Autor Thema: [Brainstorming] Ziel, Handlung, Ergebnis  (Gelesen 1637 mal)

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Offline Beral

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[Brainstorming] Ziel, Handlung, Ergebnis
« am: 4.11.2008 | 22:37 »
Stellen wir uns eine einfache Rollenspielszene vor. Die Charaktere sitzen in einer Taverne. An der Theke beginnt ein besoffener Typ die Gäste anzupöbeln und steigert sich immer mehr rein. Einem der Charaktere wird's zu bunt, er will den Betrunkenen zum Schweigen bringen, geht hin und haut ihm in die Fresse. Der Kerl fällt vom Hocker und bleibt bewusstlos liegen. In der Kneipe herrscht Ruhe und der Charakter kehrt zufrieden zu seinem Platz zurück.

Soweit der objektive Tatverlauf.

Ich bringe einen willkürlich zusammengesetzten Strukturbaukasten ins Spiel, mit dem wir an dieser Szene herumfummeln können:
Ziel ---> Handlung ---> Ergebnis

Dieser Baukasten grenzt die Handlungen der Charaktere ein. Sie beginnen mit einem Ziel und enden mit einem Ergebnis. Die Handlung führt vom Ziel zum Ergebnis, von einem Zustand zum nächsten. Das Ergebnis kann, muss aber nicht deckungsgleich mit dem Ziel sein.

Ich wende den Strukturbaukasten auf das obige Beispiel an. Halgar hat das Ziel, den Betrunkenen zum Schweigen zu bringen. Die Handlung, die das realisieren soll, ist ein Faustschlag. Im Ergebnis schweigt der Betrunkene, weil er bewusstlos ist.

Wofür könnte diese Strukturierung nützlich sein?
Die dargestellte Szene ist ein Interaktionsprozess. Das ist nicht einfach eine Geschichte, die sich ein Autor ausdenkt, das ist eine Geschichte, die aus der Verhandlung mehrerer Mitspieler hervorgegangen ist. Verhandlungen müssen irgendwo ansetzen. Recht gebräuchlich ist z.B. die Übereinkunft, dass Ergebnisse nicht einfach bestimmt werden, sondern dass ein Würfelwurf einen Einfluss darauf nimmt, indem er zwischen Handlung und Ergebnis eingeschoben wird.

Schon mit dem kleinen Baukasten lassen sich etliche Möglichkeiten ableiten, wie die Szene hätte dargestellt werden können. Welche Elemente werden von wem angesagt und wer entscheidet wie über den Ausgang? Welche Rolle, wenn überhaupt, haben dabei die Würfel?

Nur ein paar Beispiele:
* Der Spieler sagt, welches Ziel er verfolgt und auf welchem Wege er es erreichen will. Der SL sagt das Ergebnis an.
* Der Spieler sagt, was er tut, ohne sein Ziel zu verraten. Der SL sagt das Ergebnis an.
* Der Spieler sagt, welches Ziel er verfolgt und würfelt. Der SL sagt die Handlung und das Ergebnis an.
* Der Spieler sagt, welches Ziel er verfolgt und würfelt. Zu der Qualität des Wurfes überlegt sich der SL ein passendes Ergebnis und der Spieler eine passende Handlung.
* Der Spieler sagt Handlung und Ergebnis an, würfelt. Anhand der Qualität des Wurfes wird entschieden, wie weit die tatsächlichen Handlung und Ergebnis von den angesagten abweichen.
* Der Spieler sagt das Ziel an, würfelt, und der SL gibt das Ergebnis bekannt.

Und so weiter. Es gibt etliche Kombinationsmöglichkeiten, die ich bei weitem nicht alle überblicke. Zu den drei Elementen des Baukastens kommen die Würfelwürfe hinzu, die auf verschiedene Art und Weise die Verhandlung der Szene beeinflussen. Sie können z.B. eine ja/nein Entscheidung über das Ergebnis fällen. Oder sie geben eine Qualität der Handlung an, wonach das Ergebnis von einem Mitspieler bestimmt oder in der Runde verhandelt wird. Das Ergebnis kann also offen oder vorherbestimmt sein. Die Erzählrechte können verschieden verteilt sein. Einzelne Elemente aus der Reihe Ziel -> Handlung -> Ergebnis können ausgelassen werden.

Welche Konsequenzen hat das für das Rollenspiel? Welche Vor- und Nachteile ergeben sich aus den jeweiligen Zugangsweisen? Welche Zugangsweisen sind für welche Zielsetzungen nützlich bzw. nutzlos? Welche Rolle spielt der Inhalt der Szene? Welche Rolle spielen die Beziehungen und Vorlieben innerhalb der Mitspielergruppe?

Es ist nur ein Brainstorming meinerseits. Vage Gedanken, die ich in kein sauberes methodisches Konzept einordnen kann. Fragen, auf die ich keine Antworten habe.
Spielertyp: Modellbauer. "Ich habe das Rollenspiel transzendiert."

"Wir führen keinen Krieg...sind aber aufgerufen eine friedliche Lösung auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen." Gerhard Schröder.

Offline Merlin Emrys

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Re: [Brainstorming] Ziel, Handlung, Ergebnis
« Antwort #1 am: 5.11.2008 | 10:28 »
Nur ein paar Beispiele:
* Der Spieler sagt, welches Ziel er verfolgt und auf welchem Wege er es erreichen will. Der SL sagt das Ergebnis an.
* Der Spieler sagt, was er tut, ohne sein Ziel zu verraten. Der SL sagt das Ergebnis an.
...

In der Praxis läuft es in den Runden, in denen ich spiele, darauf hinaus, daß das je nach Situation gehandhabt wird und fast alle denkbaren Möglichkeiten irgendwann auch genutzt werden, zumal alle Mitspieler grundsätzlich auch füreinander Vorschläge einbringen können oder an den Probenmodifikationen mitfeilen dürfen.
  • Ob das Ziel angesagt wird oder nicht, hängt davon ab, ob es selbsterklärend bzw. aus dem Geschehen klar zu erkennen ist (dann nicht), ob es geheimgehalten werden soll oder nicht (das kann jeder für sich entscheiden) und ob es nachgefragt wird oder nicht (das können Spieler und Spielleiter jederzeit tun, um ihrerseit ein klareres Bild von der Situation zu bekommen). Der Vorteil eines explizit geklärten Ziels ist natürlich, daß es insgesamt weniger Mißverständnisse gibt; der Vorteil, Ziele nicht zuerklären, liegt in der Zeitersparnis, einem glatteren Spielfluß und in der Möglichkeit, daß es zu Überraschungen kommen kann.
  • Die Beschreibung von Handlungen oder Handlungskomponenten werden, unter Umständen nach Vorschlägen, jeweils von jemandem übernommen, "der das letzte Wort in diesen Dingen hat", und es wird spätestens vor der Handlung geklärt, wer das ist. In den meisten Fällen ist ein Spieler, der für einen "eigenen" Charakter entscheidet; wenn es aber um tierische Begleiter oder begleitende Nebencharaktere geht, kann es durchaus sein, daß der Spielleiter letztlich entscheidet. Ebenso hat in der Regel er das Recht der Beschreibung von Umgebungseffekten und NSC, es sei denn, ein Spieler hat darüber Macht bekommen. Vorteile und Nachteile fallen mir jetzt schwer zu nennen; hier ergänzen sich in den Runden Regelwerk und soziales Verhalten (sowie gegebenenfalls Plausibilität) und legen sich jeweils wechselseitig aus. 
  • Proben können in bezug auf ihre Notwendigkeit und Modalitäten angeregt, ausgehandelt oder einfach festgelegt werden. Letzteres hat wiederum seine Vorteile in bezug auf glatten Spielfluß und Zeitersparnis, das Aushandeln kann zu mehr Plausibilität, Gerechtigkeit oder einfach höherer Zufriedenheit führen. Das einfache Festlegen muß allerdings, wenn es nicht durch diesen geschieht, vom Spielleiter noch gebilligt werden, was aber mit einem Nicken getan sein kann (nominell würde es also wohl trotzdem als "Verhandlungsprozess" eingeordnet werden müssen).
  • Wenn keine Probe notwendig ist, entfällt der Schritt des Würfelns und es geht weiter mit dem nächsten Beschreibungsteil. Dieser Fall tritt zumeist ein, wenn offenkundig ist, daß etwas gelingen oder mißlingen wird, wobei die Plausibiliät durch Regelwerksmechanismen ergänzt werden kann (etwa Reegln zu "automatischen Erfolgen", wenn bestimmte Wertekombinationen vorliegen). Vorteilhaft ist daran (neben Spielflußglättung und Zeitersparnis) auch eine Abschätzbarkeit der Fiktion; bestimmte Dinge werden mit entsprechender Sicherheit eintreten und lassen sich damit planen und in Überlegungen einbeziehen. Es kann allerdings sein, daß ein Spieler "trotzdem" würfeln möchte, und sein Wunsch hat dann ein entsprechend hohes Gewicht.
  • Das Würfeln oder alles Vergleichbare wird (wie die Ansage von Handlungen) von dem übernommen, "der das darf", festgelegt aus einem Zusammenspiel zwischen Regelwerk, sozialen Regeln und gegebenenfalls Plausibilitätserwägungen heraus. Der Spielleiter kann allerdings einem Spieler dies Recht "abnehmen" und verdeckt würfeln, wenn er der Ansicht ist, daß das insgesamt vorteilhaft ist. Der Vorteil, wenn ein Spieler würfelt, ist, daß er sich als "Handelnden" und "Beeinflussenden" wahrnimmt; im Weiteren kommen wir da in den Bereich von Glaubenskriegen über die Frage, wie Vor- und Nachteile sich zueinander verhalten und wie sie zu gewichten sind; ich halte an dieser Stelle soziale Erwägungen für ausschlaggebend.
  • Nach dem Würfeln folgt wiederum ein Beschreibungsteil, jeweils geführt durch Vorschläge, wenn welche kommen, oder Festlegungen durch die jeweils dafür Berechtigten (es gelten die genannten Bedingungen). Die Beschreibungsteile vor und nach dem Würfeln können kurz oder lang ausfallen, je wie die Situation es erfordert: Wenn sich aus einer detailliert beschriebenen Handlung ergibt, daß sie eigentlich nur gelingen oder mißlingen kann, kann die folgende Beschreibung sich darauf beschränken, das Ergebnis zu konstatieren - wenn der Wurf offen erfolgt ist, kann das jeder, der die Regeln anwenden kann. Wenn dagegen die Beschreibung der Handlung noch ein breites Spektrum an Effekten zuläßt (die unter Umständen alle im Spektrum "gelungen, und zwar folgendermaßen" liegen können), kann die Auswertung sehr viel detailliert erfolgen. Das hängt auch davon ab, was das Regelwerk an dieser Stelle für Auslegungsweisen eröffnet und wie die sich plausibel in dem Moment einsetzen lassen, und davon, ob das Regelwerk und vor allem die Würfelmodalitäten "ungewöhnliche" Würfelergebnisse zulassen, denn ein eintretendes "ungewöhnliches" Ergebnis kann aus einer einfachen ja/nein-Entscheidung eine genauer zu definierende machen. Den Vorteil dieses Vorgehens sehe ich in einem Plausibitätsgewinn, der sich trotzdem mit zeitlichen und Spielflußerwägungen verträgt und für soziale Notwendigkeiten jederzeit offen ist. Nachteilig kann es werden, wenn Differenzen darüber bestehen, wer welche "Rechte" hat und ob die Entscheidung tatsächlich plausibel und angemessen ist.

Welche Konsequenzen hat das für das Rollenspiel? Welche Vor- und Nachteile ergeben sich aus den jeweiligen Zugangsweisen? Welche Zugangsweisen sind für welche Zielsetzungen nützlich bzw. nutzlos? Welche Rolle spielt der Inhalt der Szene? Welche Rolle spielen die Beziehungen und Vorlieben innerhalb der Mitspielergruppe?
Der Inhalt der Szene, "wer etwas darf" und soziale Bezüge kommen in jeder Szene verschieden zusammen, und meines Erachtens kommt den sozialen Bezügen ein gewisses Primat über alle anderen Aspekte zu. Für einen ungeübten Mitspieler sind andere Vorgehensweisen angeraten als für einen geübten (z.B. was die Formulierung der Ziele angeht), für ein Kind in einer Runde von Erwachsenen können Regeln vereinfacht oder gebeugt werden, ... Ein Spieler, der lieber "auf Nummer sicher" geht, hat in gewissem Umfang "ein Recht darauf", es so zu halten, und ein Spieler, der gerne viel Würfeln möchte, hat seinerseits darauf in gewissem Umfang "ein Recht". Der Spielleiter kann in gewissem Rahmen Dinge nach seinem Geschmack festlegen, eingeschränkt vor allem davon, was die Spieler ihn entscheiden lassen wollen, aber auch von Erwägungen zur Plausibilität und zum "Usus" der Gruppe.
"Wer etwas darf" seinerseits hat soziale Komponenten, aber auch welche, die sich aus dem Inhalt des Regelwerks ergeben - und teils auch solche, die sich daraus ergeben, wer das Regelwerk überhaupt kennt. Wenn der Spielleiter mindestens einen Teil des Regelwerks schlechter kennt als mindestens einer seiner Mitspieler, kann es sein, daß ein Spieler bestimmte "Rechte" von ihm übernimmt (z.B. die Probenauswertung) - sozial eine brenzlige Situation, die offen zu thematisieren und zu klären vorteilhaft sein dürfte.

Über allem steht für mich die Zielsetzung: "Wir möchten gemeinsam auf Dauer eine möglichst ausufernde Menge Spaß haben." Daraus ergibt sich, daß eine Entscheidung, mit der ein Spieler "nicht leben kann", vermieden werden sollte, und zwar auf allen Ebenen der Entscheidung. Ein Spieler, der nicht gerne stundenlange taktische Erwägungen anstellen möchte, wird seine Gruppe also dahin tendieren lassen, Dinge schnell zu klären, wohingegen ein Spieler, der sich gern erst ordentlich informiert, bevor er sein weiteres Vorgehen festlegt, eine Gruppe mehr zu taktischen Erwägungen tendieren lassen wird. Und die beiden Spieler in einer Runde zusammen werden ein Problem, daß sich nur sozial lösen läßt :-) . Ebenso kann aber der Ergebnisraum einer bestimmten Entscheidung danach eingegrenzt werden, was der Spieler ertragen kann und was nicht - vielleicht kann eine falsche Entscheidung dazu führen, daß ein Charakter überfallen und ausgeraubt wird, aber ein bestimmter Gegenstand wird davon ausgenommen, weil er dem Spieler wichtig ist. (Oder der Spieler bekommt die bindende Zusage, daß der Charakter diesen Gegenstand schnell wiederbekommen wird... vielleicht ist er den Dieben ja aus dem Bündel gerutscht und liegt ein paar Meter weiter auf dem Boden?)
« Letzte Änderung: 5.11.2008 | 10:32 von Merlin Emrys »