Hier nun doch mal eine Aufbereitung der letzten Spielsitzung, mit freundlicher Unterstützung eines Spielers.
Es war kurz nach Mitternacht. Ying-Ko genoß nach viel zu langer Zeit endlich wieder ein heißes Bad. Er fühlte, wie die wohltuende Wärme des Wassers die Kälte, die sich aufgrund des Winters, aber sicherlich auch durch die grauenhaften Ereignisse der vergangenen Tage und Wochen verstärkt, in seinen Knochen breitgemacht hatte, langsam aber sicher vertrieb. Er dachte an seine Heimat und daran, wie lange er nicht mehr dort gewesen war.
Noch bevor er sich seinem Heimweh gänzlich hingeben konnte, wurde er jäh aus seinen Gedanken gerissen. Geschrei und das untrügliche Rasseln und Klappern von Waffen und Rüstungsteilen drangen an seine elfischen Ohren. Unruhe im Lager – irgendetwas stimmte nicht. Mit einer fließenden Bewegung sprang Ying-Ko aus dem Zuber, seine linke Hand warf bereits den bereitgelegten Kimono über seine Schultern, die rechte griff schnell nach seinen Schwertern. Eine Sekunde später zeugten nur noch die Wellen im Bad und die wehende Zeltplane davon, daß hier gerade noch jemand gebadet haben mußte.
Ying-Ko lief auf die Geräusche zu. Sie kamen eindeutig aus dem Lager der Zwerge. Er wußte, das kleine Volk war außerordentlich streitsam, dennoch konnte er sich den Grund für den Aufruhr nicht erklären. Hatten etwa seine Gefährten wieder einmal Streit angezettelt? Oder gar das Böse höchstpersönlich heraufbeschworen? Es wäre nicht das erste Mal in der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft. Oder war womöglich Akmad so töricht gewesen, ausgerechnet im Lager der Zwerge aufzutauchen? Ying-Ko erspähte durch eine Horde offensichtlich aufgebrachter Zwerge hindurch Schwester Invocata, die heftig mit einigen ranghohen Zwergen, darunter auch der Hüter der Flamme, diskutierte. Als er sich näherte, konnte er einige Fetzen des Gesprächs aufschnappen:
„…Fürst Boran festzunehmen … schwerer Fehler … versucht zu beschützen … Vampir…“
Fast bei Schwester Invocata angekommen, schaute sich Ying-Ko noch einmal schnell um. Die gesamte Szenerie wirkte irgendwie falsch. Nicht allzu weit von seiner Position entfernt wurde gerade ein Zelt geschlossen, durch dessen Eingang er gerade noch sehen konnte, wie der seiner Rüstung beraubte Boran an einen schweren Pfahl gefesselt wurde und drei schwerbewaffnete Zwergenwächter um ihn herum Stellung bezogen. Was war hier nur los?
Ying-Ko hatte die Schwester nun erreicht und befragte sie nach den Vorgängen. Schwester Invocata hatte gerade entnervt die Diskussion mit dem Hüter der Flamme beendet und wirkte merkwürdig nervös. Als sie zu Ying-Ko sprach, machte sie auf ihn den Eindruck, nicht ganz in dieser Welt zu sein. Immer wieder griff sie in Richtung ihres heiligen Symbols an ihrem Hals, hielt jedoch stets inne, bevor ihre Finger es tatsächlich berühren konnten. Dennoch berichtete sie Ying-Ko vom Auftauchen des Vampirs, von Borans Angriff auf Fürst Buldar und von der Verfolgung durch die übrigen Gefährten. Danach zog sie sich zurück. Eher verwirrt als wirklich aufgeklärt, wandte sich Ying-Ko nun dem Hüter der Flamme zu, um dessen Geschichte zu hören, bevor er sich dann mit Boran beschäftigen wollte. Hier mußte doch zu vermitteln sein. Doch auch dieses Gespräch beseitigte das immer stärker werdende ungute Gefühl in ihm nicht. Was war hier wirklich passiert? Ying-Ko machte sich in Gedanken versunken auf den Weg. Nach ungefähr drei Minuten stellte er überrascht fest, daß er in Richtung seines eigenen Zeltes unterwegs war, in seinem Kopf schon fast wieder im heißen Bad liegend. Moment! Er wollte doch zu Boran! Wie seltsam. Ying-Ko drehte sich auf dem Absatz um und eilte zum Lager der Zwerge zurück.
<Währenddessen…>
Aelias fühlte, wie ihn die Ströme der Magie durchflossen. Er genoß dieses Gefühl der Macht jedes Mal, wenn er die strahlenden Astralfäden mit seinem Geist berührte, um sie nach seinem Willen zu formen. Im Moment war er dabei, den gewaltigen schwarzen Steinblock nach magischen Mustern abzusuchen, auf den Akmad ihn, Helm und Yoshiu hingewiesen hatte. Tatsächlich war der riesige dunkle Quader vorher niemandem wirklich aufgefallen. Und ja, der Nebel, in den sich der mutmaßliche Vampir verwandelt hatte, war in diese Richtung verschwunden. Der Stein wies keinerlei Öffnung oder Fuge auf, ein Mechanismus war nicht zu erkennen. Dies hatte Aelias eine magische Natur vermuten lassen. Und tatsächlich hatte ihn sein Gefühl nicht getrügt. Der Steinquader war von mächtiger Magie durchzogen. Aelias verfolgte die magischen Muster, ließ seine Finger vorsichtig zwischen den einzelnen Nodizes wandern, um die Schwingungen besser wahrnehmen zu können, die jede Art von Magie so unverwechselbar machte. Unglaublich, hier wirkten zwei extrem starke Effekte in geradezu atemberaubender Art und Weise zusammen. Zum einen war da eine äußerst starke physische Barriere, zum anderen ein nahezu perfekter Antimagie-Bann. Dieser war aber eher auf einen lokal begrenzten Entzug sämtlicher magischer Energie zurückzuführen. Und der mußte, wie Aelias wußte, keineswegs auf einem magischen Effekt beruhen. Was dem Ganzen aber die Krone aufsetzte, war, daß diese Kräfte offensichtlich nach innen wirkten. Irgendetwas sollte also davon abgehalten werden, aus dem Stein HERAUS zu kommen. Dabei konnte es sich wohl kaum um den verfolgten Vampir handeln...
Plötzlich drehte sich Helm aufgeschreckt herum und zog sein Schwert – es leuchtete! Aber da war es auch schon zu spät. Ein schwarzer Schatten schlug durch alle Anwesenden hindurch. Akmad schrie voller Schmerz laut auf. Aelias brachte nur ein dumpfes Stöhnen hervor und brach dann zusammen. Und selbst Yoshiu krümmte sich zusammen. Nur Helm blieb außer einem Schwächegefühl recht verschont. Sofort schlug er mit seinem immer stärker leuchtenden Schwert nach der finsteren Masse. Die Klinge schnitt sauber hindurch, der Schatten teilte sich erst, zerfaserte dann immer mehr und löste sich schließlich auf. Helm wirkte noch schnell einen heilenden Segen auf Aelias, der sich wie der Rest langsam erholte. Dennoch blieb eine tiefreichende Kälte in ihnen allen zurück.
<In der Zwischenzeit…>
Boran hatte sich den Zwergen gefügt, seine Rüstung abnehmen und sich an den Zeltpfahl fesseln lassen. Er wußte, es mußte für die Zwerge aussehen, als habe er den Verstand verloren. Er hatte Fürst Buldar angegriffen und ihn schwer verletzt. Aber niemand hatte gefühlt, was er gefühlt hatte. In Fürst Buldar war Thorkars Flamme erloschen. Er hatte etwas unternehmen müssen. Aber niemand glaubte ihm – nur Schwester Invocata hatte sofort verstanden. Er schaute sich um, die Lage war ziemlich aussichtslos. Die Wachen verstanden ihren Job. Da fiel sein Blick auf die Axt, die gerade in diesem Moment die Kehle eines Wächters durchschnitt. Sie schwebte einfach so vor ihm, als der Wächter in sich zusammensackte. Boran blickte sich schnell um, wollte die anderen Wachen warnen, aber er sah nur in die im Zeitpunkt ihres Todes weit aufgerissenen Augen. Sie waren alle tot. Was geschah hier? Noch bevor Boran einen klaren Gedanken fassen konnte, spürte er, wie sich seine Fesseln lösten. Er fühlte den hölzernen Griff einer Axt in seiner Rechten und griff zu. Im nächsten Moment stand Boran kampfbereit mit einer Axt inmitten der gefällten Zwerge und suchte den unsichtbaren Angreifer. Da hörte er hinter sich ein kurzes Lachen, gefolgt von: „HILFE!!! ER IST FREI!!!“ Boran wirbelte herum. Ein kurzes Gebet und schon erschien der eben noch durchsichtige Angreifer in seinem Blickfeld – es war der Hüter der Flamme. Ohne zu zögern schmetterte Boran die Axt in seine Richtung. Sie zersplitterte jedoch an einer Barriere, ehe sie Schaden anrichten konnte. Aber nun wußte der Zwerg, daß Boran ihn sehen konnte. Im nächsten Moment verschwand er auch schon im Boden. Als Boran die heranstürmenden Zwerge das Zelt öffnen sah, versenkte er sich ebenfalls im Boden.
<Derweil…>
Helm konzentrierte sich auf sein Gebet. Er wollte im wahrsten Sinne des Wortes ein wenig Licht ins Dunkle bringen. Sein Lichtstrahl sollte den dunklen Steinblock durchleuchten, in dem er den Ausgangsort des schattenhaften Angreifers vermutete. Akmad und Aelias versuchten, etwas im hellen Schein des Lichts zu erkennen. Und tatsächlich konnten sie etwas im Inneren des Quaders sehen…
Aelias riß ungläubig die Augen auf. Das konnte nicht sein. Das gehörte nicht hierher, sondern in die Bücher seiner Kindheit. Dieses riesige schwarze Ding durfte nicht existieren. Alles, woran er geglaubt hatte, alles, was er geplant hatte, war in diesem Augenblick zerstört. Aelias‘ Welt war in ihren Grundfesten erschüttert. Und es wurde auch nicht dadurch besser, daß Helm und Akmad auf einmal anfingen über dieses unmögliche Etwas zu sprechen, als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Auch Yoshiu war erstarrt, seine Hände verkrampften sich um seine Schwerter, die er erstmals in der ganzen Zeit zur Hälfte aus ihren Scheiden gezogen hatte. Das einzige, was Aelias jetzt davon abhielt, panisch davonzulaufen, war sein Wille. Er mußte sofort anfangen, die neue Erkenntnis zu verarbeiten. Er mußte das Bild festhalten, jedes noch so kleine Detail in seinem Geist abspeichern. Wie wild fing er an, in einem seiner Bücher zu kritzeln. Helm griff ihm unter den Arm und führte ihn mit den anderen zum Lager zurück.
<Inzwischen…>
Boran bewegte sich durch den Boden auf das Herdfeuer zu. Irgendwo in diese Richtung war sein Feind geflohen. Je näher er dem Herdfeuer kam, umso stärker nahm er wahr, daß von der Flamme kaum Wärme ausstrahlte. Er hielt kurz inne. In diesem Moment explodierte förmlich ein Streithammer im Boden, genau an der Stelle, wo Borans Kopf im nächsten Moment gewesen wäre. Sein Feind war hier und wußte, wo er war. Aber er hatte nur Augen für das ersterbende Herdfeuer. Boran ging in sich. Er erweckte die Flamme Thorkars in seinem Herzen, um mit seiner eigenen Essenz das Herdfeuer zu stärken. Doch dadurch wurde er angreifbar. Schon spürte er, wie ihn ein eiskalter Griff packte und aus dem Boden riß. Nach kurzem, aber aufopferungsvollem Kampf wurde Boran schließlich überwältigt.
Als die übrigen Gefährten das Lager der Zwerge erreichten und auf Ying-Ko trafen, der ebenfalls auf dem Weg war, erfuhr Akmad als erster, daß sich Boran allein mit dem Hüter der Flamme, der der gesuchte Vampir war, im Zelt des Herdfeuers aufhielt. Allerdings versperrte eine Phalanx von mehr als einhundert gerüsteten Zwergen den Weg dorthin. Akmad rief es seinen Gefährten zu, sofort wollte er in das Zelt stürmen, doch der feste Griff Yoshius an seiner Schulter machte ihm klar, daß der fähige Scharfrichter seine Drohung, ihn nicht erneut zu verlieren, jederzeit wahr machen würde. Doch in diesem Zelt wurde gerade wer weiß was mit Boran angestellt. Das konnte Akmad nicht ertragen. Wie kleingeistig diese Leute doch waren. Sie begriffen offensichtlich immer noch nicht die Dimension der Vorgänge. Akmad fühlte sich allein. Doch war dies kein unbekanntes Gefühl für ihn. Er wußte, er hatte wieder einmal eine einsame Entscheidung zu treffen. Und schon riß er sich los, sprang ab, direkt über die verwunderten Zwerge auf das Zelt des Herdfeuers zu, Yoshiu im Nacken.
Gleichzeitig rannte Aelias auf die zwergische Wand zu, seinen Stab hoch erhoben. Als er mitbekommen hatte, daß sich der Vampir in dem Zelt vor ihm befand – der Beweis für Akmads Unschuld und unverzichtbares Mittel im bevorstehenden Prozeß – vergaß er für einen Moment den Giganten im schwarzen Stein. Hier war sein Ziel, sein Auftrag, seine Mission. Nichts konnte ihn davon abhalten, sein Ziel zu erreichen – auch nicht eine Hundertschaft von Zwergenkriegern. Der Befehl jagte bereits durch seinen Geist, er fügte nur noch die arkanen Fäden seinen Gedanken hinzu, als er lief. Und schon flutete eine mentale Welle über die Zwerge hinweg, die nur zwei Worte in die Köpfe der Zwerge schwemmte: „ZUR SEITE!“ Und es tat sich vor ihm eine Schneise auf. Er lief so schnell ihn seine Beine trugen durch die zurückweichenden Zwerge auf das Zelt zu. Er wurde nur noch von Helm überholt, der einige Worte murmelte und mit jedem Schritt unsichtbarer wurde.
Akmad erreichte den über den bewußtlosen Boran gebeugten Vampir als erster und riß diesen um. Der Hüter der Flamme wandte sich ihm überrascht zu und nahm daher Helms Schwert nicht wahr, ehe sich dieses bereits tief in den Hals der unheiligen Kreatur schnitt. Jedes natürliche Wesen wäre unter diesem Hieb gestorben, doch der Vampir nicht. Er versenkte sich selbst im Boden, um dem heftigen Angriff im letzten Augenblick zu entkommen. Helm stieß sein Schwert dem Vampir hinterher. Es grub sich tief in die Erde. Dies sah Aelias und hoffte, daß das Schwert den Vampir noch rechtzeitig erreicht hatte. In seiner Hand brannte ein Kraftfokus aus, als er im Tempo seiner Gedanken seinen Leib in reine elektrische Energie verwandelte und in das Schwert jagte. Glücklicherweise hatte er quasi im Vorüberfliegen Helms Geist den Befehl erteilt, das Schwert loszulassen, sonst wäre dieser Opfer des immensen Stromschlags geworden. Doch leider war der Aufwand vergebens, der Vampir war bereits entkommen. So materialisierte er sich sofort wieder im Zelt neben den Gefährten, als just eine Horde Zwerge das Zelt stürmte und ihre Waffen auf sie richtete.
Ying-Ko und Helm ergaben sich den wildgewordenen Zwergen und wurden von diesen festgenommen. In diesem Moment betrat der Richter in Begleitung des zweiten Scharfrichters das Zelt. Aelias grüßte ihn und begann: „Ehrenwerter Richter, meinem Auftrag entsprechend präsentiere ich euch…“ Akmad versuchte instinktiv, sich aus der Gefahr zu begeben, mußte aber feststellen, daß Yoshiu bereits wieder an seiner Seite stand und ihm nun einen Dolch in die Seite drückte. Der Exekutor schaute Akmad flehend an, er wollte ihn nicht verletzen. Doch dieser riß sich erneut los und fing an, mit dem Scharfrichter des Ordens der Wahrheit und Gerechtigkeit um seine Freiheit zu kämpfen. Dies konnte Aelias nicht zulassen. Er war wütend. Wieso begriff dieser verbohrte Assassine nicht, daß er die ganze Zeit über versuchte, sein Leben zu retten? Und dieser undankbare Südländer hatte nichts Besseres zu tun, als ihn vor den Angehörigen seines Ordens, quasi seiner Familie, ein ums andere Mal zu beschämen. Aelias hörte in seinem Geist die Stimme des Zwergenzauberers, der ihm geraten hatte, seine Gefühle nicht zu unterdrücken. Und daran hielt sich Aelias jetzt. Er ließ seinem Zorn freien Lauf. In seinen Gedanken formte sich ein Speer, den er mit voller Wucht in Akmads Geist rammte. In seinen Händen brannte sein Stecken in magischem Feuer, als er die Energie des Fokus mit seinem Zauber verwebte. Akmads beeindruckender Wille wurde förmlich hinweggewischt, sein Geist zerbrach und sein Körper brach gleichsam in den Armen Yoshius zusammen. Der Scharfrichter blickte voller Trauer zu dem Inquisitor herüber, dessen Augen von der mächtigen Magie noch glühten. „…den Angeklagten Akmad ibn Alharb!“