Das erste Mal Spielleiten hat direkt ein Trauma ausgelöst:
Das war meine (zugegebenermaßen extrem kurze - so, vier Sitzungen
) DSA-Zeit... wir hatten uns zum gemütlichen (Sandbox-)Spiel getroffen und naja, irgendwie kam die Sprache darauf, dass ich auch mal leiten wollte und alle Spieler haben mich dazu ermutigt, es war halt mein erster Versuch: Ich glaube, dass ich mich noch nie im Leben so wenig ernst genommen gefühlt habe. Die Spieler haben alberne, dumme Witze und vollkommen an den Haaren herbeigezogene Aktionen gerissen, die weder zu ihren Charakteren passten (die sie sonst recht konsequent gespielt hatten) und an jeder Ecke mit voller Absicht meinen (schon sehr dörftigen und vollkommen improvisierten) Plot in den Staub zu treten. Nach diesem Abend habe ich mit den Leuten nicht mehr gespielt und zugleich auch erstmal für mich beschlossen, dass ich niemals wieder leiten würde, weil das Scheiße ist...
Im Anschluss etwa ein Jahr gar kein Rollenspiel mehr.
Dann:
WoD - Erste PhaseNachdem ich beim ersten Mal Vampire direkt einen Dämpfer von mehreren Spielern am Tisch bekam ("So spielt man einen Brujah aber nicht: Brujah sind groß und rebellisch und stark" - meiner war die Art intellektueler politischer Aktivist), habe ich mir doch das Regelwerk von Vampire gekauft - und mir war sofort klar, dass es dieses im Regelwerk postulierte, charakterzentrierte Spiel mit starken Szenen und hohem Soap-Anteil war, was ich spielen wollte. Habe eine kleine Gruppe gefunden, die aber auch Vampire eher auf Slapstick gespielt haben...
Erkenntnisse daraus:
- In einer Rollenspielgruppe haben unterschiedliche Spieler oft unterschiedliche Interessen
- Niemand spielt Vampire nach dem Stil des GRWs
- Weitere Leiterfahrungen: hauptsächlich Slapstick, dumme Sprüche und auch schonmal ein Klapps mit dem Regelwerk, wenn ein Spieler zu doof war...Anschließend:
WoD - Zweite PhaseAus einer Alte Welt-Runde, bestehend aus einigen Leuten aus der Ersten Phase hat sich was eigenes entwickelt. Es schieden Leute aus, neue kamen dazu, mit denen ich vorher noch nicht gespielt hatte. Ab dann begann die WoD-Experimentierphase, während der wir so ziemlich alles mindestens einmal gespielt haben, was die Spielereihe hergab. Zu der Zeit habe ich mir das alte "Werwolf" gekauft und erste richtige, zusammenhängende Leiterfahrungen gemacht (meine erste eigene Kampagne), das durchaus auch mit positivem Feedback: ich gelte bis heute in meiner Umgebung als der beste Werwolf-SL (wohl auch, weil ich das System nie ganz aufgegeben habe).
Hier habe ich auch die ersten Erfahrungen mit wirklich charakterzentriertem Spiel gemacht - Rollenspiel, wo die persönlichen Probleme der SCs interessanter waren als der übergeordnete Plot und wo diese auch in den Plot eingebunden waren.
Es hat sich schnell ein ziemlicher Kontrast fixiert zwischen unseren beiden wirklich festen Runden:
Vampire (Transylvanische Chroniken): Entlanghangeln an einem vorgebenen Plot mit kaum zusammenpassenden Charakteren
VS
Werwolf (mit SL-Wechsel): Kurze Abenteuer mit improvisiertem Plot aber wiederkehrenden NSCs und Lokationen, Charaktere die von vornherein in der Gruppe geschrieben wurdenDa wir bei den meisten WoD-Runden auch einen super SL hatten, hatte ich schon eine Art "SL-Vorbild", an dem ich mich orientiert habe, den ich aber inzwischen als Spieler fast noch mehr schätze.
Außerdem; erste Erfahrungen mit Vampire-Live (insgesamt schlechte)
Erkenntnisse:
- Charaktererschaffung in der Gruppe bringt was: interessante Konflikte zwischen den SCs entstehen daraus, dass sich die SCs auch für die Befindlichkeiten anderer SCs interessieren - außerdem: kein belangloses nebeneinanderherspielen mehr
- Nicht jedes System funktioniert mit jedem Spieler
- Experimentierfreude lohnt sich; so öffnet man sich neue Horizonte
- Manchmal werden Spieler in Richtungen gedrängt, die sie gar nicht wollen und das ist eigentlich nicht dem Spielspaß förderlich
- Unterschiedliche Vorlieben für unterschiedliche Systeme bei unterschiedlichen Spielern können in der Runde zu Konflikt führen – alle müssen die Runde in etwa gleichgern spielen Teilweise parallel mit der WoD-Phase lief die
allgemeine Experimentierphase: alles mögliche wurde ausprobiert.
Hier auch mein erster Kontakt mit 7te See und damit einem Fanmail-Mechanismus (der mich sofort gepackt hat) und einigen interessanten theoretischen Überlegungen aus dem SL-Buch – habe vieles davon aufgenommen und 7te See war lange mein Lieblingssystem und ich habe es vor kurzem wiederentdeckt.
Hier auch mein Erstkontakt mit Shadowrun, das bei uns sehr soapig gespielt wurde und meine ersten Auseinandersetzungen mit Charaktertod – ein SC ist während der laufenden Kampagne gestorben – und auch mit freiem, spielleiterlosen Rollenspiel: nachdem wir unseren Shadowrun-SL abgesägt hatten, weil er gegenüber uns als Gruppe mehr Spaß an seinen Mary Sue-NSCs als an uns als Charakteren hatte, haben wir einen Abend ohne ihn gespielt – auch komplett ohne SL, am ehesten mit Western City zu vergleichen... war super!
Hier auch erste Gehversuche mit Engel (insgesamt dank Arcana-System unglaublich prägend für meine weitere SL-Karriere).
Erkenntnisse:
- Es gibt für jeden Scheiß ein Rollenspiel
- Fanmail macht Spaß: die Spieler sind dann von sich aus aktiver
- Ein SL sollte auf die Wünsche seiner Spieler hören und diese nicht ignorieren
- Es braucht keine frontale SL-Spieler-Konstellation beim Rollenspiel
- Regelloses Rollenspiel funktioniert (wenn alle Mitspieler an einem Strang ziehen – da das nur zu Anfang so war, war Engel auch irgendwann für die Füße)Was folgte war meine
Exalted-Zeit – Erste Phasehier habe ich im Grunde den Umstieg vom Spieler zum SL vollkommen vollzogen (inzwischen leite ich freiwillig lieber, als dass ich Spiele) – habe fast ausschließlich Exalted in dieser Zeit geleitet und hatte irrsinnig Spaß daran.
Hatte durch die enorme Verantwortung leider einen Rückfall ins Railroading (witzige Situation: ich lasse die Gruppe auf ein Monster stoßen, dass ich in einer gescripteten Szene als so stark beschreibe, dass sie es nicht besiegen können, egal was sie versuchen, nur damit mein Krieger das Vieh im ergebnisoffenen Kampf am Schluss mit einem einzigen Schlag wegrotzt). Erste eigene Erfahrungen mit Problemspielern (Egotrip-SCs) – häufiger Spielerwechsel
Dabei auch erste Gehversuche als SL auf Conventions mit fast durchweg positivem Ausgang – auch als Spieler auf Conventions tolle Erfahrungen (oder auch nicht so tolle, da meistens im Bereich WoD)
Erkenntnisse:
- WoD spielt man am besten nur mit einer Gruppe, die sich vorher auf ein Flair geeinigt hat
- Nachtrag: Überhaupt sollte das bei allen Rollenspielen so sein
- Nicht alle Spieler passen zusammen: im Zweifelsfall muss man als SL die Notbremse ziehen
- Übermäßige Vorbereitung lohnt nicht; die Spieler machen eh was anderes
- Es gibt wirklich für jeden Scheiß ein Rollenspiel!Ihr erratet es (hat überhaupt jemand bis hierher mitgelesen?):
Exalted – Zweite PhaseAb hier hat sich mein Stil stark verändert: starke Kooperation mit den Spielern, Hausaufgaben für Spieler (lest die Handouts, kennt die Regeln, liefert mir Vorlagen – ja, ihr dürft NSCs übernehmen); dabei starker Fokus auf einem Plot um die Charaktere herum – noch immer akribische Vorbereitung in eine andere Richtung („Ja, ich kann nicht vorhersehen, was die SCs tun werden, aber ich kann aus ihren Charaktergeschichten und aus dem Gespräch mit den Spielern ableiten, was die SCs
nicht tun werden und so Dilemas erzeugen).
Hier habe ich auch zum ersten Mal für eine Runde aus kompletten Rollenspielanfängern (7te See für Schulfreunde – wurde mir irgendwann zu bunt und ich habe aufgegeben; inzwischen sehe ich die Runde aber insgesamt viel positiver, sehr harmonisch und im verklärten Lichte der Erinnerung).
Erkenntnisse:
- Seine Spieler sucht man sich je nach Runde und Flair am besten aus
- Spieler haben Pflichten innerhalb einer Runde
- Aufgabenverteilung in der Gruppe führt zu besseren Ergebnissen
- Konzentration und Motivation sowie Beschäftigung mit Plot, Spielwelt und den Charakteren beim Spiel ist etwas, was der SL von den Spielern verlangen darf
- Viele Köpfe denken kreativer als nur einer
- Anfänger sind meist begeisterungsfähiger als alte Hasen
- Erfahrungen durch andere Rundenkonstellationen sammeln ist wichtiger
- Konflikte sind das A und O beim Spiel; sicher ist langweilig
So, gleich seid ihr durch: letzte Phase:
die Indie-PhaseAb hier habe ich angefangen, in Internetforen Austausch zu betreiben, Primetime Adventures, Western City, Wushu und Konsorten kennengelernt – und ein paar sehr schöne Runden mit Komillitonen aus Mainz gespielt (Spieler/SL-Symbiose ist hier nahezu perfekt). Nach Doms SL-Handbuch bin ich mutiger geworden, auch mal harte Konsequenzen beim Spiel zu ziehen.
Erkenntnisse:
- Flags, Kickers, Player Empowerment
- Vorbereitung sollte gezielt sein
- System matters
- Metagamingfaktoren im Spiel: kann ich mit leben
- Such dir als Spieler auch deinen SL genau aus (nicht nur umgekehrt)
- Alle Rollenspieler beherrschen den Skill „Sense Roleplaying Gamer“ auf dem höchsten Grad und können so an allen Orten Rollenspieler spontan als solche erkennenIch würde insgesamt nicht sagen, dass sich schon ein wirklicher Stil bei mir festgefahren hätte: ich bin immer noch in der Orientierungsphase, aber die Richtung, worauf es hinausläuft, ist erkennbar. Ich muss noch ein paar Erfahrungen machen (wie zum Beispiel eine Kampagne auch mal zu Ende spielen/leiten), aber ich weiß als SL wie als Spieler inzwischen genau was ich will und merke selbst, wie ich bei einigen Runden, die ich immer noch spiele, die festgefahrenen Strukturen verlassen will.
Meinen Leitstil würde ich als ergebnisoffen (mit gelegentlichen Schlenkern ins krasse Storytelling, die aber auch mit den Spielern abgesprochen sein sollten), SC-bezogen, cinematisch und gezielt vorbereitet beschreiben – gerne immer dabei: irgendein Fanmailsystem. Ich verlange, dass die Spieler ihre Hausaufgaben machen und mich am Innenleben ihrer Charaktere teilhaben lassen, sowie vielleicht auch mal einen NSC übernehmen. Ich glaube ich versuche das, was Vermi angedeutet hat: ich will mit den Spielern spielen. Kann aber auch sein, dass ich da nicht objektiv bin - wie sich mein Geleite wirklich anfühlt, müssen im Zweifelsfall die Spieler sagen...
Das ist die Bilanz aus etwa 10 Jahren Rollenspiel.
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