Dieses Buch lese ich in deutscher Übersetzung. Die Übersetzungsfähigkeit kann ich aufgrund dessen, dass ich das Original nicht kenne, nicht einschätzen. Es ist jedoch erkannbar, dass viele Beispiele auf den deutschen Markt angepasst worden sind. Es wird eine sehr eingängige Sprache benutzt, welche sich auf leichte Verständlichkeit zu stützen erhofft. Das gelingt bisher gut. Kahneman nimmt sich zu Beginn des Buches vor, seine Punkte mit ganz leichten Denkexperimenten zu illustrieren und einem zu beweisen, wie man sich von der Intuition ins Bockshorn jagen lässt.
Er spricht im weitesten Sinne von zwei Denksystemen, denen den Mensch folgt. System 1 (er nimmt solche Namen, damit man sie sich leicht merken kann) basiert auf intuitionsgesteuertem Denken, welches erweitert sein kann durch Erfahrung. Und System 2, also aktives, selektives Denken, welches Anstrengung benötigt. Bisher erklärt er die beiden Systeme, wie der Körper mit ihnen arbeitet, welchen Heuristiken er anwendet, wie der Geist schnell an seine mentale Leistungsfähigkeit kommt, wie das körperlich nachweisbar ist etc. - Wobei die zwei Systeme nicht real sind, sondern eben auch fiktive Akteure, um das Denken und Assoziieren beschreiben zu können.
Im weiteren Buch will er das genauer erläutern und Wege des Umganges mit diesem Phänomen beschreiben. Interessanterweise spielt Faulheit und Denkfaulheit eine große Rolle in diesem Buch und er versucht einen permanent mit den Experimenten zu narren. Wenn man den Anweisungen im Buch folgt, klappt das auch. Da man jedoch weiß, dass er es versucht und auch ankündigt, trifft es einen mitunter freilich nicht immer, wenn man sich eben anstrengt, dass zu verhindern.
Es liest sich auf alle Fälle (da ich etwas mehr als 10% gelesen habe) ganz gut und ist mir insofern auch lieber, dass es nicht zu einem Ratgeber verkommt. Lars hatte eine ganze Reihe von Ratgebern angeschleppt, wie die mehr oder weniger aus den Bestsellerlisten bekannten
Dobelli-Bücher. Die haben so tolle Namen wie die Kunst des klaren Denkens und gehören für mich in eine Kategorie wie Quecksilbers Denken Sie selbst, sonst tun es andere für sie! von Vince Ebert und Eckart von Hirschhausen. Ich mag diese Form von Ratgeber-Büchern gar nicht. Kahneman jedoch ist nicht einfach irgendein Pseudokomiker oder Businesskasper, der mir erzählen will, wie ich mein Gehirn austricksen kann oder der mir einen sophistischen Leitfaden zum richtigen Denken gibt, sondern er teilt auf leichtfüßige Art und Weise seine Erkenntnisse über Entscheidungspsychologie, ohne mich belehren oder belächeln zu wollen. Er spricht offen und mit netten Anekdoten über kognitive Verzerrungen. Zwar macht er zu Beginn gleichfalls den Klassiker, erst auf seine Meriten zu verweisen (Nobelpreisträger, er ist Psychologe und hat einen Wirtschaftsnobelpreis bekommen), aber es wird schnell klar, warum er dies tut. Zum einen relativiert er dies teilweise, in dem er ein Gros der Lorbeeren an einen früh verstorbenen Wissenschaftler weitergibt, der den Nobelpreis deswegen nicht mehr empfangen konnte, zweitens arbeitet er bewusst mit der Stereotypisierungen. Eben mit Heuristiken für seine Credibility, wenn man so möchte.
Alles in allem werde ich dieses Buch zuende lesen, weil es sich eben nicht an einem krankhaften Neosophismus krallt und sich im Gewande des bescheuerten Ratgebers kleidet, angenehm zu lesen ist und mich geistig auch an manchen Stellen lächelnd herausfordert.
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Das Buch ist zuende gelesen und der erste Kommentar hat sich weitestgehend gehalten. Er bringt viele interessante Punkte zu den Heuristiken auf und schafft es tatsächlich mit seinem Werk zumindest innerhalb des Werkes für diese Heuristiken zu sensibilisieren. Interessanterweise oder in dem Zusammenhang sympathischerweise setzt er an vielen Stellen genau seine eigenen Heuristiken an, ohne dies jedoch auf die faktische Seite zu ziehen. Aber abseits davon arbeitet er eben selbst mit den Stereotypisierungen, die er eigentlich auf ein Stück weit verneint oder in Frage stellt aufgrund gewisser Wahrscheinlichkeiten. Normalerweise würde mich jene logische Inkohärenz stören, doch Kahneman macht es richtig, in dem er sagt, dass er sich eben nicht völlig davon freimachen kann oder so gut wie nicht freimachen kann. Er beschreibt vor allem plastisch die Außensicht, also jenes, was wir auch immer kennen: Die möglichen Unzulänglichkeiten anderer erkennen wir leichter als unsere eigenen.
Obwohl er gerne zwischen den Laien und Experten die Trennlinien in Hinsicht auf Heuristiken verwischt, betont er mir zu oft, dass seine Freunde und Mitstreiter fast alle Nobelpreisträger sind. Durch die Häufigkeit der Nennung und der Stellung im Text, bekommt man so dass Gefühl, dass er eigentlich gerne dreiteilen würde: Die Laien, die Experten, Ich und meine Freunde. Das ist bestimmt nicht zu beabsichtigt, leider wird diese Titelnutzung ein paar mal zu häufig genutzt, aber das macht er weitestgehend damit wett, dass er seinen verstorbenen Freund immer wieder positioniert und so dessen Arbeit nicht als seine alleinige verkauft. Hier dient es dem Zweck, die Schlagkraft seiner Argumente zu erhöhen, ohne dass er sie als allwissend darstellt, aber tendenziös in der Aufwertung ist es schon. Es macht dann manchmal gar den Schein von Autoritätsargumenten, aber darüber kann man im Großen und Ganzen hinwegsehen.
Inhaltlich will das nicht gesondert wiedergeben, da in absoluter Kürze dies schon im Wikipediaartikel stattfindet. Also die unterschiedlichen Heuristiken sind interessant, aber ebenso die Teile zum Risikomanagement und der allgemeinen Unfähigkeit (oder vielmehr Unlust) realistische Bezugsgrößen bei Wahrscheinlichkeitsschätzungen zu nutzen waren für mich ziemlich zentrale Punkte.
Sehr schön ist, dass er jederzeit beschreibt, was er mit seinen Beschreibungen vor hat und in welchen Bezug dies zu möglichen Manipulationen steht, oder wie die Fachsprache es nennen würde: Entscheidungsarchitektur. Dies im Zusammenhang, auch wenn es nur angerissen ist, mündet in einer Aussprache für der libertären Paternalismus. Mit diesem Thema beschäftige ich mich letztendlich schon länger, auch weil er in der Schnittmenge von Wolfgang Kerstings Vorlesungen sichtbar, wenn auch nicht unbedingt vertreten, war. Auch wenn er ihn nicht so nannte.
Das Buch ist tatsächlich, wie Thaler als Lobwort schreibt, eine Tour de Force durch den Geist. Thaler ist auch einer seiner hochgelobten Freunde, der sich dieses Lobwort also gerne entreißen ließ, auch wenn dieser kein Nobelpreisträger ist, aber immerhin Berater von Obama, also auch ausreichend titelmäßig platziert wird. Es ist mit einem Ausrufezeichen zu empfehlen, weil es einen gerne vor Augen führt, wo man es sich selbst etwas leicht macht gedanklich. Es war also für die Zeit meiner Rückkehr ins geregelte Buchleben ein gutes, erstes Werk. Es lässt einen viel nachdenken und ist sicher ideal, um es immer mal wieder aufzuschlagen. Es sollte jedoch auch mit einem kritischen Blick gelesen werden und es darf nicht vergessen werden, dass es vor allem aus der Warte der Verhaltenspsychologie und Verhaltensökonomie geschrieben ist. Es untergräbt den weiterhin noch von manchen aufrecht erhaltenen homo oeconomicus, ohne ihn ganz zu entmündigen. Es ist also insofern auch ein schönes Kompromissbuch zwischen jenen, die alles rational betrachten wollen und jenen, die uns zu Opfern unsere neurochemischen Prozesse machen.
Ich mache mich jetzt auf die Suche nach dem nächsten Buch.