Ein weiterer Versuch, zu erklären warum ich es interessant finde, Nachteile und Schwachstellen auszuspielen (das ist zugegebenermaßen nicht ganz das OT-Thema, ich denke aber, in diese Richtung hat sich zumindest meine Argumentationsstruktur entwickelt):
Vorteile und Stärken beziehen sich zumeist natürlich in einer positiven Art und Weise auf die Gruppe und die Umwelt. Sie sind zur Problemlösung geeignet. Sie bieten wenig Anschluss für Charakterentwicklung. Sie beziehen nur selten den Rest der Gruppe mit ein.
Nachteile und Schwächen dagegen beziehen sich zumeist in einer negativen Art und Weise auf die Gruppe und die Umwelt. Sie sind dazu geeignet, mehr oder weniger plotunabhängig Probleme zu schaffen oder existierende Probleme zu vergrößern. Sie beziehen im Optimalfall den Rest der Gruppe mit ein. Bewußtes "Versagen" von Charakteren entweder in ihrer Gruppenfunktion oder auf einer "menschlichen" Ebene zwingt zur Improvisation. Das normale Abenteuer geht schließlich davon aus, dass eine Spielergruppe die Herausforderungen meistert, dass sie "funktioniert".
Ich stelle jetzt einfach mal eine Theorie auf, die man mir gerne mit Kritik beliebig zerschießen soll. Ich habe aber den Eindruck, hier kristallisiert sich vielleicht grade eine Struktur von verschiedenen Gruppentypen heraus.
Gruppentyp 1 erwartet bei der Entwicklung eines Rollenspielplots einen klaren Gegensatz Spieler/Spielleiter. Der Spielleiter behält gegenüber der Runde eine relativ klare Rolle als Person, die Problemstellungen aufbaut und die Anlaufstelle für Input und Output aller Spieler ist. Das hat für den SL viele Vorteile, unter anderem dass die Zeitstränge des Abenteuers vom SL weit besser überblickt werden können und er auch etwas weniger zu spontaner Improvisation gezwungen wird (etwas weniger ist natürlich immer noch einiges, wir kennen alle die durchschnittliche Spielrunde). Der Grad der Interaktion und des Einflusses von Spielern auf das Spielgeschehen ist hier aber niedriger als in Gruppentyp 2.
Gruppentyp 2 verlangt nicht so einen klaren Gegensatz Spieler/Spielleiter bei der Entwicklung des Plots. Wenn Spieler glauben, über ihren Charakter eine interessante Szene gestalten und die Mitspieler zur Reaktion zwingen zu können, wird das positiv gesehen. Auch wenn Spieler eine vom SL vorbereitete Szene umgestalten, versucht der SL darauf zu reagieren und das Abenteuer anzupassen. Obwohl der SL immer noch die zentrale Anlaufstelle für In- und Output ist, kann in vielen Momenten ein Spieler durch seine Aktionen den Plot drastisch verändern und so kurz- bis mittelfristig dem SL bis zu einem gewissen Grad "die Zügel aus der Hand nehmen". In wenigen Momenten kann der Spieler mit den Aktionen seines Charakters den Plot vollkommen umstoßen und in eine ganz neue Richtung lenken. Der Vorteil dieser Spielweise ist ein durch den größeren Einfluss viel dynamischerer Plot. Die Nachteile sind potentiell viel unübersichtlichere Zeitstränge und weit mehr Bedarf zur Improvisation.
Ich bin mehr oder weniger mit der zweiten Art der Gruppe aufgewachsen und habe sie von vielen meiner Mitspieler als "idealisierten" Typus einer Rollenspielrunde kennengelernt. Daher sicher meine Vehemenz auch bei der Verteidigung des Ausspielens von Schwächen am Spieltisch. Denn grade Schwächen eignen sich dazu, den Charakteren die (Mit-)Gestaltung von Szenen zu ermöglichen.
Dass es Leute gibt, die so etwas als Belästigung empfinden, war mir im Moment gar nicht wirklich im Bewußtsein, und darum finde ich den Faden hier auch sehr interessant.