Ich hatte - insbesondere beim Thema Folter - eine mich wirklich ERSCHÜTTERNDE Erfahrung in einer Spielrunde machen müssen, die mich von solchen "hach, mal sehen, wessen Grenzen im Spiel am Weitesten sind"-Spielweisen kuriert hat.
Darüber schrieb ich im ORK, aber ich denke, daß ich diesen Beitrag auch hier nochmals wiedergeben kann.
In der als Spielwelt an sich harmlosesten unserer damaligen drei parallelen Uni-Ulm-AD&D-Kampagnen (im Sinne: dies ist die Welt, die sich ein Spieleiter oder eine kleine Gruppe wechselnder Spielleiter SELBST erschaffen hat), gab es eine Situation, an die mich mich hierbei sehr gut und sehr unangenehm erinnere.
Ich hatte für ein "Zwischenspiel" eine Stadt in der Spielwelt zweier Spielleiter, die diese Welt gemeinsam erschaffen und entwickelt hatten, bekommen. Auf Nachfrage, was ich denn da alles reinpacken dürfte, hieß es, ALLES. - Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte, da ich bei Stadt-Abenteuern schon damals immer an die dampfenden Sword&Sorcery-Metropolen, wo Mord und Totschlag keinen der Einwohner auch nur aus der Ruhe bringen, dachte. - Meine Städte waren GEFÄHRLICHER als die meisten Dungeons, die wir damals gebaut hatten, weil in Städten "Recht und Gesetz" herrschen! As Lawful Evil as it gets.
Auf einer Art "Stadtführung" hatte ich den Spielern das "Diebestor" gezeigt, an das erwischte Diebe genagelt werden, und an dem sie hängen bleiben, bis sie selbst abfallen. (In Wirklichkeit holen sich die Diebesgilden ihre eigenen Leute wieder, und "auswärtige Talente" werden zum Beitritt mit allen Pfilchten aufgefordert und dann auch abgehängt. - Wer nicht beitritt, der verrottet halt.)
Es war NICHT meine Absicht einen SC hier ans Tor zu nageln!
Nur: Es mußte der diebische Halbling unbedingt einen reichen Händler beklauen, sich erwischen lassen, nicht weglaufen oder sich anderweitig nicht erwischen lassen. - Den hat man direkt vor Gericht gezerrt, wo die anderen Mit-SCs dabei saßen und zuschauten. Der bestohlene Händler hat den Richter nicht einmal insgeheim, sondern absolut offen bestochen, die härteste Strafe gegen den üblen Dieb anzuwenden. Die anderen SCs hatten JEDE GELEGENHEIT hier ebenfalls bestechend oder anderweitig einzugreifen ungenutzt verstreichen lassen.
Und so wurde der Halbling-SC an das Tor genagelt. Ich hatte den Spieler auch noch Rettungswürfe machen lassen, ob er durch die durch seine Hände und Füße getriebenen Nägel ohnmächtig werden würde. - Wurde er nicht.
Nun hing der Spieler am Tor. - OK, dachte ich mir, dann bekommen sie halt so Kontakt zur entsprechenden Diebesgilde. Paßt schon. Hätte auch anders erfolgen können, aber so geht es auch.
Der Spieler wollte nach dieser Runde nicht mehr mitspielen. - Er hat die Gruppe verlassen (war nicht kampagnenbeendend, weil wir mit 9 Spielern gespielt hatten). - Ich konnte das nicht so recht nachvollziehen, DAMALS.
Jahre später hatte ich erfahren, daß der besagte Spieler psychisch krank ist, aber durch Behandlung und Medikamente stabil war. Mir ist ja auch nichts an ihm, den ich sonst auch so von der Uni her kannte, aufgefallen. - Nur, er hatte nach dem Annageln an das Tor einen echten Rückschlag seiner psychischen Störungen erlitten. Das wußte ich nicht! Das wußte keiner, mit dem ich damals gesprochen hatte.
Erst Jahre später kam ich über einen gemeinsamen Bekannten auf den GRUND für das Ausscheiden dieses Spielers.
Da war ich schon geplättet.
Ich konnte mir damals NICHT vorstellen, daß man von solch einer harmlosen Spiel-Unterhaltung irgendeinen psychischen Knacks bekommen könnte. - Hatte er ja auch nicht, nur wurde seine angeknackste Psyche durch das Spiel wieder schlimmer als vorher.
Ich bin inzwischen deutlich vorsichtiger mit dem, was ich an LANG UND BREIT zelebrierter Mißhandlung Spielercharakteren antue.
Das Abhacken einer Hand eines erwischten Diebes könnten manche Spieler gar nicht gut vertragen. - Da ich nicht jeden Spieler - vor allem auf Cons - um ein psychologisches Gutachten seiner emotionalen Belastbarkeit gegen fiktive Greuel an fiktiven Gestalten bitten kann, werde ich NICHT WISSEN, ob auf dem nächsten Con ein solcher Art labiler SPIELER sitzt.
Wenn man Rollenspiele nicht dazu verwendet seine Grenzen der noch erträglichen Mißhandlungen und Greueltaten auszuloten, sondern es NUR ZUR UNTERHALTUNG spielt, dann kommt man auch ohne LANG und BREIT dargestellte Verstümmelungen aus. - Betonung liegt auf LANG und BREIT. - NATÜRLICH kann und WIRD es Verstümmelungen geben. Allein die meisten Regelwerke, nach denen ich aktuell spiele, sehen so etwas vor.
Es ist nur eine Frage wie intensiv die Schilderung rund um die Regelanwendung zu Verstümmelungen aussieht.
Hätte ich in der oben erinnerten Szene gesagt: "Die Stadtbüttel nageln Deinen Charakter ans Diebes-Tor. " Dann - so rede ich mir zumindest rückblickend zu - wäre es vielleicht NICHT zu dem Rückschlag gekommen.
Wenn man über Themen wie Mord, Vergewaltigung, Folter im Rollenspiel redet, dann MUSS man auch über das Thema VERANTWORTUNG gegenüber seinen Mitspielern reden.
Im Zusammenhang mit der Kleine-Ängste-Thematik im alten DROSI-Forum sind mir erstmals wirklich GEHÄUFT Fälle bekannt geworden, in denen Spieler im Rollenspiel Erlebnisse hatten, die an sich bereits "verarbeitet" geglaubte Traumata wieder hervorbrechen haben lassen.
Und, NEIN, es reicht einfach nicht aus die Spieler vorher zu fragen, was sie denn wohl alles nicht aushalten mögen, oder ob sie und wie lange sie in psychotherapeutischer Behandlung waren, bevor man eine Spielrunde startet. - Das ist NICHT VERANTWORTUNGSBEWUSST.
Ein Spieler überschätzt seine "psychischen Nehmerqualitäten" öfter, als man das so denkt. Und wenn man das merkt, dann ist es schon ZU SPÄT.
Klar KANN und DARF man jederzeit beliebig intensiv, beliebig lang und breit ausgespielt Themen wie Mord, Folter, Vergewaltigung, Mißbrauch, usw. im Rollenspiel auf den Spieltisch bringen. - Es wird einen keiner hindern, das zu tun.
Außer das EIGENE Verantwortungsbewußtsein als Spielleiter oder Spieler für den GEMEINSAMEN Wohlfühlraum ALLER Mitspieler.
Ich bin einfach zu alt, als daß ich ständig die Grenzen des Ekels, der Abscheu, der Brutalität bei mir und meinen Spielern ausloten müßte. Das wäre vor 20 Jahren vielleicht noch anders gewesen, wenn ich damals nicht nur "harmlose" Spiele gespielt hätte, die sich eben (noch) nicht die Flagge "Dark" aufgezogen hatten und damit alles Mögliche an menschlichen Widerwärtigkeiten mitten in den Brennpunkt des Spiels gestellt hatten. - Damals mußte ich nicht erfahren, was ich denn im Rollenspiel so alles noch aushalte, und heute gleich überhaupt nicht.
MEIN Hobby ist KEIN "Selbsterfahrungskurs" und KEIN "Grenzen des psychisch Erträglichen Ausloten", sondern UNTERHALTUNG.
In den Spielwelten, in welchen ich spiele, kommen natürlich Morde, Folter und Vergewaltigung vor. Nur ist eben die Frage, wie breit man diese Themen im Spiel tatsächlich darstellt, wie sehr man direkt in Täter- oder Opfer-Rolle Spielercharaktere involviert.
Gerade, wenn einem das Eintauchen in die Spielwelt, das Identifizieren mit seinem Charakter wichtig ist, dann ist es umso bedenklicher, wenn ein Spieler via seines Charakters in eine OPFER-Rolle (wichtig: die HILFLOSIGKEIT!) gebracht wird, und man einen Spielercharakter foltert, ihn in hilfloser Lage verstümmelt (im Kampf wird das ja durch das Regelwerk gegeben und ist daher bisher noch immer akzeptiert worden), oder ihn vergewaltigt.
Und ebenso bedenklich, wenn Spieler, in die Spielwelt eingetaucht, mit ihrem Charakter identifiziert, nun in der TÄTER-Rolle agieren. - Wer das nicht nachvollziehen kann, der sollte sich mal vor Augen führen, daß man als SPIELLEITER, der seine Spielwelt spielt, ja auch das Betteln, die Schmerzen, das Wimmern der Opfer der SCs spielen wird. - Somit drängt ein Spieler, der solche Taten im Mittelpunkt seiner Spielaktivität begehen möchte, seinen Spielleiter in die OPFER-Rolle.
Und auch Spielleiter spielen mit.
Und auch Spielleitern vergeht es, wenn sie die hilflosen "Objekte" spielercharakterlicher Brutalität darstellen sollen.
Ich spiele weder als Spielleiter noch als Spieler gerne das hilflose Opfer, an dem sich jemand anders am Spieltisch austoben kann. - Ich halte mich für psychisch durchaus verletzlich. Ich habe Filme gesehen, die mir so an die Nieren gegangen sind, daß sie nach Jahren noch nachwirken. - Im Rollenspiel ist das Erleben (auch als Spielleiter) für mich INTENSIVER.
Ich bin daher SEHR auf den VERANTWORTUNGSVOLLEN Umgang mit meinen Spielern und mit MIR bedacht.
Klar liegen die persönlichen Grenzen immer bei einem selbst. Und klar kann eine Gruppe jeweils ihre persönlichen Themen-Schwerpunkte und auch Ausschluß-Themen aushandeln. - Aber bedeutet das dann, daß jemand, der in einer Gruppe von sechs Spielern anderen den Spaß nicht verderben wollte, und halt NICHT widersprochen hat, SELBST SCHULD ist, wenn es ihm nach der Runde dreckig geht?
Das wäre nämlich genau diese Art von Verantwortungslosigkeit im Umgang mit seinen Mitspielern (die in den meisten Fällen ja auch die eigenen FREUNDE sind), die ich grundsätzlich BESCHISSEN finde.
Man wird nicht immer und nicht alles vermeiden können. Aber man MUSS auch NICHT IMMER und NICHT ALLES bis an die Grenze ausreizen, um Spaß beim Spiel zu haben.