Der Hellfrost-Gazetteer nutzt leider WENIG ohne den Hellfrost-Players Guide und das Hellfrost-Bestiary zu kennen.
Zu eng sind die Querbezüge auf Fluff-Ebene.
Wenn im Gazetteer von Trow (einer Fremdrasse) die Rede ist, und man nur Gazetteer und Players Guide kennt, dann weiß man immer noch NICHT, was damit gemeint ist, da die Trow nur im Bestiary aufgeführt werden.
Wenn im Gazetteer von den Hearth Knights die Rede ist, dann muß man den Players Guide kennen, um zu wissen, was das eigentlich für Leute sind, und die eigentlich so auszeichnet, vom "Normalbürger" unterscheidet.
Wenn im Gazetteer von Icewood, Black Ice, Coldfire, der Convocation of Elementalists, von Heahwisards, usw. die Rede ist, dann weiß man NICHTS darüber, was damit gemeint ist, da das alles im Players Guide steht.
Somit:
Der Gazetteer ist zwar (fast) ohne Spielwerte für Savage Worlds abgefaßt, taugt aber als wirklich eigenständiges Weltbeschreibungswerk WENIG, da zuviel an weltspezifischer Fluff-Information über Kulturen, Völker, Gruppierungen, Gegenstände, Rohstoffe, usw. im Players Guide und im Bestiary stehen und nicht einmal mit einer Fußnote im Gazetteer für Verständnis gesorgt wird.
Gerade bei den Kreaturen/Völkern darf man - so man nicht ein brilliantes Merkvermögen hat - immer wieder im Bestiary und im Players Guide nachblättern, um einen Absatz im Gazetteer zu verstehen ("Was sind das nochmal für Leute? - Was ist das für eine Organisation, die hier ihren Sitz haben soll? - Warum soll dieser oder jeder Rohstoff so wertvoll sein, daß die Leute dafür ins Ewige Eis gehen?").
Der Players Guide enthält zur Hälfte Regeltechnisches aber die andere Hälfte ist Weltspezifisches, Kulturelles, und zwar DURCHMISCHT mit Regeltechnik - was dazu führt, daß die Regeln nicht auf dem Setting "lose" aufgesetzt wirken, sondern es durchdringen.
Hellfrost spielt sich NICHT, wie ein loses Setting, das man mit einem "geschmacksneutralen" generischen Regelsystem bespielt, sondern es spielt sich - trotz Basis in der SW:EX-Regelausgabe - wie ein HELLFROST-ROLLENSPIEL.
Die Zerteilung der Inhalte in drei Hardcover (und das werden wohl nicht die letzten Bände bleiben) ist UNGLÜCKLICH und UNGESCHICKT und UNPRAKTISCH, und rührt vornehmlich aus dem Bestreben von TAG von ihrer Intellectual Property Hellfrost einfach mal mehr EINKOMMEN herauszuziehen, als dies beim üblichen SW-Ansatz mit Grundregelwerk plus EIN Settingbuch der Fall wäre.
Mit ca. 120 Seiten pro Hardcover hätte man alle drei Bände in EINEN packen können. - Dann wäre das nicht einmal so umfangreich wie das Solomon Kane Rollenspiel. - Und idealerweise hätte man die SW:EX-Regeln, die für Hellfrost gebraucht werden, auch gleich übernehmen können, denn so hat man insbesondere bei den Powers schon DEUTLICH andere Ansätze, weil die Magie in Hellfrost anders als im SW-Grundregelwerk funktioniert.
In Deadlands:Reloaded wurden ALLE Grund-Powers übernommen. Das hätte man auch bei Hellfrost tun sollen - und nicht nur einen TEIL der Grund-Powers, für den die Hellfrost-Sonderregeln besonders deutlich abweichen.
Hellfrost ist auf jedenfalls das bislang umfangreichst ausgearbeitete Savage-Setting. - Jedoch ist allein der eine Nordkontinent der Welt schon mit solch eine Fülle an Regionen, Völkern und "Problemen" angereichert, daß der Gazetteer nur sehr oberflächlich diese anreißen kann.
Ich hoffe mal, daß es nicht zu einer Schwemme an Regionen-Bänden usw. führen wird - wobei Wiggy ja als Viel-und-Schnell-Schreiber so etwas in Rekordzeit raushauen könnte.
Anders als normale Savage-Settings, in denen die Spielwelt ja auch nur grob angerissen ist, gibt es für Hellfrost keine Plot-Point-Kampagne. - Der Nachteil: Bei einer Plot-Point-Kampagne wird nur der Bereich der Spielwelt mit mehr "Tiefenschärfe" dargeboten, der für den Haupthandlungsbogen wichtig ist. In diesem Bereich hat man ALLE Informationen, die man zum Spielen mit wenig Aufwand für den Spielleiter braucht. - Nebenschauplätze werden kaum beschrieben oder bekommen eventuell eine Savage Tale für einen "Besuch" dort.
Bei Hellfrost ist ALLES mit dem Potential ein Haupt- oder Neben-Schauplatz zu sein, ausgestattet. - Daher ist zuviel an Information gegeben, um eine Region als nur am Rande wichtig abzustufen, und nicht genug, um zu erkennen, daß genau HIER die "welterschütternden" Entscheidungen erspielt werden sollen.
Hellfrost ist somit im Gegensatz zu Plot-Point-Settings weit weniger fokussiert und damit schwerer zugänglich. - Als Spielleiter kann man sich eine Region herauspicken, muß aber RICHTIG VIEL selbst machen - und zwar im Ausarbeiten der Region, der Lokationen UND der Abenteuer, die dort gespielt werden sollen.
Das mag für viele Spielleiter die normale Art eines Settings sein. Die "nackte" Spielwelt ohne klaren Fokus und ohne Abenteuer-Unterstützung zum Adressieren der weltbewegenden Themen (hier Syphoning, Hellfrost, Verschwinden der Sonnen- und Feuer-Götter, die Scavengers-Maschinen, die Völker VOR dem Ice Rising, die Untoten-Schwemme, uvam.).
Für einen Savage-Worlds-Spielleiter ist hier einfach DEUTLICH mehr Arbeit nötig. - Statt eine halbe Stunde vor Spielrundenbeginn die aktuelle Savage Tale oder den Plot-Point anzuschauen oder kurz auf dem Abenteuergenerator zu würfeln, heißt es hier RICHTIG Arbeit reinzustecken. - Die Zielgruppe von Hellfrost ist demnach eher weniger die typischen SW-Spielleiter mit zu wenig freier Zeit, die somit mehr Spiel für ihre knappe Zeit haben wollen, und mehr die (meist jüngere) Gruppe der Spielleiter mit viel Zeit sich auf Basis des Gegebenen selbst alle Details und alle Abenteuer auszuarbeiten.
Es gibt für Hellfrost auch vorgefertigte Abenteuer. - Diese sind auch wieder oft anders als typische Savage Tales.
Manche sind für Savage-Worlds-Verhältnisse EXTREM railroading-lastig, wo die Spieler KEINE Einflußmöglichkeiten auf das Geschehen haben. Hier kommt das von Wiggy bei den Pulp-Abenteuern, die ja nach "Drehbuch" zu spielen gedacht sind, aufgekommene "Gängeln" der Spielercharaktere durch die "Story" in einem an sich eher als Sandbox angelegten Setting vor. Und das PASST NICHT!
Was im Gazetteer fehlt und auch im Bestiary NICHT enthalten ist: Begegnungstabellen. Diese wären für eine LEBENDIGE Spielwelt absolut notwendig, enthalten sie doch Aussagen über Auftreten, Verbreitung, und DYNAMIK von Bewohnern der Spielwelt und deren Regionen. - Leider FEHLANZEIGE!
Das ist der Punkt, der mich neben Railroading-Abenteuern (nicht alle sind so, aber mehr als erträglich ist), am meisten am Hellfrost-Setting stört.
Die Weltbeschreibung wirkt so UNVOLLSTÄNDIG ZUM SPIELEN. - Das heißt NICHT, daß jedes Detail beschrieben werden sollte, aber es sollten z.B. typische Bekleidungen, typische Baustile, typische Bewaffnungen, usw. - einfach typische kulturelle UNTERSCHIEDE je nach Region kurz aus der Gazetteer-Darstellung hervorgehen. - Tun sie aber nicht.
Und es sollten typische Begegnungen, die typischerweise in bestimmten Regionen zu erwartenden oder anzutreffenden Kreaturen, Völker, Bewohner erkennbar sein. - Sind sie aber nicht.
Und die im Bestiarium aufgeführten NSC-Werte sollten in Anbetracht der Funktion der dargestellten NSCs STIMMIG sein. - Sind sie aber oft nicht. (Z.B. Hearth Knights, die ALLE keinen Shooting-Skill haben, aber vornehmlich gegen mit Fernwaffen bewaffnete Ice Goblin Heere kämpfen - das ist BESCHEUERT ohne Ende! - Ich erwarte mir, wie in anderen Savage Settings, daß ich einen NSC-Stat-Block einfach nehmen kann, und der PASST und ist ÜBERLEBENSFÄHIG in der Region, in der er in der Spielwelt auftreten soll.)
Es sollte alles SPIELRELEVANTE aufgeführt sein. Und für das Spielen in einer Welt OHNE Plot-Point-Kampagne und OHNE Abenteuergenerator sind nun einmal Begegnungstabellen, out-of-the-book taugliche, nicht erst noch auf Stimmigkeit zu prüfende Stat-Blocks, und klare, in Beschreibungen im Spiel DARSTELLBARE kulturelle "Erkennungszeichen" einfach wichtig.
Wenn man sich auf nur einen kleineren Teil der Spielwelt, z.B. die Heartlands, bezogen hätte, und diesen im gleichen Seitenvolumen dargestellt hätte, dann wäre etwas mit weniger Aufwand SPIELFERTIGES herausgekommen.
So empfinde ich Hellfrost aus Spielleitersicht als ZU GROSSEN Wurf (und dabei ist nur Material für EINEN Kontinent veröffentlicht worden, ein großer (WARMER! und Syphoning-freier!) Südkontinent und ein asiatischer Kontinent jenseits des Meeres stehen noch für die Zukunft bereit).
MIR ist eine solche, einen erschlagende Spielwelt einfach aufgrund meiner knappen Zeit ZU VIEL ARBEIT sie auch nur in einem engen Teil spielfertig auszuarbeiten. - Für Settingbastler bzw. Setting-AUSARBEITER ist dies vielleicht gerade richtig so. Weiß ich nicht. - Ich will ein Savage Setting nehmen können, und nach einmaligem Durchlesen in der Lage sein gleich am nächsten Wochenende eine gerne auch jahrelang laufende Kampagne zu starten. Das ist etwas, was andere Savage Settings, die das Plot-Point-Modell verwenden, erlauben.