Wer wagt es, zu widersprechen?
Und wie soll ich mich jetzt nennen, da ich nicht mehr das Storytelling auf meine Flagge schreibe? Atmospheric? Mood-Setter?