Autor Thema: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde  (Gelesen 15515 mal)

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ErikErikson

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #25 am: 7.04.2010 | 13:30 »
Ich hab mich nur einmal im Spiel gegruselt, und zwar bei ner Con Runde um 2 uhr nachts. Die Uhrzeit und meine Müdigkeit haben da irgendwie mit reingespielt.

Da gabs so ne Statue, aus Gold, die irgendwie komisch surreal beschrieben wurde. Da hab ich so ein verschwommenes Bild im Kopf, das mir jetzt noch ein bisserl Angst macht. Dabei war an der Runde aber eigentlich nix besonderes, was ich noch wüsste.

Wenn ichs also unheimlich wöllte, würde ich bei akutem Schlafmangel spielen.  ;)

Offline Taysal

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #26 am: 7.04.2010 | 14:00 »
Hier mal meine 99 Eurocent zum Thema:

Horror entsteht, meiner Meinung nach, durch die Angst vor dem Unbekannten. Gute Horrorelemente können erzielt werden, solange sich die Gruppe darauf einlässt und den Spielern die Möglichkeiten des Systems und des Settings unbekannt sind. Das habe ich den Praxis mehrfach erlebt. Neue Spieler waren einfacher "zu schocken", da sie keine Ahnung hatten was als nächstes geschehen könnte und wie sich ihre Spielfigur gegen das große Unbekannte zu wehren weiß. So waren die Spielszenen sofort gruseliger, da weniger Kontrolle und Wissen. Ohne Kenntnisse des Settings und des Systems wurde ein Kontrollverlust (Handlung und Wissen) ausgelöst. In unserer modernen Gesellschaft funktioniert Horror primär anders.

Das ist der Grund, warum Horror in Film und Literatur funktioniert, am Spieltisch Probleme bereitet. Auf der Leinwand und im Buch baut der Zuschauer und Leser eine Bindung zu den Figuren auf. Es gibt keine Möglichkeit der Kontrolle, die Figuren sind der Handlung hilflos ausgeliefert. Das erzeugt Horror! Am Spieltisch haben die Spieler die Kontrolle über die Handlung - jedenfalls in einem bestimmten Rahmen.

Und daran krankt auch CoC. Bei meinen Beobachtungen habe ich festgestellt, dass Anfänger des Rollenspiels den größten "Horror" empfanden. Je mehr sie ins Spiel und in den Mythos eintauchten, um so mehr nahm der Horror ab.

Das ist eine der Problematiken: Wir sind heute zu aufgeklärt und zu abgeklärt. :)
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Offline Heretic

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #27 am: 7.04.2010 | 17:41 »
@Heretic: Lovecraft hat AUCH Pulp Ficiton geschrieben. Ein Großteil seiner phantastischen Geschichten und Romane bedient aber kaum die typischen Motive von Groschenromanen. Als Paradabeispiel kann man ihn also wohl kaum bezeichnen.
Lovecraft hat Literatur für "Weird Tales" und andere Magazine verfasst, welche man getrost unter "pulp fiction" einreihen kann. Zugegeben, er hat gewisse Tropen der pf gebrochen, trotzdem werden mWn viele seiner Werke als pf klassifiziert, bei Wikipedia ist er als pf-Schriftsteller gelistet, und im Großen und Ganzen sind seine Kurzgeschichten und Romane das Paradebeispiel für pf, nur weil er keinen Doc Savage oder ähnliche Superhelden beschreibt, negiert das noch nicht den Status der pf. Das kann einem gefallen oder auch nicht. Lies mal den englischen Wiki-Artikel zu Lovecraft, für welche Magazine er so geschrieben hat, vielleicht wirds dann klarer.

@Teylen: Ich hab mich noch nie bei Outer Limits und Twilight Zone gegruselt, dazu waren sie zu platt und zu bodenständig. Obwohl ich beide Serien gern gesehn hab.
« Letzte Änderung: 7.04.2010 | 17:44 von Heretic »
ErikErikson: Ich weiss immer noch nicht, wie ich meinen Speer am besten einführe.
kirilow (IRC): Ich denke mir aber, dass Du gerne ein Misanthrop wärst.
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Offline GustavGuns

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #28 am: 8.04.2010 | 17:35 »
Ich habe auch nur ein paar Cthulhu Runden gespielt, bei denen echte Gänsehaut aufgekommen ist, und da war ich noch unter Zwanzig.
Peng! Du bist tot!

Vecairion

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #29 am: 12.04.2010 | 16:42 »
Lovecraft hat Literatur für "Weird Tales" und andere Magazine verfasst, welche man getrost unter "pulp fiction" einreihen kann. Zugegeben, er hat gewisse Tropen der pf gebrochen, trotzdem werden mWn viele seiner Werke als pf klassifiziert, bei Wikipedia ist er als pf-Schriftsteller gelistet, und im Großen und Ganzen sind seine Kurzgeschichten und Romane das Paradebeispiel für pf, nur weil er keinen Doc Savage oder ähnliche Superhelden beschreibt, negiert das noch nicht den Status der pf. Das kann einem gefallen oder auch nicht. Lies mal den englischen Wiki-Artikel zu Lovecraft, für welche Magazine er so geschrieben hat, vielleicht wirds dann klarer.
Allerdings. Es gibt weit mehr als eine Art von Pulp Fiction. Weird Fiction ist definitiv Pulp Fiction, neben anderen Genres wie Western, Superhelden, Detektivstories, Sport, Romanzen, Raketensoldaten, und so weiter und so fort.

Zum Thema: Ich denke Cthulhu spielen sollte Spaß machen wie ein Horrorfilm. Da gibts auch nicht viele bei denen man sich wirklich fürchtet, meistens isses die Spannung ob der/die Hauptcharaktere überleben bzw wie sie sterben (was bei Cthulhu ja auch eher der Fall is :p).

Offline Heretic

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #30 am: 12.04.2010 | 17:12 »
Ausser man spielt einen sportlich-schwäbisch-evangelischen Pfarrer, der in den 1920ern/1930ern gern zum Jagen mit seiner Doppelläufigen in den Schwarzwald fährt...
xD
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Achamanian

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #31 am: 12.04.2010 | 17:29 »
Ich finde den Lovecraftschen Horror auch schwer im RSP nachzuspüren, auch wenn ich sehr gerne CoC spiele. Aber den "Kosmische Horror" hat für mich wenig mit der "Furcht vor dem Unbekannten" zu tun (obwohl Lovecraft das ja selbst mal so formulierte), und deshalb auch wenig mit den klassischen Stilmitteln der Verhüllung, Verdunkelung und Verrätselung, die man ja aus der Schauerliteratur kennt. Gerade in den späteren Lovecraft-Geschichten (Innsmouth, Mountains of Madness, Whisperer) kommt das meiste ja krass an die Oberfläche, es gibt eine richtiggehende semantische Überladung - der Effekt des Unbeschreiblichen wird nicht durch die gruselige Andeutung erzeugt, sondern durch die wuchernde Überbeschreibung. Deshalb funktionieren viele von Lovecrafts Sachen überhaupt nicht als klassische Schauerliteratur, man kann sich tatsächlich schwer gruseln.
Allerdings kann man, wenn man dafür empfänglich ist, sehr wohl das Grauen vor dem Überborden einer monströs gewendeten Natur empfinden, in der jedes Bewusstsein in Kürze wieder vom bewusstlossen Prozessieren des Stofflichen verschluckt wird wie die Älteren Wesen von den Schogghotten. Ich finde, Lovecraft macht die Vorstellung von Sinnlosigkeit und Tod auf seine Art so greifbar, dass er gelegentlich richtig schockt (und eben nicht "gruselt") - etwa bei "Colour out of Space" oder "Innsmouth". Den Effekt kann man im Rollenspiel aber kaum erzielen, weil er in Albernheit abdriftet, wenn er sprachlich nicht ganz exakt herbeigeführt wird (ist Lovecraft ja durchaus auch öfters passiert). Deshalb setzt man da, wenn man es gruselig haben will, eben wieder auf die klassischen Schaertechniken der Verhüllung, Verschleierung, Andeutung - oder auf expliziten Splatter. Beides entspricht aber kein bisschen dem Lovecraftschen Horror.

Deshalb passt auch die eingangs betriebene Geschichtsphilosophie m.E. überhaupt nicht zur Frage der Zeitgemäßheit des Lovecraftschen Horrors: Auschwitz, die Banalität des Bösen, hat alles mit dem menschlichen Bösen zu tun und nichts mit dem Nicht-Bösen, Nicht-Menschlichen Grauen des Kosmos um das es bei Lovecraft geht. Das sind zwei völlig unterschiedliche paar Schuhe.

Offline Heretic

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #32 am: 12.04.2010 | 18:17 »
One-on-one, wenn schon.
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Offline Heretic

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #33 am: 12.04.2010 | 18:30 »
Ich ging von der "Eins gegen Eins"-Thematik aus.
Wie, warum soll der Spieler sich unterordnen?
Und was genau meinst du damit?

Der Spieler ist NICHT mit dem Protagonisten gleichzusetzen.

In dem Moment, in dem der Spieler das schlechte Gefühl bekommt, hast du als SL versagt, mMn.
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Offline Minne

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #34 am: 12.04.2010 | 18:41 »
@Achaiaman:

Zunächst fand ich deine Darstellung dessen, was deiner Ansicht nach den Kern des Lovecraftschen Horrors darstellt wirklich sehr interessant. Allerdings ging es mir in meinem Beitrag eher um meine Erfahrung mit der Rollenspielpraxis und den von Lovecraft entlehnten Mythoswesen, die in dem Rollenspiel oft eine zentrale Rolle einnehmen. Und das eben in aller Regel unter dem Vorzeichen der "Furcht vor dem Unbekannten und nicht rational Begreifbaren". Diesem Konzept hatte ich mich im Eingang angenommen, wobei es mir vorallem um diesen Spielbestandteil des fortschreitenden Verlusts an geistiger Gesundheit ging, den ich so schwer nachzuvollziehen und künstlich empfinde, vorallem übrigens in Verbindung mit diesen imho total antiklimatischen Würfelwürfen. Du sagtest im Anschluss selbst, dass sich das, was du als diesen Kern ausgemacht hast, wohl kaum im Rollenspiel umsetzen ließe, und insofern trifft deine Kritik am Schluss meiner Ansicht nach etwas daneben, da du, wenn du von lovecrafts literarischem Schaffen sprichst, um dass es mir höchstends am Rande ging (und im Bezug auf welches ich auch keine größeren Kompetenzen auffweisen kann, als einen Kurzgeschichtenband, den ich vor Jahren mal gelesen habe, weshalb ich über dieses mit dir nicht diskutieren kann) eigentlich von etwas anderem sprichst, als ich. Nebenbei hat vor dir glaube ich noch Niemand im dem Thread von dem "Bösen" geschrieben, weil die Diskussion sich eben imho nicht an einem irgendwie gearteten Bösen orientierte sondern an dem Horror vor dem Unbekannten und der Vernunft nicht zugänglichen.
« Letzte Änderung: 12.04.2010 | 18:49 von nnhndrtzwlf »

Offline Benjamin

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #35 am: 12.04.2010 | 18:43 »
Eigentlich sollte es "Vorlesestunde" heißen, was Turning Wheel uns hier als Spiel verkaufen will.

Echt mal, da geh ich lieber Filme gucken, wenn das, was ich als Spieler beitrage, sowieso nicht erwünscht ist.

Achamanian

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #36 am: 12.04.2010 | 18:57 »
@nnhndrtzwlf:
Ja, in bezug auf CoC stellt sich das von dir formulierte Problem natürlich. Da du am Anfang schreibst, dass das Cthulhu-Grauen nicht mehr zeitgemäß wäre (oder etwas in die Richtung), bin ich davon ausgegangen, dass du damit auch und gerade die literarische Vorlage des Rollenspiels einbeziehst. Wenn du das aber gar nicht wolltest, dann muss man das anders erörtern.
Ich glaube ehrlich gesagt trotzdem nicht, dass man sich mit der Frage nach dem "Grauen nach Auschwitz" der Sache sinnvoll annähert, dasi st aber erst einmal eher ein Gefühl. Auf das Böse bin ich auch im Zusammenhang mit Auschwitz gekommen - Hannah Arendt hat ja den Eichmann-Prozess dahingehend charakterisiert, dass da die "Banalität des Bösen", die Veränkerung des Bösen im menschlichen Alltagshandeln, erschreckend zutage getreten sei. Egal, ob man es nun Böse nennen will, es ging mir darum, dass das Entsetzen über die Shoah unter anderem darin besteht, dass an sich vernunft- und empathiebegabte Menschen zu derart schrecklichen Handlungen fähig sind, mehr noch, sie als "normal" empfinden können. Das Grauen, auf das Lovecraft abzielt, ist dagegen viel abstrakter und überhaupt nicht im menschlichen Handeln oder in irgendeinem Auseinanderklaffen von Empathiefähigkeit einerseits und Grausamkeit andererseits verankert, sondern in der Vorstellung von einem prinzipiell nicht zur Empathie und damit auch nicht zum Guten oder Bösen fähigen Außerhalb des Menschen.

Mit dem RSP hat das aber m.E. beides wenig zu tun, da besteht eben eher das Problem, dass das kosmische Grauen fast zwangsläufig auf einen Monsterkanon zusammenschrumpft. Ich glaube, deshalb sind die gruseligsten Cthulhu-Abenteuer oft die weniger Lovecraftianischen. Grusel lässt sich eben meist besser mit Menschen und Halbwesen erzeugen, die tatsächlich zum Bösen befähigt sind - denn die können einen täuschen, hintergehen, mit einem spielen und all das.

Offline korknadel

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #37 am: 14.04.2010 | 09:43 »
@nnhndrtzwlf: Natürlich muss man in diesem Zusammenhang vom Bösen reden. Schließlich geht es sowohl in den Geschichten Ls als auch im RSP nicht darum, dass die Leute in einem alten Folianten auf Hinweise auf eine Macht stoßen, die so unvorstellbar gut ist, dass der Verstand es gar nicht fassen kann, sodass man selbigen verlieren muss (wenn einem der entsprechende Wurf misslingt). Die Grundprämisse ist, dass diese fremdartigen, vernunftsprengenden Dinger dem Menschen feindlich gegenüberstehen. Nun könnte man im philosophischen Sinne argumentieren, dass erst böse ist, wer sich bewusst zur Feindseligkeit entschließt, und die Viecher ja aber von (un-)Natur aus dem Menschen schädlich sind. Aber ich glaube, das wäre müßig. Darüber hinaus hast du selbst ja Auschwitz als Referenz in die Diskussion gestellt, und was bitte ist an Auschwitz so unbegreiflich, wenn nicht die abgrundtiefe Bösartigkeit, die dahinter steht?

Und insofern muss ich Achamanian recht geben, dass man bei den Mythosmonstern etwas unpersönlich Böses hat, während wir es in der Menschheitsgeschichte in den meisten Fällen (nämlich abgesehen von "geschichtsrelevanten" Naturkatastrophen etc.) mit Bösartigkeit von Menschen und den von ihnen geschaffenen Gesellschaftssystemen zu tun haben.

Abgesehen, dass ich sehr gut verstehen kann, wieso das Konzept des Wahnsinns aufgrund irgendwelcher Hinweise auf Große Alte nicht so recht zieht, würde ich es aber einfach als Fiktion und Gegebenheit der Rollenspielwelt hinnehmen und meinen Spaß damit haben. Dinge wie Auschwitz und die Atombombe würde ich da nicht hineintragen, denn -- darauf hat Xemides bereits hingewiesen -- wenn ich in DSA eine Feuerlanze abfeuere, nehme ich das auch als Fiktion hin und denke nicht: Eine Kassam-Rakete ist aber das eigentliche Problem, deshalb kann ich mich nicht recht mit einer Feuerlanze abgeben. Oder warum sollte ich vor dem Dämonen Schiss haben, wo ich doch auch vor Gentechnik nicht vor Furcht erbebe?

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Offline Yerho

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #38 am: 14.04.2010 | 10:16 »
Der Trick bei Horror-Rollenspielen besteht meines Erachtens generell darin, sehr viel Zeit darin zu investieren, die Spieler etwas aufbauen zu lassen, was man ihnen dann zerstören, wegnehmen oder verdrehen kann. Diese Hinterhältigkeit, die in Fantasy-Settings reine Spielleiterwillkür wäre, ist bei Horror essentiell. Man lässt sich als Spieler quasi explizit darauf ein, herumgestoßen zu werden.

Wenn man zwei Drittel der Kampagne übermenschliches Wissen erworben, die Welt gerettet und sämtliche Soap-Momente (Geld und Gut, Romanzen etc.) zur Zufriedenheit bewältigt hat und dann erfahren muss, dass man die ganze Zeit nur ein Spielball widernatürlicher Kräfte war, alles Wissen nur Wahnsinn, alle Erungenschaften nur geträumt und die gerettete Welt aus dem Geminschaftsschlafsaal einer Nervenheilanstalt bestand, in dem die SCs unter realen, von einem kultisch experimentierenden Arzt verabreichten Drogen stehend in einem gemeinsamen, paranormal induzierten Traum gefangen waren, dann fängt - vielleicht - so etwas wie Grusel an.

Kurz, die Spieler brauchen eine Vorgeschichte, die in Frage gestellt werden kann. Sie brauchen eine Situation, der sie ausgeliefert sind und die sie sich erst erschließen müssen. Und um zu vermeiden, dass mit der Erschließung der Wahreit der Horror nachlässt, müssen die erschlossenen Wahrheiten gelegentlich schlimmer sein als die Realität, die man gerade als Traum erkannt hat.

Beispiel: Im Traum war man verliebt, nach dem Aufwachen weiß man nicht, ob die Person und die Gefühle wirklich existieren und im Laufe des Abenteuers erfährt man, dass der/die Geliebte tot und man selbst sein/ihr Mörder ist. Aber man weiß dann immer noch nicht, warum man zum Mörder wurde oder ob es überhaupt Mord im engeren Sinne war? Vielleicht war es auch Notwehr oder ein Akt der Gnade? Und wenn man die beruhigende Information erhält, dass man kein irrer Mörder ist, kann man wenig später erfahren, dass man sich das nur eingeredet hat oder jemand (ETWAS!) wollte, dass man so denkt und Material entsprechend gefälscht und Wahrnhemung entsprechend getrübt hat.

Die Maxime lautet "konsequente Unsicherheit". Nichts hat Bestand, nichts ist endgültig. Der Spieler muss entscheiden, was sein SC glauben will, aber er kann sich nicht darauf verlassen, dass seine Mitspieler (und damit dessen SCs) dabei mitgehen, bzw. dass die Spielwelt und NSCs die gefasste Meinung akzeptieren.
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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #39 am: 14.04.2010 | 10:50 »
Ich glaube, bei Cthulhu ist es eher am Anfang der Reiz des Unbekannten, der einiges vom Flair ausmacht. Es kann durchaus spannend sein, so einem Mythos-Wesen zu begegenen, bzw. mitzuverfolgen und selbst mitzuerleben, wie der Charakter allmählich ins Wahnsinnige abdriftet. Wie gesagt, das kann spannend sein, wenn man Cthulhu noch nicht kennt. Da kann man sich durchaus schon mal gruseln. Aber mit der Zeit nutzt es sich irgendwie ab, finde ich. Und zwar in der Form, dass man seinen Charakter nicht mehr vernünftig spielen kann, weil man weiss, dass er eh in 90% der Fälle quasi von Anfang an dazu vorverurteilt ist, wahnsinnig (und somit unspielbar) zu werden, oder eh recht früh ins Gras beisst. Klar, gruseln kann man sich trotzdem, aber das oben gennante Problem führt dazu, dass Spieler sich zwar einen Charakter bauen, wenn dem aber eines der oben gennanten Schicksale blüht, zucken die nur mit den Schultern, und nehmen das so hin. Da ist quasi eine Erwartungshaltung vorhanden, dass der Charakter ja eh stirbt bzw. wahnsinnig wird, weil es ja Cthulhu ist. Es ist sozusagen vom System ("gesetzlich") vorgeschrieben, dass der Charakter entweder eh stirbt oder geisteskrank wird. So sehen das viele Spieler, mit denen ich mich darüber unterhalten habe. Ich frage mich ja immernoch, was das Eine mit dem Anderen zu tun hat, aber für viele Spieler ist das bei Cthulhu schon vorgegeben bzw. untrennbar miteinander verknüpft. Klar,mag es immer auch Ausnahmen geben, und auch ich hab schon gute, gruselige Cthulhu-Abenteuer gespielt. Wenn ich aber wirklich Angst bei den Spielern erzeugen will, ein Gruseln, das sich auch wirklich so anfühlt, weil die Spieler unter Adrenalin stehen, dann benutze ich heutzutage viel lieber Dread als System, denn das kriegt dieses "Angstfieber" imho viel besser hin.
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Offline Minne

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #40 am: 14.04.2010 | 10:56 »
Lieber Korknadel, natürlich kann man von dem "Bösen" sprechen. Über die Anwendbarkeit oder nicht anwendbarkeit des Begriffs des "Bösen" will ich aber überhaupt nicht diskutieren, es interessiert mich auch nicht besonders.

Aber ich bitte dich in dem Fall, ohne dass ich dir direkt widersprechen würde, meine Argumentation nachzuvollziehen. Ich habe Ausschwitz und die Bedrohung durch Atomkriege als Beispiel für eine irrationale existenzbedrohende Gefahr genannt. Und dass sowohl die komplette Vernichtung ganzer Länder qua Knopfdruck und die zugehörige Rüstungsspirale, als auch Ausschwitz, dass so viele Leute sprachlos gemacht hat, und dass bis heute nicht vollständig zu erklären ist, auch nicht einfach nur mit der "böswilligkeit" bestimmter Menschen, solche darstellen oder darstellten, wirst du kaum bestreiten. Wenn wir von der Prämisse ausgehen (und das tun meines erachtens nach viele Menschen, die Cthulhu spielen) dass der Horror bei Cthulhu daher kommt, dass man mit solchen irrationalen, existenzbedrohenden Gefahren konfrontiert wird und der eigene charakter dabei den Verstand verliert, dann ist es nur naheliegend, sich anzusehen, wie es sich denn mit solchen Bedrohungen in der Wirklichkeit verhällt. Und dabei ging es mir darum herauszustellen, dass die Konfrontation mit dem Irrationalen ganz anders verläuft als in dem Spiel, ganz abgesehen davon, dass zahlreiche Aspekte der Realität weitaus gefährlicher wirken als die meisten Mythoswesen und dass deshalb der Horror der vom Mythos ausgehen soll schwer nachvollziehbar ist. Dass die Bedrohung durch Cthulhu, ganz abgesehen davon, dass sie fiktional ist, eine andere ist, als die durch von menschlichen Systemen hervorgebrachte Menschenvernichtung, versteht sich eigentlich von alleine, die frage ist doch, ob sie in irgend einer weise vergleichbar sind, und das sehe ich eben in der Irrationalität gegeben. Worum es mir also im Endeffekt ging, war meine These, dass der Horror bei Cthulhu eben durch die Konfrontation mit dem Irrationalen, vom Verstand nicht Fassbaren etc... entsteht, zu destruieren. Mit dem Zweck, zu erklären, warum ich eben bei Cthulhu, bei dem imho eine Variante der genannten These in der Regel eine Grundannahme ist, keinen Grusel empfinde. Man kann jetzt natürlich, wie Achamaian die erste These zurückweisen und erklären dass der Horror (bei Lovecraft zumindest) woanders her kommt. Ist absolut legitim, darüber haben wir ja kurz geredet. Oder man kann die zweite These zurückweisen, und sagen dass diverse irrationale Schrecken unserer Wirklichkeit in keiner Weise mit dem irrationalen Schrecken des Mythos vergleichbar sind. Aber dann frage ich mich erst recht, wie ich mich vor etwas gruseln soll, zu dem ich so überhaupt keinerlei Bezug haben kann und wie das überhaupt sprachlich umgesetzt werden soll, wie am Schluss meines Eingangsbeitrags angedeutet. Ganz abgesehen davon, dass der Dualismus der da aufgemacht wird, Mensch/Kosmos in Lovecrafts geschichten selbst öfters durchbrochen wird, etwa wenn Mischwesen vorkommen oder Menschen als Agenten der großen Alten agieren.

Zitat
Abgesehen, dass ich sehr gut verstehen kann, wieso das Konzept des Wahnsinns aufgrund irgendwelcher Hinweise auf Große Alte nicht so recht zieht, würde ich es aber einfach als Fiktion und Gegebenheit der Rollenspielwelt hinnehmen und meinen Spaß damit haben. Dinge wie Auschwitz und die Atombombe würde ich da nicht hineintragen, denn -- darauf hat Xemides bereits hingewiesen -- wenn ich in DSA eine Feuerlanze abfeuere, nehme ich das auch als Fiktion hin und denke nicht: Eine Kassam-Rakete ist aber das eigentliche Problem, deshalb kann ich mich nicht recht mit einer Feuerlanze abgeben. Oder warum sollte ich vor dem Dämonen Schiss haben, wo ich doch auch vor Gentechnik nicht vor Furcht erbebe?
Das finde ich jetzt auch nicht so ganz hilfreich, ich meine es ging doch nie darum zu sagen, dass Cthulhu keinen Spaß macht sondern darum, dass es eben nicht unheimlich ist. In DSA habe ich mich bisher nicht noch nie gegruselt und habe auch noch nie diese Erwartungshaltung an das Spiel herangetragen.


Achamanian

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #41 am: 14.04.2010 | 11:11 »
Ganz abgesehen davon, dass der Dualismus der da aufgemacht wird, Mensch/Kosmos in Lovecrafts geschichten selbst öfters durchbrochen wird, etwa wenn Mischwesen vorkommen oder Menschen als Agenten der großen Alten agieren.

Nur am Rande angemerkt würde ich das noch etwas radikaler formulieren: Einen Dualismus Mensch/Kosmos gibt es beim kosmischen Schrecken eigentlich so nicht, bzw. die meisten Geschichten, in denen er eine Rolle spielt, lösen diesen vermeintlichen Dualismus auf und gewinnen gerade daraus ihre erschreckende Wirkung.

Offline korknadel

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #42 am: 14.04.2010 | 12:34 »
Okay, nnhndrtzwlf, dann gehen wir von unterschiedlichen Voraussetzungen aus. Denn ich würde die von dir genannten realen Schrecken nicht mit dem Horror des Mythos vergleichen, nur weil sie beide irrational erscheinen. Ich sehe da einen grundsätzlichen Unterschied in der Qualität der Irrationalität. Beim Mythos ist sie unverrückbar und als Teil der Fiktion nicht nur gegeben, sondern auch konstitutiv. Bei den realen, von Menschen gemachten Schrecken ist die Irrationalität nur scheinbar. Nur weil die Shoa unbegreiflich ist, bedeutet das ja nicht, dass man nicht versucht und versuchen sollte, sie dennoch zu begreifen. Schließlich ist sie trotz all ihrer Unvorstellbarkeit in ein Gewebe aus historischen, psychologischen, weltanschaulichen, technischen, wirtschaftichen, religiösen und vielen anderen Vorgängen eingebettet, nicht zuletzt auch angekoppelt an menschliche Instinkte wie Angst, Trieb etc. Beim Mythos dagegen wird ganz klar gesagt, dass da etwas Furchtbares ist, was mit all dem nichts zu tun hat, was völlig losgelöst ist von allem Menschlichem. Und das wirklich Furchterregende wiederum an der Shoa zum Besispiel ist ja, dass sie trotz aller unbegreiflichen Unmenschlichkeit, nicht ablösbar vom Menschlichen ist. Das wäre ja beinahe schon wieder apologetisch, wollte man sagen, die Shoa ist genauso ein aus dem Himmel gefallener Schrecken wie die Großen Alten (ich weiß, dass du das niemals sagen würdest, bitte, bitte, ncht missverstehen, aber damit möchte ich nur verdeutlichen, wieso dieser Vergleich für mich einfach überhaupt nicht funktioniert.)

Und deshalb hatte ich die Behauptung aufgestellt, dass man reale Schrecken einfach nicht eins zu eins ins RSP übertragen kann. Von daher gebe ich dir auch recht, dass die Konfrontation mit dem Irrationalen in der Wirklichkeit anders verläuft als im Spiel bzw. der Fiktion. Weshalb man sie aber nebeneinander halten sollte oder daraus gar ableiten sollte, dass der eine (fiktive) Schrecken wegen des anderen (realen) nicht (oder nicht so gut) funktioniert, leuchtet mir nicht ein. 
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Achamanian

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #43 am: 14.04.2010 | 15:09 »
Und deshalb hatte ich die Behauptung aufgestellt, dass man reale Schrecken einfach nicht eins zu eins ins RSP übertragen kann. Von daher gebe ich dir auch recht, dass die Konfrontation mit dem Irrationalen in der Wirklichkeit anders verläuft als im Spiel bzw. der Fiktion. Weshalb man sie aber nebeneinander halten sollte oder daraus gar ableiten sollte, dass der eine (fiktive) Schrecken wegen des anderen (realen) nicht (oder nicht so gut) funktioniert, leuchtet mir nicht ein. 

Ja, das ist der Punkt, wo ich das Aneinanderhalten von Realität und Fiktion auch nicht verstehe. Natürlich hat die Fiktion was mit realen Ängsten zu tun, aber doch nicht in diesem 1:1-Verhältnis.

Achamanian

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #44 am: 14.04.2010 | 15:50 »
Den gesamten letzten Argumentationsketten kann ich nicht folgen, denn Schrecken ist nie real. Er entsteht durch eine bedrohliche Einordnung der Wahrnehmung. Das Spiel gehört ebenfalls zur Realität, aber die Einordnung der Information ist psychischer Natur.

Wieso sollen psychische Zustände denn nicht "real" sein? Oder meinst du jetzt objektiv? das wäre aber wieder was anderes.

ErikErikson

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #45 am: 14.04.2010 | 15:52 »
Ich bin zwar kein Admin, aber das gehört vielleicht besser in nen anderen Thread.

Offline Minne

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #46 am: 14.04.2010 | 16:43 »
Zitat
Bei den realen, von Menschen gemachten Schrecken ist die Irrationalität nur scheinbar. Nur weil die Shoa unbegreiflich ist, bedeutet das ja nicht, dass man nicht versucht und versuchen sollte, sie dennoch zu begreifen. Schließlich ist sie trotz all ihrer Unvorstellbarkeit in ein Gewebe aus historischen, psychologischen, weltanschaulichen, technischen, wirtschaftichen, religiösen und vielen anderen Vorgängen eingebettet, nicht zuletzt auch angekoppelt an menschliche Instinkte wie Angst, Trieb etc. Beim Mythos dagegen wird ganz klar gesagt, dass da etwas Furchtbares ist, was mit all dem nichts zu tun hat, was völlig losgelöst ist von allem Menschlichem. Und das wirklich Furchterregende wiederum an der Shoa zum Besispiel ist ja, dass sie trotz aller unbegreiflichen Unmenschlichkeit, nicht ablösbar vom Menschlichen ist. Das wäre ja beinahe schon wieder apologetisch, wollte man sagen, die Shoa ist genauso ein aus dem Himmel gefallener Schrecken wie die Großen Alten.


Hm, das ist natürlich richtig. Man könnte argumentieren, dass es, da es ja um die Wirkung (Horror) nicht eigentlich darum geht, ob etwas prinzipiell irgendwann rational fassbar ist, sondern ob es für diejenigen, die damit konkret konfrontiert sind, in ihrer jeweiligen Situation möglich ist, es irgendwie zu verstehen. Gerade am Holocaust ist ja für viele ein rationalistisch-fortschriftsoptimistisches Weltbild zerbrochen, bis dazu aedequate Worte gefunden worden sind, hat es einige Zeit gedauert. Auf der anderen Seite sind die Mythoswesen mittlerweile auf eine Art und Weise katalogisiert und kanonisiert, die von ihrem die Vernunft sprengenden Charakter in der Regel gerade mal so viel übrig lasst, wie die entsprechende Behauptung. Aber ich weiß nicht, ob die Diskussion darüber jetzt irgendwohin führt.

Zitat
Weshalb man sie aber nebeneinander halten sollte oder daraus gar ableiten sollte, dass der eine (fiktive) Schrecken wegen des anderen (realen) nicht (oder nicht so gut) funktioniert, leuchtet mir nicht ein.

Hm. Ich weiß nicht, ob ich das Problem verstehe. Du stimmst also meinem Fazit zu, aber nicht meiner Vorgehensweise? Ich habe etwas gesucht, dass man als Irrationale Bedrohung bezeichnen kann, und dass bei mir (und anderen) eine Reaktion der Angst auslöst um durch den Vergleich zwischen Spielrealität und Wirklichkeit zu zeigen, wie sich die "simulierte", spielweltinterne Schreckenserfahrung von der realen unterscheidet, bzw. wie schwer nachvollziehbar die in der Spielrealität den Geist zerstörende, Panik versursachende Wirkung der Mythoswesen ist. Scheinbar ist mir das nicht gelungen. Hm.

Gestern habe ich, nebenbei, zur Vorbereitung auf ein Seminar Celans Todesfuge gelesen und es hat in mir unwillkürlich einen Angstzustand ausgelöst, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Ein angenehmer Schauder war das nicht mehr und irgendwie ist es gerade auch nicht angenehm, darüber zu schreiben. Womit zumindest einem Aspekt meines Eingansposts gerade vermutlich ein bisschen widerspreche.

Offline korknadel

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #47 am: 15.04.2010 | 08:39 »
Der Punkt ist, dass ich dich im Prinzip sehr gut verstehe und auch die Ansicht teile, dass diese Panik angesichts der Mythoswesen schwer nachvollziehbar ist. In Lovecrafts Geschichten ist die Darstellung dieses Wahnsinns zumeist sehr gut gelungen (mit den unpersönlichen kosmischen "Feindkräften" hat er ja auch ein Bild geschaffen für ganz reale Ängste seiner Zeit), im RSP nimmt man diese Darstellung als Schablone, anhand derer man das Entsetzen "nachstellt". Damit das funktioniert, braucht es aber m.E. keine Nachvollziehbarkeit, sondern die Bereitschaft der Spieler, dies einfach hinzunehmen und sich quasi hineinzusteigern. In diesem Sinne war auch mein Vergleich mit der Feuerlanze etc. gemeint, die ebenso wenig nachvollziehbar ist, die mir im Spiel aber todernst sein kann, wenn ich mich darauf einlasse.

In deinem Eingangspost lese ich nur irgendwie heraus, dass du dich bei CoC gruseln würdest, wenn der Grusel dort mehr so ablaufen würde wie im "richtigen" Leben. Und da gehe ich eben nicht mehr mit, vor allem, wenn es nicht um einen nächtlichen Spaziergang durch den Wald, sondern um Auschwitz geht, und da hast du mir mit deiner Anmerkung über die Todesfuge das Argument schon vorweggenommen (wobei ich darauf mit meiner Darstellung der unterschiedlichen Irrationalität auch schon hinaus wollte): Das Nachstellen von Angst mithilfe künstlicher Destillate wie den Mythoswesen und dem Verlust der geistigen Gesundheit hat seinen Reiz und seine Berechtigung aufgrund einer gewissen kathartischen Wirkung. Darum kann das funktionieren, gerade weil es fiktiv und an realen Verhältnissen gemessen nicht nachvollziehbar ist. Wenn mir dagegen die Beschäftigung mit dem Holocaust oder der Atombombe das Weltvertrauen raubt, geht es nicht mehr um handelsüblichen Horror, sondern um handfeste (Lebens-)Krisen. Wie du geschrieben hast: der Schauder ist nicht wohlig.

Ich meine, ziemlich genau zu verstehen, was du meinst udn worauf du hinaus willst. Wenn ich mir das aber konsequent durchdenke, dann kommt eben der Punkt, wo mir die Sache unangenehm wird. Denn es kann ja nicht Ziel sein zu sagen, man müsste irgendwie die Todesfuge in CoC einbauen, damit der Grusel für mich nachvollziehbar wird. Und um den Abstieg in den Wahnsinn plausibler zu machen, kopieren wir die Traumata, die Leute wie Paul Celan, Primo Levi oder Jean Améry in den Freitod getrieben haben, weil sie an dem unfassbaren Schrecken der Shoa zu beißen hatten. So explizit hast du das freilich nicht gesagt.

Von daher finde ich die Beobachtung richtig: Der Mythoshorror in CoC ist nicht recht nachvollziehbar, der reale Schrecken über eigentlich nicht Fassbares dagegen ist ungleich nachhaltiger, vielschichtiger, paradoxer etc. Auf dieser Beobachtung aber eine Kritik aufzubauen, das halte ich eben nicht mehr für gangbar.

Aber dabei lass ich's jetzt auch, damit der Thread wieder mehr Platz für die Großen Alten hat.

Lieben Gruß
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Offline Minne

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #48 am: 15.04.2010 | 11:14 »
Ah, okay, jetzt verstehe ich was du meinst. Freilich liest du da etwas hinein, dass ich nicht gemeint hatte, und woran ich bei diesem Argument auch überhaupt nicht gedacht hatte: Nämlich daraus einen konstruktiven Vorschlag zu machen, wie Cthulhu aussehen müsste, um echter Horror zu sein. Die Konsequenz, die du ziehst, würde ich genauso ablehnen wie du. Ich hätte da viel trivialere Vorschläge, die ich glaube ich auch angedeutet hatte, nämlich den Fokus weg zu nehmen von dem Mythos und stärker die Beziehung der Charaktere untereinander und zu ihrem Umfeld aufzubauen. Weg von den Holzhämmern und mehr Subtilität. Wobei ich auch finde, dass Cthulhu nicht unbedingt gruselig sein muss. Eine meiner Lieblingsgeschichten von Lovecraft "Das merkwürdige, hochgelegene Haus im Nebel" finde ich zum Beispiel überhaupt nicht bedrohlich, das könnte auch fast eine romantische Erzählung sein.

Offline korknadel

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Re: [Rant] Warum ich Cthulhu nicht unheimlich finde
« Antwort #49 am: 15.04.2010 | 11:27 »
Dann sorry wegen des Missverständnisses, aber die "Auschwitz-Keule" ( :Ironie:) hat mich hier einfach auf den Holzweg gelockt.
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