Ehrlich gesagt war ich bereits von dem Vorschau-PDF, das es zu dieser Edition gibt, vergleichsweise enttäuscht. Einerseits wurde das fantasy-lastige, mystische Layout mit den Runenverzierungen aus HeroQuest 1.0 (so will ich die Ausgabe von 2003 nun mal in Anlehung an Zornhau nennen) beibehalten, auch der Fließtext in das gleiche Font gesetzt, aber HeroQuest soll nun quasi jedes beliebige Abenteuer-Genre abdecken, à la GURPS und True20. Spezialagenten, Space-Opera-Raumfahrer, Horrorfilmfiguren, Superhelden, Cyberpunk, Giant Robots (!), Fantasy, Sword and Sorcery, sogar Teenie-Seifenopern, Furries und Cartoons? Da bin ich seit einiger Zeit mehr als skeptisch, da es für alle diese Dinge doch mittlerweile sehr gut durchdachte und supportete Indie-Systeme gibt, die sich speziell einem einizigen festen Genre widmen. Auch scheint ja der allgemeine Zeitgeist im RPG-Bereich dergestalt zu sein, dass man sich an die Vorgaben von "
system matters" und "
genre matters" hält.
Insofern hätte nun diese neue Edition eines nicht-glorantha-bezogenen HeroQuest praktisch nichts Besonderes mehr, keinen eigenen speziellen Kniff, Trick, Clou oder Geschmack (
flavor). Zumindest ist das mein erster Eindruck davon.
Man möge mich hier bitte auf gar keinen Fall falsch verstehen. Die große Ironie ist für mich nämlich, dass ich mich eigentlich sehr über diese neue (zweite) Edition von HQ
freuen sollte... Warum nur tue ich das jetzt nicht? Im Grunde macht diese Edition genau das, was ich vor mittlerweile 8 Jahren (!) schon allein zu Hause gemacht habe. Sie überträgt die Mechanismen von HQ, die Regeln mit den freien Abilities auf andere Genres. Ich tat das damals--noch mit Hero Wars--für die Fantasiewelt Eternia von Masters of the Universe (ja, der alten Kult-Spielzeugserie) und spielte mein "HeroQuest Eternia" zum Spaß auf mehreren Cons. Die erste und beste Runde dieser Art, bei der ich sogar eine einzelne offizielle Hörspielfolge von Masters of the Universe als Abenteuer durchspielte, kam sogar zu der besonderen Ehre, auf dem Tentacles Con im Sommer 2001 gespielt zu werden, ein Jahr nachdem Hero Wars überhaupt in den Druck ging. Ich erinnere mich noch heute sehr gern an diese Runde, die fabulös gut lief und fast neun Stunden dauerte. Dabei kannten drei von vier Spielern die Serie Masters of the Universe vorher überhaupt nicht.
Wenig später zog ich dann zumindest in Erwägung, auch diverse andere Charaktere aus Space Operas, Romanen Pulp-Abenteuer-Serien oder sogar Fernsehserien mit Hero Wars (später: HeroQuest) Regeln umzusetzen. Das funktionierte mal mehr und mal weniger gut.
Was mir aber auf die Dauer ein wenig die Laune an HeroQuest verdarb, und daher auch mein Interesse an der neuen Edition mindert, ist im Endeffekt die "Beliebigkeit" oder "Farblosigkeit" bestimmter Fertigkeiten im Spiel: Kann man diese Fertigkeiten nicht durch flüssige, blumige Umschreibungen am Spieltisch zum Leben erwecken, haben sie eigentlich keinen Sinn. Jedes Mal, wenn ich auf HeroQuest und meine Erfahrungen als HQ-Erzähler (Spielleiter) angesprochen werde, muss ich unwillkürlich daran denken:
Sagen wir mal zum Beispiel, ein bestimmter Spielercharakter ist ein Krieger und benutzt seine Fertigkeit im "Schwertkampf". Darin erhält er wie üblich zu Spielbeginn eine Kompetenz mit 17.
Diese Fertigkeit im Schwertkampf kann nun in den HeroQuest-Grundregeln durch eine oder mehrere andere Fertigkeiten oder Fähigkeiten (Waffen, Zauber, Beschwörungen, göttlichen Segen, Rituale, körperliche und geistige Attribute) "gepusht" werden, oder um es korrekt nach den Regeln zu sagen: aufgewertet. Die Aufwertung (Augment) geschieht im Spiel als Bonus zu dem bereits vorhandenen Wert 17.
Was meine ich nun mit
Beliebigkeit?
Ich versuche das hier kurz zu erläutern:
In HeroQuest 1.0 werden die Aufwertungen i.d.R. automatisch so verrechnet, dass man den Wert der zur Aufwertung benutzten Fähigkeit durch 10 teilt und so den Bonus erhält. Dazu kommt natürlich die Regel, dass alle Brüche ab 0,5 zur nächsten ganzen Zahl aufgerundet werden müssen.
Habe ich nun auf meinem Charakterblatt
Große Wildheit 17, ergibt das +2 zum Aufwerten (1,7 aufgerundet zu 2).
Ein anderer Charakter hat vielleicht
Kämpft wie ein Berserker 18, einer hat den
Großen Schwertstreich der Vergeltung 17, einer hat
Heilige Waffe 20, ein anderer hat
Geschickt im Umgang mit Waffen 19 und wieder ein anderer einen
Klingen verstärkenden Zauber 16, usw.
Damit bekomme ich im Abenteuer gleich zwei Probleme:
Erstens sind in diesem Fall die genannten Fähigkeiten mit 16, 17, 18, 19 und 20 genau gleich gut/gleich schlecht (ALLE Werte von 15 bis 24 ergeben, wegen der Rundungsregel, immer +2 als Aufwertung!). Ich steigere damit meinen Schwertkampf gerade mal von 17 auf 19.
Zweitens ist es völlig beliebig, besser gesagt austauschbar, ob ich nun einfach
Geschickt,
Wild,
Entschlossen,
Mutig,
Kämpferisch,
Berserker,
Todbringende Klinge,
Echte Kampfsau oder den
Alles vernichtenden Schlag als Fähigkeit habe... Da die Fähigkeiten im Großen und Ganzen mit dem gleichen langweiligen Wert von 17 anfangen, bringen sie einem alle das Gleiche! Soll heißen: relativ wenig. Wenn die Gegenseite einigermaßen gut würfelt, bringen mir meine professionellen Kenntnisse im Schwertkampf plus Aufwertung fast gar nichts. Ich kann damit immer noch schändlich verlieren. Hat die Gegenseite sogar einen Wert von mehr als 20 (Mastery!), sieht es noch übler aus, und all die blumigen, schön beschriebenen Heldenfähigkeiten verpuffen ziemlich schnell. Die Spieler hatten dann oft den Eindruck, dass ihre Charaktere gar nichts Großartiges machen können und dass sie nicht gut vorankommen. (Selbst eine Steigerung nach dem Abenteuer, durch die ich von 17 auf 18 wechsle, ändert gar nichts an der Gesamtsituation. Der Effekt oder der Unterschied zwischen 17 und 18 ist gar nicht groß genug.)
Auch in HeroQuest 2.0 scheint diese 17er-Regel immer noch voll vorhanden zu sein.
Dann gibt es da noch das Problem der (zu) vielen Keyword-Fähigkeiten. Alle Fähigkeiten in einem Keyword werden dem Spielercharakter quasi aufgebürdet, selbst dann, wenn der Spieler diese Fähigkeiten gar nicht haben möchte oder nie benutzen würde. Ich kann mich an mehrere Momente aus der Zeit erinnern, als ich zuletzt HeroQuest gespielt habe (zwischen 2000 und 2006), wo mir neue Mitspieler ganz klar sagten, "Nein, diese Fähigkeit will ich nicht. Die passt überhaupt nicht zu dem, was ich mir für diesen Charakter vorgestellt habe." Auf diese Weise steht am Ende eigentlich recht viel Gerümpel auf dem Charakterblatt, das vom Helden nie beachtet oder eingesetzt wird. Es steht eben da, weil es bei HQ dazugehört.
Wenn ich von dem Textkasten-Beispiel für die
High Elves of Ammelon (S. 104) ausgehe, gibt es diese reichhaltigen Keywords immer noch und das Buch nimmt sich auch recht viel Zeit für sie. Und natürlich beginnen wieder alle Abilities in einem Keyword mit der 17.
Um mit einer positiven Note abzuschließen, sage ich noch, dass mir unter anderem das Beispiel für Heilung in HQ außerordentlich gut gefällt... HeroQuest 2.0 bzw. Vorschau S. 59:
Teenage singing sensation Deirdre Jump flips out during a late nightclub appearance, screaming epithets at her audience. After camera-phone footage winds up all over the Internet, public relations wiz Carmen Hemphill (played by Fiona) is called in to repair the damage. She coaches Deirdre on the right things to say and sends her on an apology tour to various media outlets. Although it’s Deirdre doing the talking, she’s a supporting character, so the player will make the roll using her character’s abilities.
Carmen’s Public Relations ability is 8W. Deirdre’s career is Injured, so the resistance is 5W. Fiona rolls a 1; the Narrator, an 11. With masteries canceling out, this is a critical vs. failure result. A major victory is three levels of success, so Deirdre loses all three of the levels of adversity she’s currently faced with.
Thanks to Carmen, her sincere contrition—and admission that she’s checked into rehab—has completely erased all damage to her career from the deplorable incident.Also, das ist doch mal was Anderes als ständig Schwerter schwingende Muskel-Barbaren, Hexenmeister und Heiler mit Verbandszeug!
Jetzt bin ich doch wieder neugierig geworden.
Dennoch ist meine Meinung von HQ im Augenblick die, dass ich ehrlich gesagt alles das, was HQ ermöglicht, auch schon mit anderen Regelsystemen spiele oder spielen könnte.