Drüben im
Thread über die Vor- und Nachteile von Player Empowerment habe ich behauptet, dass es immersionsstörend ist, wenn Spieler Fakten in der Welt bestimmen. Jiba hat mir gleich mal drauf geantwortet, dass er das gar nicht unbedingt so erlebt. Und der Crimson King wusste die richtige Antwort ohnehin schon lange vorher
Da ich die Frage spannend finde, lagere ich sie mal aus. Mir geht es hier nicht darum Player Empowerment zu definieren oder zu bewerten. Wer daran interessiert ist, sollte drüben weiter machen. Meine Frage lautet, wie das Einführen von Fakten in den gemeinsamen Vorstellungsraum auf die Immersion wirkt. Die Frage ist bewusst offen gestellt, weil es denkbar wäre, dass der Einfluss je nach Situation in beide Richtungen gehen kann.
Zur Klarstellung sei gesagt, dass ich unter Immersion grob gesprochen das Einfühlen in einen Charakter meine, wobei dieses Einfühlen unter anderem dadurch gekennzeichnet ist, dass ich die fiktive Welt aus der Perspektive des Charakters betrachte, erlebe und bewerte. Immersion dürfte in unterschiedlichen Stärken vorkommen - und je stärker sein, je mehr mein eigenes Innenleben sich dem Innenleben des Charakters, in den ich mich immersiere (heißt das so?), angleicht. (Mir geht es hier eigentlich auch nicht um eine Definition von Immersion. Aber falls das, was ich hier gerade skizziert habe, eurer Meinung nach eine Verzerrung des Phänomens ist, die uns einen klaren Blick auf die Frage verstellt, dann fühlt euch frei, mich zu korrigieren.)
Ich glaube, dass Immersion dadurch gefördert wird, dass man möglichst vollständig in der Rolle des Charakters aufgeht. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Immersion dadurch, dass ich eine Distanz zwischen mich in den Charakter bringe, beeinträchtigt wird. Auf Distanz bringe ich den Charakter bspw., wenn ich darüber nachdenke, dass es ja nur ein Charakter in meiner Vorstellung ist. Distanz kommt auch ins Spiel, wenn ich mich Dingen zuwende, die nicht den Charakter, sondern mich als real existierende Person betreffen, bspw. wenn ich den Pizzaservice anrufe, die Fußballergebnisse checke oder einen Post fürs Forum verfasse.
Ok, das einfache Bild, von dem ich ausgehe, sieht bisher also so aus: Immersion bedeutet, sich in einen Charakter einzufühlen, wobei dieses Einfühlen dadurch gekennzeichnet ist, dass ich möglichst umfassend die Erlebniswelt des Charakters übernehme. Immersion wird vermindert, indem ich eine Distanz zwischen mich und den Charakter bringe. - Alles klar. Das bietet nun den Hintergrund, um darüber nachzudenken, wie sich im Spielverlauf das Einführen von Fakten in den gemeinsamen Vorstellungsraum auf die Immersion auswirkt. Wohlgemerkt: es geht um die Immersion des Spielers, der die Fakten einführt. Dazu noch eine kurze Überlegung und dann bin ich gespannt, ob ihr dazu Ideen habt.
Ich unterscheide mal zwei Arten von Fakten schaffen: Man kann erstens Fakten schaffen, die durch den etablierten gemeinsamen Vorstellungsraum bereits gerechtfertigt erscheinen. Wenn ein Spieler beispielsweise beim Festschmaus am Hof feststellt: "Ich nehme den Kerzenleuchter und haue meinem Gegenüber einen über die Rübe." - dann bedient er sich einem Element des gemeinsamen Vorstellungsraumes, das nahe liegend ist. In Ermangelung einer besseren Formulierung nenne ich das einfach mal
implizit: der Kerzenleuchter war bereits implizit vorhanden. (Ok, das muss man noch genauer formulieren. Aber als erste Skizze soll's mir erst einmal reichen.) Implizite Fakten werden durch den Spieler explizit gemacht. Da bisher noch keiner drüber geredet hatte, kann man das als Einführen von Fakten verstehen.
Hm, nun merke ich gerade, dass ich im letzten Abschnitt von zwei verschiedenen Arten von Fakten gesprochen habe: implizite Fakten und Fakten, die durch den etablierten Vorstellungsraum als plausibel erscheinen. Ich mag die Unterscheidung, werde aber nur weiter darauf eingehen, wenn das später hilfreich ist. Der Gegenspieler der impliziten (oder nahe liegenden) Fakten sind die "Wir geben dem Ganzen mal eine neue Richtung"-Fakten. Deren Einfluss auf den gemeinsamen Vorstellungsraum ist viel größer, weil sie entweder gänzlich neue oder doch zumindest unerwartete Elemente betreffen. Um beim Königsbeispiel zu bleiben: Wenn der Spieler erzählt, wie plötzlich das große Doppelportal zum Thronsaal aufgestoßen wird, ein schwarzer Ritter samt Pferd und Lanze hereinstürmt und den König zu einem Duell auffordert, verändert sich der gemeinsame Vorstellungsraum massiv. Vielleicht sollte ich von überraschenden Fakten sprechen?
Ach je, um jetzt deutlich zu machen, was das für die Immersion heißt, muss ich noch eine Unterscheidung einführen. Es macht einen Unterschied, ob Fakten in die Handlungsbeschreibung des eigenen Charakters eingebaut werden ("Ich nehme mir den Kerzenleuchter ...") oder ob man Handlungen anderer Charaktere oder sonstige Ereignisse beschreibt.
Mit Blick auf die Immersion scheint mir Folgendes der Fall zu sein: Führe ich implizite Fakten als Teil einer Beschreibung des Handelns meines Charakters ein, stört dies die Immersion nicht. Im Gegenteil, das Spiel kann flüssiger durchlaufen, wodurch Immersion gestärkt werden kann. Denn man muss dann keine immersionshemmende Distanz aufbauen. Führe ich hingegen "Wir geben dem Ganzen mal eine neue Richtung"-Fakten ein, also überraschende Fakten, wirkt dies eher störend auf die Immersion, da ich mir stärker darüber bewusst werde, dass ich gerade der Schöpfer dieser Fakten bin. Dies beißt sich aber mit meiner Rolle als Charakter - also entsteht wieder Distanz. Dies umso mehr, wenn ich die "Wir geben dem Ganzen mal eine neue Richtung"-Fakten nicht als Teil einer Beschreibung meines Charakterhandelns einführe, sondern unabhängig von meinem Charakter als Teil der Fiktion etabliere. ("Der König springt auf, zieht sein Schwert und brüllt einen Fluch in der Sprache der Verdammten.")
Puh. Viel länger und unausgegorener als gedacht. Dafür sind mir unterwegs noch ein paar Ideen gekommen, über die ich gerne weiter nachdenken möchte. Ich freu, mich ihr euch zu dem ganzen Themenkomplex äußert.