Der Informatiker in mir sagt:
Der Linguist in mir sagt: Geschichte ist der
Prozess (nicht das Ergebnis) des Austausch verbaler und nonverbaler Codes um einen über bestimmte Modalitäten strukturierten
Diskurs zu ermöglichen.
Und der Literaturtheoretiker fügt hinzu: Geschichte wird durch das "übereinanderschaufeln" von Bedeutungsebenen erzeugt und dieser Prozess ist auf einer abstrakten Ebene dem Rollenspiel verdammt ähnlich.
Der einzige Unterschied: beim Rollenspiel wird der Grad der "Dekodierung" der Geschichte durch die Spieler übernommen, welche den SL in eine Richtung der Spielwelt "stoßen" und ihn zwingen sich eine Bedeutung für diesen auszudenken.
z.B. in einem Roman führt der Author langsam den Protagonisten ein, lässt ihn die Tatorte von schaurigen Verbrechen entdecken und dann schließlich das Versteck des Mörders finden. Jedes dieser Elemente hat seine eigene, für die Geschichte bedeutungsvolle Funktion. Lässt man den Schluss weg: es ist immer noch eine Geschichte. Enthüllt man bereits auf Seite 2 wer der Mörder ist: es ist immer noch eine Geschichte. Verändert man die Perspektive: es ist immer noch eine Geschichte.
Warum? Weil die Ereignisse Bedeutung haben und zueinander in Beziehung stehen.
Es ist nicht erst eine Geschichte, wenn es fertig ist, sondern der
Prozess des Erzählens (egal ob der beim Schreiben des Manuskripts, beim Lesen des fertigen Buches oder beim Lauschen einer mündlichen Erzählung erfolgt)
ist die Geschichte.
Natürlich muss man sich dabei von formalisierten und fixierten narrativen Strukturen lösen- der Prozess des Rollenspiels ist
non-lineares Geschichtenerzählen- so weit nichts ungewöhnliches, jeder Roman ist in seiner Konzeption non-linear- mit dem großen Unterschied zu unseren modernen Erzählmedien, dass beim Rollenspiel (wie auch beim ursprünglichen "Geschichten erzählen") es eine direkte Interaktion zwischen dem "Erzähler" und seinem "Publikum" gibt, was wiederum die Grenzen zwischen diesen beiden Entitäten verwischt und ihre Aufgabenbereiche organisch ineinander übergehen lässt (im klassischen Rollenspiel besonders auf homodiegetische Weise- das was idR als
Immersion bezeichnet wird).
Niemand würde auf die Idee kommen zu sagen "Was? Ich soll einen
Roman schreiben? Das ist blöd, da kann ich meine Kreativität doch gar nicht ausleben und werde auf ein festgelegtes Ende
gerailroadet! Nicht mit mir!" Und trotzdem ist das der erste Gedanke vieler Spieler, wenn man das (viiiiel weiter gefasste und offenere) Konzept "Geschichte" in den Raum wirft. Irgendwie setzt sich in ihren Köpfen der verrückte Gedanke fest, dass "Story" gleichzusetzen ist mit "abarbeiten vorbereiteter Erzählmuster" (nicht mal ein tausendstel Bruchteil von "Story"). Komisch.
Also nochmal für die Langsamen:
Geschichte= der Prozess des "Erlebens", das "Herantasten" an Fiktion/Spielwelt und die langsame Etablierung von Querverbindungen (wer die nicht mag und sagt "ich will einfach nur 'die Spielwelt darstellen'" kann wieder GTA oder WoW spielen gehen, da hat er genau das- eine Spielwelt in der man alles machen kann und alles egal ist- weil keinerlei Querverbindungen zwischen den Spielelementen existieren (abgesehen von denen, welche sich die Spieler selbst- durch die "Community" der Gilden- schaffen)- es ist "friss oder stirb").
Erzählung= in mündlicher oder schriftlicher Form (Charaktertagebuch, Actual Play, "Ich erzähl dir mal von meinem Charakter")
Darstellung (
Ergebnis!) einer Geschichte.
Sodele.
P.S.: "Handlung" (plot) ist was ganz anderes, das ist nur eines (von vielen) Werzeugen, die bei der Etablierung einer guten Geschichte helfen.