Ich halte das ebenfalls für eine Legendenbildung, welche das freie Spiel gegen Kritik immunisiert.
NATÜRLICH zahlt man für das freie Spiel seinen Preis. Denn es hat ja seinen Grund, weshalb Leute freiwillig in ihren Runden eine Beschränkung der Entscheidungshoheit der Spieler akzeptieren, begrüßen und sogar aktiv fördern. Diese Leute sind nicht bescheuert, sondern sie wissen um die Wechselwirkung zwischen Freiheit und Begrenzung. Beides hat nämlich Vor- und Nachteile, die es zu balancieren gilt.
Selbstverständlich kann man nun behaupten, dass Freiheit im Rollenspiel ohne Preis daherkommt. Und man kann auch Leute niederbrüllen, die das in Zweifel ziehen. Selbst wenn diese Frage jedoch empirisch nicht letztendlich zu klären ist, so bleibt doch der Umstand bestehen, dass viele Runden, die aus ebenso kompetenten wie erfahrenen Spielern bestehen, sich letztendlich trotz interessanter Erfahrungen mit absolut freiem Spiel dennoch eigeninitiativ wieder gewissen Beschränkungen unterwerfen. Das kann man verstehen oder nicht. Mehr gibt es dazu aus meiner Sich aber nicht zu sagen, denn man kann das beliebig kleinteilig totdiskutieren.
Sicherlich ist keine der beiden Optionen ohne Nachteile (oder wie du es nennt, Preis). Und niederbrüllen will ich hier auch keinen. Ich denke aber trotzdem, dass viele Spieler eher die Begrenzung vorziehen, weil sie ihnen gefühlt mehr Sicherheit bietet. Reines "Sandboxing" ist mir auch eher zuwider (vielleicht auch, weil ich es noch nicht gut gemacht erlebt habe, aber ich muss auch gestehen, dass es mich nicht sonderlich anspricht), das sollte man DSA auch nicht aufpfropfen wollen. Wofür ich plädiere ist, dass der SL z.B. mit Plothooks u.ä. unterstützt wird, die er nutzen kann, aber nicht nutzen muss. Vielleicht entsprechen ja die Szenarien im Boten mittlerweile diesem Verständnis, als ich zuletzt einen davon aktiver gelesen habe, war das noch nicht der Fall. Einen Anthologie-Band habe ich auch noch nicht durchgearbeitet (offensichtlich ein Fehler, so wie diese Bände hier positiv besprochen werden; ich werde danach mal Ausschau halten). Bemerkenswert finde ich jedoch, dass die metaplotrelevanten Abenteuer eben nicht in diesem Format (also dem "Kleinformat mit Freiheiten") daherkommen, sondern als mehrhundertseitige Monster mit ausgearbeiteten Szenen, "Spannungsbögen" und festen Ausgängen. Will denn die Spielerschaft tatsächlich die Begrenzung der Freiheit, wenn sie mal wirklich was reißen könnten?
Wenn eine meiner Gruppen in einer Schenke herumsitzt, dann passiert es nie, dass jemand aufspringt und sagt: "Lasst uns den Drachenkönig erdingsen / die Diebesbande jagen / den alten Schatz heben!". Sondern es passiert einfach überhaupt rein gar nichts, was über Bier bestellen und Konversation hinaus geht. Insofern sehe ich da ohne Impuls, Druck oder Dilemma schlicht und ergreifend kein Abenteuer. Vor allem im Wiederholungsfall ist die beschriebene, defizitäre Situation ja sterbenslangweilig.
Ohne dir auf den Schlips treten zu wollen, aber genau das ist einer der Gründe, warum Geschichten meistens nicht mit dem "Wir sitzen in der Kneipe" anfangen, sondern eher mit einem "Ihr seid auf der Straße nach Volismond. Es ist tiefster Winter, dichter Nebel zieht über die Hügel der Grafschaft, so dass sich der Weg vor euch nur langsam und schemenhaft offenbart. Vor euch seht ihr die Schemen einer Wagenburg, die offensichtlich überfallen wurde. Qualm und Rauch steigen noch aus einigen Trümmern empor, überall seht ihr Verletzte und Leichen herumliegen." Das reicht meist schon. Wenn du bereits weißt, dass deine Spieler von sich aus nicht aktiv werden, sollte dein Abenteuer eben mit einem (mehr oder weniger) heftigen Knall starten. Damit wirfst du die Spieler in eine potentiell spannende Szene und bringst sie dazu, aktiv zu werden. Solche Kicker sind ein legitimes Mittel für den SL - außerdem kannst du damit auch schon einen Rahmen vorgeben, in dem etwas passieren kann, aber nicht muss.
Das Problem vieler Kaufabenteuer ist ja auch, dass sie die persönliche Ebene des Charakters nicht ansprechen können, weil es ja massenkompatibel sein soll. Aber du kannst darauf eingehen,
a) das AB auch wenigstens ein bisschen vorbereiten können, damit die spontane Meisterei nicht einem unterkomplexen und austauschbaren drunkard's walk verkommt. Und
b) brauchts für komplexe (/attraktive) Abenteuer einfach mehr als "einen zufälligen" Spannungsbogen, sondern ein dynamisches Geflecht auf mehreren Ebenen. Es sei denn natürlich, ihr seid so gescheit, dass ihr in der Manier des Improtheaters - und zwar sekündlich und reaktiv, nicht etwa geplant und aktiv - einen Plot nach dem anderen rausfeuert, der brillant gut ist und immer aufs Neue begeistert. Ich verlasse mich da lieber auf das Produkt von Autoren, die wenigstens den Vorteil haben, sich schon ein halbes Jahr lang Gedanken gemacht zu haben.
Das Problem ist doch aber, dass du damit genau einen (in Zahlen: 1) "Spannungsbogen" vorgesetzt bekommst, der auch nur unter bestimmten Umständen spannend ist, nämlich wenn die Spieler keinen "Fehler" machen. Mit einer Relation Map, Beschreibungen der Örtlichkeiten und den Motivationen und Zielen der diversen NSC (und SC!) kannst du potentiell viel mehr aus einer (gern auch komplexen) gegebenen Situation machen. Das soll nicht heißen, dass du nur noch auf das eingehst, was die Spieler tun und ohne deren Input nichts mehr passiert, eher im Gegenteil! Wenn das Abenteuer solche Reaktionen nicht vorsieht und du daher darauf nicht eingehen kannst, dann geht doch viel eher der "Spannungsbogen" flöten, als wenn du mit den NSC und der "Handlung" im Sinne der dir an die Hand gegebenen Werkzeuge reagieren kannst. Und du kannst jederzeit Dinge passieren lassen, auf die wiederum die Spieler reagieren müssen.
Es geht ja auch nicht darum, einem Autor zu sagen, dass er das halbe Jahr, dass er in ein Abenteuer steckt, in die Tonne kloppen soll; ich denke halt nur, dass ein halbes Jahr sinnvoller genutzt werden kann, dir die passenden Werkzeuge zu geben (s.o.) als nur einen Idealverlauf mit kleineren Variationen zu bauen (Vorsicht, Übertreibung!). Denn: Ändern musst du ja meist eh Dinge, damit sie in deine Gruppe passen, da wird es einfacher, wenn er z.B. mehrere mögliche Startpunkte vorschlägt.
Man muss dadurch ja auch nicht auf Schlüsselszenen verzichten, nur dürfen die eben nicht als "Wenn-Dann"-Funktion zu einem bestimmten, vom Autor gewollten Zeitpunkt vorgegeben werden. So wird z.B. der enttarnte Spion des verfeindeten Nachbarreichs immer ähnlich reagieren, wenn die SC ihn ertappen. Soll aber eine Attentatsszene vorkommen, sollte man nicht fest vorgeben, dass die SC darauf in einer bestimmten Weise reagieren oder sie sogar verhindern müssen. Vielleicht wird es ja sogar spannender, wenn die SC zu spät kommen? Ich denke, es verdeutlich ein bisschen, was ich meine.
Bei mir ergibt sich als Spieler Spannung (ob -bogen oder nicht ist mir persönlich egal), wenn der Ausgang einer Situation ungewiss ist.
Am spannendensten finde ich die Frage: wird mein Charakter abkratzen? Auch die Frage "Wird dieser wichtige NSC draufgehen?" ist of spannend.
Genau so etwas meine ich: Spannung entsteht auch durch den ungewissen Ausgang. Natürlich nicht nur, aber auch. Andere Möglichkeiten: Wirf deinen Spielern ein moralisches Dilemma an den Kopf, für das es keine einfache Lösung gibt. Bau einen Twist ein, mit dem keiner rechnet und zieh deinen Spielern den Boden unter den Füßen weg, so dass sie ihre Situation neu überdenken müssen.
@Achamanian, TAFKAKB und Jasper: Vollste Zustimmung!
EDIT:
Ich werde doch meinen Spielern nicht vorschreiben, was sie tun sollen?
Sollst du auch nicht, du sollst ihnen nur klar machen, dass sie nicht auf das Abenteuer in der Kneipe warten sollen. Natürlich kann das Abenteuer sie finden, aber ist es nicht toller, wenn die Spieler das Abenteuer finden? So ganz aktiv?
Außerdem haben Hooks nichts mit Railroading zu tun, im Gegenteil, wenn du ihnen mehrere hinwirfst, die alle nichts miteinander zu tun haben, können die Spieler entscheiden, was sie tun, nicht du! Wenn du für jeden der Hooks eine grobe Idee hast, was es damit auf sich hast, hat das doch nichts damit zu tun, dass du den Spielern sagst, was sie zu tun haben?!
Frodo: "Boah ist mir langweilig. Wisst ihr, worauf ich heute so richtig Lust hätte? Dass mir ein Ring in die Hände fällt und ich dann eine abenteuerliche Flucht bis zum Schicksalsberg hinlege, und um mich herum geht die Welt unter."
So funktionierts halt nicht.
Nee, tut es tatsächlich nicht. Aber der HdR ist ja auch Railroading pur.