Seit Wochen bedrängt mich der gute Jörg D. nun regelmäßig, doch etwas zu der von ihm angebotenen Runde auf der Odyssee zu schreiben. Dem will ich nun endlich nachkommen. Da ich den Bericht im Forum schreibe, habe ich das nicht in direkter Ansprache formuliert, was, wenn ich es gerade noch einmal lese, etwas merkwürdig wirkt. Da ich aber keine Lust habe, das nochmal zu überarbeiten, bleibt es jetzt so.
DRAMATIC bei Jörg – Versuch eines Spielberichtes
Ich hasse 'Diaries of Sessions'. Es gibt kaum etwas langweiligeres, als sich anderer Leute Berichte von ihren Erlebnissen im Spiel anzuhören oder zu lesen. Lediglich die Berichte über den "Charakter" können in Sachen Aufdringlichkeit und Ödnis mithalten.
Da ich sowas nicht mag, schreibe ich es auch nicht. Stattdessen will ich lieber ein wenig auf meine Eindrücke zum Spiel und dem Meister -- um es mal auf DSA zu sagen-- eingehen.
Vorab: der Bericht wird bisweilen vielleicht ein wenig kritisch wirken, dies liegt aber daran, dass Jörg mich explizit um Rückmeldung gebeten hatte. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass mir die Runde großen Spaß gemacht hat und nie Langeweile aufkam -- das ist auf einer Con ein Riesenverdienst!
Als ich am Freitag abend bei der Odyssee in Berlin ankam, wusste ich noch nicht recht, was ich spielen sollte. Da ich nun gleich am Eingang Jörg traf (erster Eindruck: das Kinn ist noch gewaltiger als auf den Photos), sowieso die Gelegenheit nutzen wollte, bei ihm zu spielen und es in dieser Hinsicht am nächsten Tag noch schlechter aussah, entschied ich mich für DRAMATIC im Sin City/Bladerunner-Crossover-Setting.
Netterweise ließ mich Jörg dann sogar mitspielen, obgleich die Runde eigentlich schon voll war. Wir waren damit insgesamt fünf Spieler -- das wäre nichts für mich zum Leiten und um so beeindruckter war ich, wie gut Jörg das gemanaged bekam. Es kam in der Runde niemand zu kurz und es wurde auch nicht langweilig, da ewig nur mit anderen gespielt wurde. Das ist natürlich nur mein Eindruck, der insofern zweifelhaft ist, als dass ich eigentlich nie zu kurz komme und es außerdem schätze, anderen beim Spielen zuzusehen. Dennoch halte ich das für eine tolle Leistung.
Eigentlich sollte man aber von vorne anfangen:
Nach einer kurzen Einführung in das System, wie gesagt: Jörgs überarbeiteter Eigenbau aus einer T-Challenge DRAMATIC, machten wir uns an die Charakterschaffung. Das fand ich doof. Und zwar aus einem grundsätzlichen und einem persönlichen Grund. Der persönliche Grund: ich finde Charakterschaffung allgemein nicht so spaßig und mache das nicht gern. Doch das ist nicht so wichtig, viel wichtiger ist, dass Charaktererschaffung auf Cons eigentlich fast immer Mist ist. Zeit ist kostbar und jede Minute, die man mit dem Ausfüllen des Heldenbriefes (mein neues Lieblingswort für diese Dinger) verbringt kann man nicht den Mitspielern und dem Spiel widmen. Auch wenn Jörg behauptete, das würde ganz rasch gehen (das behaupten auch DSA4-Spieler), haben wir doch sicherlich mindestens eine Stunde damit verbracht.*
Danach ging es los. Dann aber richtig. Innerhalb kürzester Zeit war es dem Meister gelungen, die Charaktere zu vereinen: in einem viel zu kleinen Auto und auf der Flucht vor der Polizei. Das war super, schließlich ist das mit dem Kennenlernen der Charaktere so eine Sache. Mag es in der privaten Runde mit viel Lust am Tavernenspiel und ausreichend Zeit an der Hand bisweilen geraten erscheinen, diese in aller Ruhe auszuspielen, so ist das bei einem zeitlich begrenzten One-Shot auf einer Con doch fast immer vertane Zeit. Um so erfreulicher ist es, dass diese heikle Phase trotz der selbst erschaffenen Charaktere so geschickt vermieden wurde. Möglich wurde dies durch einen geschickten Taschenspielertrick: Für jeden Charakter musste eine dunkle Vergangenheit, der sprichwörtliche Dreck am Stecken, festgelegt werden, die ihn nötigt, die Stadt sobald als möglich zu verlassen (auch wichtig für das Abenteuer). Jörg fing nun einfach mit genau diesen Begebenheiten an, mein Charakter war beispielsweise auf der Flucht, da er seine Frau am Buffet erschlagen hat.
Hier ist nun der Punkt zu einem ersten Einschub gekommen:
Die Sache mit den 'dunklen' Hintergründen hatte auch ihren Haken: ich z. B, hatte meinen Charakter eher als einen Lennie aus Of Mice and Men vor Augen, der seine Frau aus versehen und nur ob seiner Kraft oder im plötzlichen Zorn erschlagen hatte. Die konkrete Situation, die Jörg daraus schmiedete, machte aus ihm eher einen Louis aus Jackie Brown. Ich hatte den Eindruck, dass es den anderen Mitspielern da ähnlich erging. Daran ist grundsätzlich nichts schlimmes, es macht allerdings schon einige implizite Annahmen über den gespielten Charakter zunichte. Das hat mich nicht weiter gestört und wurde durch die raschen Gruppenzusammenführung (auch so ein deutsches Rollenspielerwort) mehr als aufgewogen.
Interessant ist es aber dennoch: Wie mir nämlich in einem Raucherpausengespräch mit Jörg klar wurde, verbirgt sich dahinter auch ein Unterschied in der Wertung. Wie Jörg mir berichtete, ist es ihm sehr wichtig, dass sich in seinen Runden und Kampagnen die Spieler sich ihre Charaktere frei aussuchen können und er da keine Vorgaben macht. Dafür nimmt er sich aber die Freiheit heraus (was er nicht so explizit formulierte, aber aus der 'Beobachtung' geschlossen werden kann), auch stärker in das Handeln der Charaktere während des Spiels einzugreifen und -- wie am Beispiel der Hintergrundgeschichte deutlich wurde -- die konkrete Ausdeutung der beschriebenen Fakten zu übernehmen. Ich hingegen bin ganz zufrieden, wenn man mir sagt, ich soll den und den Charakter spielen, der das und das Ziel und und dieses so und so erreichen will. Dafür schätze ich es allerdings, wenn ich dann im Spiel des Charakters frei bin. (Dies deckt sich auch mit meinen Vorlieben beim Spielleiten)
Ich fand dies eine für mich interessante Beobachtung.
Auf jeden Fall ging es ähnlich rasant weiter. Nach ein paar sehr amüsanten und von Jörg wunderbar geschauspielerten Interaktionen kamen wir bald mit dem Ziel des Auftrages in Berührung. Diese endete für einen der Charaktere allerdings beinahe tödlich, nur mit Not konnten wir unsere Haut retten. Dies liegt zum Teil im System begründet.
Den nächsten Versuch gingen wir geplanter an. Sowohl aus stilistischen wie auch aus praktischen Gründen schien es uns zweckmäßig, den Gegner auf einem Schrottplatz zu stellen. Ein genauerer Plan war flott gemacht, die schreckliche Greifzange am Kran in Stellung gebracht. Wie es ja bei solchen Szenen bisweilen so ist, war es dann schneller gespielt als geplant, zudem wir ja ob des deterministischen Systems das Ergebnis gut abschätzen konnten. Was aber offenbar nicht alle abschätzen konnten und den Karsten sogar richtiggehend bestürzt hat, war, dass wir danach angefangen haben, uns gegenseitig umzubringen (die Charaktere). Ich mag sowas ja gerade bei One-Shots sehr gerne, so dass ich sehr glücklich aus dieser Runde gegangen bin.
Fazit: Rollenspiel bei Jörg macht definitiv Spaß. Davon konnte ich mich jetzt selbst überzeugen. Er hat ein gutes Händchen für Szenerien, und ein Talent für die Darstellung von NSC -- und dies ist ja die wichtigste Sekundärtugend eines Spielleiters. An Negativem ist vielleicht der schon erwähnte etwas starke Eingriff in das Spiel der Spieler anzumerken, man merkt hier, dass Jörg hier seine ungeheure Lust am Fabulieren überkommt und der das einfach selbst beschreiben muss.
Für mich sehr interessant war, dass sich am Spieltisch ein Eindruck bestätigt hat, den ich auch schon aus Jörgs Beiträgen hier im Forum gewonnen habe, nämlich das es bei Jörg Leistungsrollenspiel gibt. Das ist weder etwas Negatives noch etwas klar Positives, sondern schlicht ambivalent. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass viele sich so etwas erträumen, doch für mich als alten Tavernen- und Entspannungsspieler wäre das auf Dauer womöglich nichts.
Liebe Grüße
kirilow