Mal ein Beispiel für eine Fluktuation beim Spieler, wie sie mir als NORMALFALL im Spiel präsent ist:
Die aktuelle Spielsitzung befindet sich gerade in einer Szene, in welcher im Moment im Mittelpunkt steht, Stimmungselemente des Settings (kulturelle Versatzstücke, Redeweise, Redewendungen, Sitten und Gebräuche) spielerisch zum Leben zu erwecken. - Mich, mit der "Brille" meines Charakters, stört gerade eine Verhaltensweise eines NSCs, die zwar eventuell stimmig ist, aber die manchen Charakterzügen meines Charakters quer kommt. Daher handele ich und lasse meinen Charakter reden - und zwar dergestalt, daß es zu einer Provokation, einer Eskalation der Situation kommt. Für mich: Charakterspiel, da die Motivation für das Handeln ausschließlich in den Charakterzügen lag, und keine "Feindeinwirkung" von außen oder die Absicht eine "schöne Geschichte zu erzählen" hier vorlag.
Aufgrund der verbalen Eskalation gibt es nun eine Herausforderung. Und zwar zunächst eine diplomatische. Diese kann von anderen Spielern aufgegriffen werden, wird sie auch und meine Mitspieler versuchen die Situation beizulegen. Da entscheidet der Spielleiter, daß ein NSC "nachkarten" muß. Mein Charakter fängt an diesen NSC zu schlagen. Eskalation zur Kampfszene (übrigens ein Grund, weshalb ich auch "Laber-Szenen" gerne in passender Szenerie oder Battlemap spiele, da so etwas - längst nicht nur mit mir als Spieler - schnell eskalieren kann und man dann nicht gerne erst umständlich die Kampf-Spielelemente aufbauen möchte, sondern man kann direkt aus der Position, in der man gerade geredet hat, zuschlagen).
In dieser beginnenden Kampfszene ist noch nicht so ganz klar, was eigentlich das Ziel des Kampfes ist. MEIN Charakter will sich gegen eine vermeintliche Beleidigung durchsetzen - das ist Charakterspiel, Ausdruck der Charakterzüge mit nicht nur verbalen sondern auch handgreiflichen Mitteln. Was die anderen für ein Ziel haben, ist mir aktuell egal, denn ICH will jetzt gegen diesen NSC GEWINNEN. Charakterspiel UND Herausforderungsbewältigung halten sich hier die Waage.
Die Szene eskaliert weiter, es kommen immer mehr NSCs auf den Plan, es gibt die ersten Verletzten und nun hat die Gruppe FÜR DEN MOMENT ein gemeinsames Ziel: Diese eskalierte Situation zu ÜBERLEBEN. Auch Herausforderungsspiel, könnte man sagen. - Nur: WIE die Spieler dieser Gruppe hierbei vorgehen, ist weit weniger auf "effiziente Problemlösung" ausgerichtet, sondern darauf, BEIM Problemlösen ihren Charakter so auszuspielen, daß er ein stimmige Bewohner der Spielwelt ist und somit sowohl das Ergebnis (man hat überlebt), als auch der Weg dorthin (die Charakterzüge kamen zum Tragen), als auch die "Ausgestaltung" des Wegs (es blieb stimmiges Handeln innerhalb der kulturellen Settingkonventionen) sind hierbei GLEICHWICHTIG.
Sogar innerhalb ein und derselben Szene kann es somit zu z.T. erstaunlich schnellen, aber IM SPIEL unmerklichen, ja GANZ NATÜRLICHEN Zielsetzungswechseln, Stilwechseln, Motivationswechseln bei jedem Spieler kommen.
In einer anderen, ähnlich gelagerten Szene, die auch durch Aktion meines Charakters in ein Gemetzel eskalierte, war aber NICHT die innere Charaktermotivation für mich ausschlaggebend, sondern die Motivation, daß es einfach eine COOLE SACHE wäre, sich bei einem reichen Sklavenhändler als Leibwächter zu verdingen, indem man seine aktuellen Leibwächter einfach niedersticht oder umlegt. Das war ein anderes Genre, das war mehr Sword&Sorcery, wo die Genre-Konventionen der Runde klar das Ausdrücken der Charaktere durch HANDELN beinhalteten. - Meine Handlung im Spiel war aber einfach von der "gefühlten Coolness" der Aktion motiviert. Nichts von Herausforderungen, Story, Problemlösung, Stimmung, Charakterzügen, Taktik usw.
Was ich in noch KEINER Runde kennengelernt habe - weder in häuslichen Runden noch in Vereinsrunden oder auf Cons - ist ein (mehr oder weniger belastbar formulierter, ja gar schriftlich fixierter) Gruppenvertrag. - Das ist ein völlig künstlicher, in der Praxis nicht nur NICHT relevanter, sondern sogar STÖRENDER Irrweg.
Eine Gruppenbildung zu fördern kennt viel natürlicher Wege als aufgesetzte Verträge. Und letztlich, das liegt ja an der Natur von Gruppen, ist es der Gruppenführer, der ORDNUNG schafft, der für die Ausrichtung der Individuen sorgt. (Das muß nicht der Spielleiter sein!) - Und diese Ausrichtung wird sich NICHT mit gruppenweit aufgesetzten "Zielen" ergeben, sondern über das BEZIEHUNGSGEFLECHT innerhalb der Gruppe.
Diese Beziehungsstrukturen sind KRAFTVOLL und wirken REGULIEREND, d.h. unterschwellig und dauerhaft, gegenüber künstlich aufgesetzten, "rationalen" Verträgen, die nur KONTROLLIEREND wirken können, d.h. sich in den VORDERGRUND drängen und dort aber nur kurzfristige Wirksamkeit durch Zwänge entfalten können.
Durch die Bildung einer Gruppe mit einer normalen Gruppenstruktur, kommt es dazu, daß die einzelnen Vorlieben zwar immer mal wieder auch in Konflikte geraten können (so wollte im obigen Beispiel KEINER meiner Mitspieler jetzt aus einer Stimmungslaberszene eine Schlägerei machen), die aber aufgrund der Kräfte des Gruppenzusammenhaltes aufgefangen und abgefedert werden. Und diese Kräfte haben zunächst einmal ÜBERHAUPT NICHTS mit dem Rollenspiel, mit Spielzielen, Spielstilen usw. zu tun.
Die Existenz dieser Kräfte scheint durchaus bewußt zu sein, nur wird deren Stellenwert in diesem und dem Ursprungs-Thread grundlich VERKANNT: Geselliges Beisammen steht im Vordergrund (Bier & Bretzel Rollenspiel).
Das ist UNSINN.
Nicht das "gesellige Beisammensein" ist der wesentliche Punkt, sondern die GRUPPENBINDUNG. Die Bindung des EINZELNEN IN der Gruppe, die Bindung aller AN die GEMEINSAME Gruppe, und die Bindung der Gruppe nach innen als WIR-Gefüge.
Somit ist für (das regelmäßige) gemeinsame Rollenspielen einer Gruppe die GRUPPENBINDUNG einfach stets der bestimmende Einflußfaktor auf das Spiel. - Diese Bindung zueinander läßt die Fluktuation der Spielstile, das Verfolgen unterschiedlicher Spielziele, die Entfaltung der INDIVIDUEN in der Gruppe bei gleichzeitigem Zusammenhalt (d.h. ohne als Summe von Egoisten, die alle auseinanderstreben) zu.
Ein vorvereinbarter Spielstil einer Gruppe von Menschen, versucht durch eine äußere Kraft, die Vereinbarung, den zunächst einmal unabhängigen und in beliebige Richtungen stebenden Menschen einen RAHMEN vorzugeben. Eine ÄUSSERE Kraft. Das ist ein ZWANG. (Der Begriff "Zwang" ist für mich NICHT negativ belastet - er stellt nur den Fakt einer äußeren Kraft dar, im Unterschied zu inneren Kräften wie Drang, Trieb, Lust usw.)
Das KANN für kurze Zeit und bei nur kurze Zeit gemeinsam agierenden Personen in einer temporären Gruppe taugen, aber das ist NICHT dauerhaft tragfähig.
Menschen BILDEN IMMER Gruppenbeziehungen. - Als soziale Wesen WIRD auch in einer Gruppe mit äußerem Zwang, dem Zusammenhalt durch KONTROLLE, über längere Zeit einfach ganz natürlich eine INNERE Struktur entstehen, die einen inneren Zusammenhalt durch REGULATION darstellt. - Und in diesem Punkt könnte und SOLLTE man den äußeren Zwang schnell WEGLASSEN, denn es WIRD durch die natürliche "Schwingung" des Beziehungsnetzes einer Gruppe garantiert zu Konflikten mit dem "Vertrag" kommen. Und da aber der Vertrag KEINE PERSON ist, sondern nur ein rein rationales, unpersönliches Gebilde, ist es an sich NICHT KONFLIKTFÄHIG und führt zu STÖRUNGEN des natürlichen Gruppenverhaltens.
Somit bewirkt ein von Außen aufgesetzter Gruppenvertrag genau das GEGENTEIL von dem, was eine sich um den Gruppenführer in natürlicher Dynamik scharende Gruppe darstellt. Das KONTROLL-Mittel "Vertrag" wirkt für die natürlichen Gruppenprozesse irritierend und störend, während das Regulativ des Beziehungsgeflechts und des Gruppenführers als Knotenpunkt darin, ein Maximum an FREIER ENTFALTUNG DES EINZELNEN innerhalb des Gruppengefüges ermöglicht.
Wer in einer natürlichen, einer unverkrampften, einer ZWANGLOSEN Gruppe mitspielt, der dürfte das schnelle, ansatzlose, STÄNDIGE Fluktuieren der Spielstile kennengelernt haben. - DAS ist nicht nur der natürliche Zustand, es ist auch der ERSTREBENSWERTE Zustand.