Zur Zeit beschäftige ich mich mit mythologischem Material und muss dabei oft an Parallelen zum Fantasy Rollenspiel (FR) denken. Ein Teilaspekt aus einer aktuellen Diskussion im Forum bringt mich nun dazu, meine Gedanken zu diesem Thema öffentlich zu machen:
Aber da sieht man, dass Logistik und Management vor allem dann immer eine Rolle spielt, wenn es nicht nur darum geht Monster umzuhauen oder Intrigen aufzulösen. Immer wenn es darum geht etwas aufzubauen, werden solche Dinge plötzlich ganz normal. Eigentlich wäre es schöner, wenn das auch im Abenteuerrollenspiel häufiger vorkäme. Mittlerweile kann ich es nämlich nicht mehr sehen, dass sich 3-4 Hanseln (aka die SCs) allein um die Weltenrettung kümmern, anstatt Gefolgsleute um sich zu scharen.
Meine These: Fantasyrollenspiel ist ein schwacher Abklatsch des Heldenmythos, der Geschichte des Erwachsenwerdens.
Ich glaube, Joseph Campbell wurde im Zusammenhang mit dem Heldenmythos schon hier im Forum erwähnt. Ich beziehe mich zusätzlich auf Norbert Bischof, der in seiner Analyse des gleichen Themas etwas stringenter und konsequenter agiert.
Die Grobstruktur des Heldenmythos:
- Es gibt ein Problem, und der Held ist auserkoren (gewollt oder ungewollt), das Problem zu beheben.
- Der Held bricht auf sein Abenteuer auf (es spielt sich immer fernab des Heimatdorfes ab), trifft auf dubiose Gestalten, die ihm Prüfungen stellen, aber auch magische Hilfsmittel bereitstellen.
- Der entscheidende Kampf. Der Held besiegt den Drachen, vögelt die Prinzessin, schnappt sich den Schatz und flieht nach Hause. Er wird verfolgt, schafft es aber heil anzukommen.
- Zu Hause gibt es ein Problem, jemand anders gibt sich als der richtige Held aus, der wahre Held muss wieder Aufgaben bestehen, bevor er als wahrer Held erkannt wird.
- Der wahre, strahlende Held ist endlich erkannt. Nun präsentiert er sein holdes Antlitz, übernimmt mit dem Segen des Vaters dessen Königreich und heiratet die geile Prinzessin, die er vom Drachen befreit hatte und die ihm zwischenzeitlich nachgefolgt ist.
Hinter dieser Erzählstruktur verbirgt sich ein Psychogramm des Erwachsenenwerdens. Darauf müssen wir nicht eingehen, ebenso wenig auf die Feinheiten, die sich hinter der dargestellten Grobstruktur noch verbergen. Die Tatsache, dass wir hier eine Struktur haben, die genau das repräsentiert, was ein Jugendlicher fühlt und erlebt, wenn er erwachsen wird, macht diese Erzählstruktur so interessant und wichtig. Das eigene Werden spiegelt sich darin.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass FR (beachte auch die Zielgruppe, zum Großteil aus männlichen Jugendlichen bestehend) dieser Struktur nacheifert: Es gibt ein Problem, der Held bekommt den Auftrag, es zu lösen, er zieht aus, killt den Drachen und streicht den Schatz ein.
Nur wird die Geschichte nicht zu Ende gespielt. Der getötete Drache und der Schatz in den Händen sind längst nicht das Ende der Entwicklung, hier weiß uns FR aber keine weitere Hilfe anzubieten. Der Entwicklungsprozess des Helden kommt im FR nicht zum Abschluss. Man bleibt in der Entwicklung hängen, nicht mehr Kind, aber auch nicht richtig erwachsen geworden. In dieser Spirale gefangen schlachtet man einen Drachen nach dem nächsten ab, aber die Erlösung bleibt aus. Keiner der Anläufe führt zum eigentlichen Ziel und so versucht man es immer wieder.
[Kurzer Einschub: Meine Erfahrung mag nicht repräsentativ sein. Wenn jemand schon den kompletten Zyklus durchgespielt hat – Glückwunsch! Aus den Diskussionen schließe ich aber indirekt, dass das nicht der Regelfall ist. Belehrt mich, wenn ich damit falsch liege.]
Das ewige Drachentöten macht so lange Spass, wie man selbst in eben dem Reifestadium gefangen ist, das man – unbewusst – in FR durchspielt. Wenn dann der Spieler diese Schwelle überwindet und erwachsen wird, dann verliert dieses Drachentöten, die Herausforderung des Adoleszenten, plötzlich seinen Reiz. Dann will man diese Geschichte zu Ende spielen und eine neue anfangen. Ich verweise an dieser Stelle auf Eins Zitat oben. Er wird mich korrigieren, aber ich lese da genau diesen Wunsch heraus, die Geschichte der Jugend abzuhacken, und sich neuen Aufgaben zu widmen. Was jetzt kommen muss, ist die Heirat mit der Braut, die Verantwortung für die eigene Familie und die Verantwortung für andere, im Mythos symbolisch das ganze Königreich.
Welche Fragen eröffnen sich? Für mich folgende:
- Können wir Rollenspiel gezielter gestalten, so dass es eine Hilfe für persönliche Reifung wird? FR ist ohnehin genau deshalb so attraktiv, also brauchen wir uns nicht zu scheuen, die pädagogische Herausforderung, die an das Spiel gestellt wird, auch anzunehmen. Wie können wir aus dem Abklatsch eines Heldenmythos einen richtigen, wegweisenden, Heldenmythos gestalten? Wie können wir aus dem verkorksten Ritual des Erwachsenenwerdens ein funktionierendes Ritual machen? Gerade das Storytelling bietet dafür eine uneingeschränkt nutzbare Plattform. Hier steht die Story über anderen Dingen (wie Logik oder Charakterfreiheit), hier lässt sich die Struktur des Heldenmythos konsequent durchziehen.
- Wie sieht das Rollenspiel für Erwachsene aus? Welche gibt es bereits?