Ich antworte dann mal auf den Modernen SL mit dem Realen SL... zumindest so wie ich ihn bisher immer erlebt habe:
Der Moderne SL ist ein pseudodemokratischer nicht-Herrscher. Der Reale SL existiert entweder als Herr von Gruppenvertrags Gnaden, oder als recht armseeliges Blatt im Winde, das von dem wahren Rundenherrscher dazu benutzt wird, die Früchte der Arbeit zu ernten, ohne etwas zurück zu geben. Railroading und Willkür sind sicher nicht schön - aber manchmal muß man eier zerbrechen um ein Omlett zu machen, oder eben hungrig ins Bett gehen. Überstrapazierte Metaphern beiseite, ist es meiner Ansicht nach kein Privileg zu leiten, und schon gar keine Pflicht.
Was Hilfsmittel angeht, ist der Moderne SL natürlich ein Gott, der ganze Scharen wertvoller Werkzeuge kommandiert - der Reale SL dagegen steht all zu häufig vor "SuperTool XYZ", weiß das er noch exakt 2 Stunden Zeit hat, die Spielrunde vorzubereiten, und skizziert lieber dann doch einen von der Stange plot den er aber in der Zeit zusammenschreiben kann, anstelle anzufangen, sich in SuperTool XYZ einzuarbeiten, und mit leeren Händen vor den Spielern zu stehen. Vom wert insbesondere einer Mindmap oder eines Relationship Diagram abgesehen. Spielerfiguren ändern gern mal in 3 Sekunden (4 Wochen realizeit) komplett ihre Meinung über NPCs, und gehen von abgöttischer Liebe auf bedingungslosen Hass über.
Der Moderne SL gewinnt durch jedes neue Werkzeug wertvolle Zeit. Der Reale SL verliehrt mehr Zeit als er gewinnt, und grämt sich all zu oft, das er den dadurch selbst gesteckten Ansprüchen im Spiel nicht mehr gerecht werden kann.
Der Moderne SL bezieht seine Spieler in jeden Aspekt der Welt mit ein. Der Reale SL versucht es, und sieht wie der eine Spieler seine masturbatorischen Phantasien auf biegen und brechen durchsetzt (kann er gerne machen, aber kommt mir in Anwesenheit von 6 anderen dann "etwas" seltsam vor), der zweite zuckt mit den Achseln und meint "zu viel Arbeit, ich will hier spass haben" und der Dritte versucht es, aber schafft es 2/3 miss zu verstehen, und das letzte drittel genau orthogonal zur intention des Realen SL zu organisieren, so das bald der Reale SL sein "Baby" nicht mehr wieder erkennt, und obwohl er noch 90% der Arbeit hat, nicht mehr behaupten kann das das fertige Spiel irgendwas mit seinem Plan zu tun hat.
Der Moderne SL hat die Idealen Spieler zur Verfügung. Der Reale SL weiß, das Termine dünn gesäht sind, und häufiger als nicht "Catpiss Man" und "Captain Munchkin" die einzigen Optionen sind, auf eine relevante Zahl an Spielern zu kommen. Ich stimme mit dem OP überein (oho!) das der SL auch nur ein Mensch ist, ein realer Mensch, von dem eben nicht irgendwelche transzendenten Leistungen erwartet werden sollten. Gleiches Recht für die Spielerschaft.
Die Realen Spieler sind genau so "sophisticated" wie früher. Sicher, es gibt mehr schlechte Fantasy-Bücher, aber im Grunde ist es recht egal, wie viel Literatur jemand studiert hat - Mühle macht einem auch dann Spass, wenn man grade mal die Regeln kennt, ohne Historie des Spiels. Man kann einen "Wow, Titten!" Spieler genau so wenig zum Method Acting bekehren, wie einen Vampire-Fag zum Dungeon Crawl. Entweder sie kommen dahin, oder nicht. Der Reale Spielleiter kann sich bis in die Neurose reden, indem er versucht, Blut aus drei Steinen zu pressen.
Ach ja, der Moderne SL ist natürlich auch noch begabter Impro-Actor. Er kann die Zeit dafür mühelos aus der Ersparnis durch Tools und seine Idealen Spieler beziehen. Der Reale SL benötigt dagegen Schlaf, hat einen Beruf und andere Hobbies jenseits des Rollenspiels. Evtl sogar *gasp* eine Beziehung, Kinder und andere Pflichten.
Ok, zurück in den Konstruktiven Modus:
Was mir das Leben und den Spass als SL ganz ganz massiv gesteigert haben war es, böse zu werden. Ja. Böse. Spieler dürfen gerne Vorschläge machen. Entscheidung über das ob und wie der Umsetzung liegen ganz und gar bei mir, und "hatte keine Lust mir darüber gedanken zu machen" reicht für eine Ablehnung. Ich verwende momentan ausschließlich Konserven, und bin so froh, das ich nur noch vorbereiten muß, wenn ich auch Lust dazu habe, es ist kaum in Worte zu fassen.
Spieler haben eine Figur, die sie nach Gutdünken führen. Das ist ihr Einfluss, und alles darüber hinaus kommt dem Beten in der Realen Welt gleich. Man kann hoffen und glauben, das es etwas bringt, aber wissen wird man es zumindest in diesem Leben nicht. Damit hat dann der Spielleiter die Freiheit, sein Szenario so auszugestalten wie er will. Wenn die Spieler daran keinen Spass haben... dann ist es primär ihr eigenes Problem. Sicher, man muß es nicht drauf anlegen, und kann versuchen auf sie einzugehen - aber sollte es niemals zu lasten des eigenen Spasses tun.
Ansprüche, seid geknechtet! Ich werde weder benotet noch bezahlt. Insofern ist ein Abend mit Gossenhumor, clichees und einem Hektoliter Blut ein gelungener Abend, wenn die Leute denn Spass haben. Jeder Spielt wie er es möchte, und wenn der Prinz dann eben ein Abziehbild, die Maid ein dünnes Wunschdenken und der Plan des bösen Magiers aus dem letzten Film stammt - solang alle ihren Spass haben ist das Ziel erreicht.