Nach gut fünf Jahren intensiv bespielter Savage-Worlds-Fantasy-Kampagne, welche die Charaktere weit in die Legendary-XP-Werte (160 + XP) geführt hat, kann ich die Kampagnentauglichkeit von SW DEFINITIV BESTÄTIGEN.
Auch Charaktere mit 160 XP können noch durch One-Hit-Kills umkommen. Kämpfe bleiben also IMMER riskant, auch ohne immer härtere Gegner auffahren zu müssen. - Nachteil: Bei SEHR heroischen Kampagnen will man ja NICHT, daß die Helden auch von einem Extra aus der Schlachtreihe so eins verpaßt bekommen, daß sie zu Beginn der epischen Schlacht außer Gefecht gesetzt werden. Das kann man mittels Bennies, die ja auch NIE SICHERE Effekte haben, sondern nur eine Chance auf das Wundenvermeiden oder Wurfwiederholen geben, nicht ganz auffangen. - Für SEHR heroische Kampagnen sollte man sich frühzeitig überlegen, die entsprechenden Settingregeln (wie z.B. in Slipstream oder den Daring Tales of Adventure) einzuführen, die ein vorzeitiges Ableben der tragenden Figuren verhindern können. Andererseits: Meinem Geschmack nach ist das Heldentum immer dann wirklich SPÜRBAR, wenn eben mit HARTEN Bandagen gekämpft wird und KEINE "Unkaputtbarkeits"-Settingregeln zum Einsatz kommen.
Auch Charaktere mit 160 XP haben noch VIEL, was sie hinzulernen können/sollten. Die Charakterentwicklung ist auch bei 200+ XP noch nicht beim "Meisterlichen Alleskönner" angekommen, wie es bei manch einem anderen Regelsystem der Fall ist. - Nachteil: Man ist mit seinem Charakter nie "fertig". Die SW-Charaktere sind auf DAUERSPIEL ausgelegt - anders als in manchen anderen Rollenspielen, wo man alle "Issues" und alle Ziele des Charakters irgendwann erreicht hat, und der Charakter nichts mehr hergibt, bleiben SW-Charaktere dauerhaft spielinteressant. - Hätten wir nach fünf Jahren nicht einen echten, in der Erinnerung der Spieler an Tragik, Erfolg, Kompromissen, losen Fäden, bitteren Enden REICHEN Schlußpunkt (und Wendepunkt für die gesamte Spielwelt) erreicht, dann hätten ALLE noch Lust gehabt weiterzuspielen, weil noch so viel in den Charakteren drin war. - Aber bei mir als Spielleiter war für Fantasy einfach nach dieser Zeit dauernder STEIGERUNGEN in der Kampagne die Zeit für etwas anderes gekommen - Necropolis.
Savage Worlds kennt sehr unterschiedliche Spielmodelle:
- One Sheets - auf einem Blatt, d.h. zwei Seiten verfügbare Kurzabenteuer, die für ein Zwischenspiel in einer längeren Kampagne, für eine Demo-Runde auf einem Con oder als lose Folge "nicht-abendfüllender" Szenarien gedacht sind.
- Stand-Alone One-Shots - diese stehen für sich, haben kein Davor und kein Danach, und oft sind die Charaktere ausschließlich auf diesen One-Shot in ihrer Konstellation her ausgerichtet. Oft werden sogar vorgenerierte Charaktere dafür geboten, die exakt auf diesen One-Shot passsen. Beispiel: Rise Alabama!
- Savage Tales - diese stehen auch für sich allein, als daß sie keine Voraussetzungen haben, doch sind sie dafür gedacht mit KONTINUIERLICH bespielten Charakteren - eben KAMPAGNEN-Charakteren - gespielt zu werden. Beispiel: Die einzeln erschienenen Necropolis- oder Sundered-Skies-Savage-Tales.
- Savage Tales SERIEN - dies sind Savage Tales, die zum einen dieselben Charaktere voraussetzen, also KAMPAGNEN-Charaktere (bisweilen auch bis in den Legendary Rank vorgenerierte Charaktere), und die zum anderen aber eine inhaltlich nur lose (d.h. vor allem über die festen Hauptcharaktere) verbundene SERIE an Savage Tales darstellen, aber ohne einen wirklich durchgängigen Handlungsbogen. Beispiel: Daring Tales of Adventure.
- Mini-Kampagnen - das sind Savage Tales, die mehr als nur eine zusammenhängende Szenario-Struktur aufweisen, sondern einen über Wochen und Monate entwickelbaren Handlungsbogen mitbringen. Beispiel: Zombie-Run.
- Geskriptete Kampagnen - das sind Kampagnen üblichen Zuschnitts, wo ein Haupthandlungsbogen mit ein paar Verzweigungsmöglichkeiten geboten wird, die aber gedacht sind, AM STÜCK durchgespielt zu werden - ohne Zwischenspiele. Beispiel: Evernight, und viele leider nur "sogenannte Plot-Point-Kampagnen" von SW-Lizenzherstellern, die mißverstanden haben, was eine Plot-Point-Kampagne von einer geskripteten Kampagne, die einfach nur in linearen Kapiteln angeboten wird, unterscheidet.
- Plot-Point-Kampagnen - das sind Kampagnen mit "Meilensteinen", den Plot-Points, die die Kernszenarien zum Spielen des Kampagnen-Handlungsbogens enthalten, sowie Dutzende Savage Tales, die aber nicht alle gespielt werden müssen, um die Plot-Point-Kampagne zu spielen, sondern die wie z.T. umfangreiche Zwischenspiele zwischen den Haupthandlungsbogen-Meilensteinen frei vom Spielleiter nach den Wünschen und Handlungen der Spieler eingeflochten werden können. Unterstützt werden diese Plot-Point-Kampagnen mit Abenteuer-Generatoren, die ein Grundgerüst für ein im jeweiligen Setting und im Kontext der Plot-Point-Kampagne stimmiges EIGENES Abenteuer liefern. Beispiel: 50 Fathoms, Solomon Kane, DL:R The Flood, usw. - Dies ist das VERBREITETSTE Format für Savage-Worlds-Kampagnen!
Aufgrund der hohen Verbreitung der Plot-Point-Kampagnen (mehr noch als die Savage Tales!) ist SW eigentlich ein KAMPAGNEN-Rollenspiel, das auch sehr gut One-Shots und kurze Szenario-Serien zu spielen erlaubt.
Durch die Ausrichtung der Spielercharaktere auf das "Wachstumsmodell", d.h. auf häufige Charakterkompetenzsteigerungen (mindestens jede zweite Spielsitzung!), ist klar, daß SW an sich für Kampagnenspiel gedacht ist.
Daher fangen auch manche One-Shots mit Charakteren an, die bereits "vorerfahren" sind und auf 20 XP oder mehr einsteigen. - In einem One-Shot bekommt man von dieser Ausrichtung auf das Kampagnenspiel natürlich wenig mit - in einer kurzen Szenario-Serie (wie z.B. den Savage Tales Serien für Sundered Skies oder den noch enger entworfenen Serien Daring Tales of Adventures, Daring Tales of Chivalry, Daring Tales of the Sprawl oder Daring Tales of the Space Lanes) wird einem die Kampagnenausrichtung von Savage Worlds auf alle Fälle deutlich gemacht.