Fate Core hat strenggenommen kein Schadenssystem im wortwörtlichen Sinne, weil eine "Attacke" dort nicht unbedingt körperlicher Natur sein oder in der Spielrealität auch nur einen soliden Treffer landen muß, um einen Effekt zu erzielen. Die dazugehörigen Regeln sind nichtsdestotrotz nicht ganz uninteressant und haben sogar etwas Taktikpotential.
Zunächst mal kann im Prinzip jeder Angriff, der den Verteidigungswurf des Gegners um mindestens einen Punkt schlägt, diesen sofort ausschalten (was genau das bedeutet, hängt vom Kontext ab -- in einem echten Kampf ist der Tod natürlich eine Option, aber während eine mit harten Bandagen geführte Debatte den Verlierer schon mitgenommen zurücklassen kann, stirbt er wahrscheinlich nicht gleich davon). Speziell bei unwichtigen "namenlosen" NSCs kann das buchstäblich der Fall sein: ein "durchschnittlicher" namenloser NSC hat nach den Regeln
gar nichts, was er einem Treffer entgegensetzen kann, fällt also nach der ersten erfolgreichen Attacke sofort aus.
Spielercharaktere und wichtigere NSCs sind natürlich besser dran. Die können eingehenden "Schaden" auf zwei verschiedene, aber kombinierbare Weisen abfangen und so im laufenden Konflikt aktiv bleiben:
1.) Streß. Das ist gewissermaßen die Kurzzeit-Plotrüstung eines Charakters, also das, was er wegstecken kann, ohne sich um irgendwelche Nebenwirkungen Gedanken machen zu müssen. Ein "Streßbalken" besteht aus einem oder mehreren Kästchen mit aufsteigendem Wert; ein Charakter mit z.B. dreien davon hat also je ein 1-, 2-, und 3-Streß-Kästchen, die er abstreichen kann, um einen Treffer entsprechend zu reduzieren. Dabei gilt allerdings die Einschränkung, daß pro Treffer nur
ein Kästchen eingesetzt werden kann, d.h., ich kann nicht beispielsweise sowohl die '1' als auch die '3' ankreuzen, um insgesamt vier Punkte aufzufangen. Spielercharaktere und Haupt-NSCs haben jeweils einen separaten körperlichen und geistigen Streßbalken mit je mindestens zwei Kästchen, wobei geeignete Fertigkeitswerte (aus der Beispielliste in Kraft bzw. Willen) noch einmal bis zu zwei weitere hinzufügen können.
2.) Konsequenzen. Die sind, wie der Name schon sagt, schon ernster. Ein Spielercharakter fängt normalerweise mit je einem Feld für eine leichte, mittlere, und schwere Konsequenz an (hohe Fertigkeitswerte oder geeignete Stunts können gelegentlich weitere i.d.R. leichte Konsequenzfelder dazuaddieren) und kann die nach Belieben ausfüllen, um dadurch je nach Schwere 2, 4, oder 6 "Schadenspunkte" abzufedern, wobei im Gegensatz zu Streßkästchen auch mehrere Konsequenzen gleichzeitig genommen werden können. Die zwei Hauptnachteile hiervon sind, daß Konsequenzen erstens länger vorhalten als Streß (dazu gleich mehr) und daß zweitens jede Konsequenz als ein neuer (primär negativer) Aspekt definiert werden muß, den der Charakter ab da mit sich herumschleppt und der natürlich zusätzlich gegen ihn eingesetzt werden kann -- der Angreifer, der für den Treffer verantwortlich zeichnet, kriegt für jede Konsequenz sogar automatisch einen Gratiseinsatz.
(Im Gegensatz zu Streß wird auch bei Konsequenzen nicht zwischen verschiedenen Typen unterschieden -- ein Beinbruch und ein mentales Trauma werden hier regeltechnisch prinzipiell gleich behandelt.)
Ein Charakter, der einen Treffer weder mit Stress noch mit Konsequenzen noch mit einer Kombination aus beidem
komplett auffangen kann oder will, ist ausgeschaltet; welche Form das annimmt, liegt im Rahmen des gesunden Menschenverstands ganz frei im Ermessen des Angreifers. Darauf wollte ich hinaus, als ich eingangs erwähnte, ein erfolgreicher Angriff müßte nicht zwingend eine Verletzung oder auch nur ein Treffer
in der Spielwelt sein -- wenn ich etwa einen gegnerischen Matrosen mit einem Schuß aus der Takelage holen will und mein Angriff ihn tatsächlich ausschaltet, kann ich im Prinzip durchaus entscheiden, daß ich ihn
gar nicht getroffen habe und er einfach aus Schreck über den Beinahetreffer abgestürzt, im Wasser gelandet, und damit aus dem Spiel ist.
Erholung von Streß und Konsequenzen läuft unterschiedlich ab. Streß verfliegt einfach zwischen den Szenen, wenn die Charaktere eine hinreichende Gelegenheit zum kurzen Verschnaufen haben, also sich nicht beispielsweise gleich von einer Actionszene in die nächste stürzen. Konsequenzen brauchen dagegen normalerweise erst mal einen erfolgreichen Erholungswurf, der mit zunehmender Schwere natürlich auch schwieriger wird (Ordentliche (+2) Schwierigkeit für eine leichte Konsequenz, Großartige (+4) für eine mittlere, und Fantastisch (+6) für eine schwere...zuzüglich noch mal +2, wenn der Charakter versucht, sich selbst zu behandeln, anstatt anderswoher Hilfe zu bekommen) und bei Erfolg erst einmal nur erlaubt, den Konsequenz-Aspekt so umzuschreiben, daß klar ist, daß sich der Charakter jetzt auf dem Weg der Besserung befindet; bis das entsprechende Feld wieder
frei wird und damit wieder zukünftigen Schaden absorbieren kann, muß dann je nach Schwere noch eine Szene/eine Spielsitzung/ein komplettes Abenteuer vergehen.
(Als letzte Möglichkeit kann ein Spielercharakter auch noch eine
extreme Konsequenz in Kauf nehmen, wenn's gar nicht mehr anders geht. Die absorbiert dann gleich 8 Punkte, ist aber auch entsprechend hart: ein Spieler, der von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, muß sofort einen
Charakteraspekt durch die extreme Konsequenz ersetzen, Erholungsproben gibt's nicht, und die Konsequenz kann frühestens zum nächsten großen Meilenstein, d.h., größeren Kampagnenumbruch, umbenannt werden, wobei aber selbst dann der ehemalige Aspekt nicht zurückkehrt. Eine extreme Konsequenz ist voll und ganz als
permanente Veränderung gedacht.)
Sich in Fate Core auf Konflikte einzulassen, kann also im Prinzip für so ein "lockeres" System überraschend gefährlich sein. Deswegen gibt es die Möglichkeit, praktisch jederzeit
aufzugeben -- solange die Würfel für den laufenden Austausch (die aktuelle "Runde", wenn man so will) noch nicht gefallen sind, kann jeder Spieler entscheiden, lieber auszusteigen, als weitere Folgen zu riskieren. Der Charakter verliert den aktuellen Konflikt dann natürlich, tut das aber mehr zu den Bedingungen seines Spielers (im Rahmen -- "ich gebe auf und kriege trotzdem alles, was ich will" geht natürlich nicht) und kriegt als Trostpreis noch einen Fate-Punkt plus einen weiteren pro Konsequenz, die er erlitten hat.
Vom taktischen Standpunkt her betrachtet bietet das System also zwei zusätzliche Entscheidungsmöglichkeiten, die man in vielen anderen Spielen so nicht unbedingt explizit hat: erstens, wenn ich schon Schaden einstecken muß, wie verteile ich den am besten zwischen Kurz- und Langzeiteffekten? Zumindest solange ich noch Konsequenzen frei habe, sind diese im Prinzip wesentlich effektiver als Streß...aber sie regenerieren sich auch längst nicht so schnell und haben Nebenwirkungen, mit denen ich bis dahin leben muß. Und zweitens, wieviel Risiko ist mir der Sieg in einem bestimmten Konflikt überhaupt
wert? Wieviel bin ich bereit, noch einzustecken? Fate läßt mich das direkt entscheiden, während ich in vielen anderen Systemen oft schlicht der Gnade der NSCs, des Spielleiters, und der Würfel ausgeliefert bin.
(Okay, das war jetzt ein langer Vortrag. Aber wenn ich schon das Thema nach über acht Jahren Ruhe noch einmal aus der Gruft hole, weil da immer noch ein Link von der ersten Seite drauf verweist, dann soll es sich wenigstens
lohnen.
)