Autor Thema: Rechtfertigung von Storytelling  (Gelesen 7272 mal)

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Offline Boba Fett

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Re:Rechtfertigung von Storytelling
« Antwort #25 am: 4.07.2003 | 09:49 »
Muss sotrytelling bedeuten das die Spieler Opfer wie Charaktere für die Geschichte bringen müssen?
Es geht ja nicht um das müssen, sondern um das "wie würden sie entscheiden"...
Wenn ein Charaktertod dramaturgisch sinnvoll ist, um der Story den richtigen Kick zu geben (Boromirs Tod im HdR), was würden sie entscheiden?
Soll der Spieler seinen Charakter behalten, obwohl die Qualität der Story durch den Tod gesteigert würde und obwohl es ziemlich unrealistisch aussehen würde, wenn er die Begegnung mit dieser Vielzahl an Orks überleben würde.
Oder soll er einen neuen Charakter bekommen, evtl. mit einem Ausgleich für den Verlust des alten Charakters?
Der reine Storyteller würde sagen: Lasst ihn sterben.

(Anm.: Ich zähle mich nicht zu den reinen ST)

Zitat
Also ich finde den Charactertod als dramaturgisches Mittel weniger gut, denn ein "gewachsener charakter bietet ein enormes POtential ...
Eine gewachsene Geschichte auch.
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Offline Bitpicker

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Re:Rechtfertigung von Storytelling
« Antwort #26 am: 4.07.2003 | 09:50 »
Gute Frage...
Wenn die Story im Vordergrund steht, würde ein Storyteller (-Spieler) seinen Charakter ohne weiteres sterben lassen, wenn dies die Story voranbringt.
Liegt der Fokus auf den Charakteren, würde er lieber seinen Charakter behalten, auch wenn die Story dadurch leidet (an Glaubwürdigkeit, Realismus, Spannung oder so).

Frage: Was von beiden ist "Storytelling"? Ich würde sagen ersteres.

Ich stimme zu, dass ein Charakter der Story geopfert werden kann - aber umgekehrt wird der Storyteller (Narrativist) den Tod eines Charakters verhindern, wenn er die Story beeinträchtigt. Der Simulationist würde den Tod (oder das Weiterleben) des Charakters in Kauf nehmen, auch wenn das der Story schadet.

Robin
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Offline Boba Fett

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Re:Rechtfertigung von Storytelling
« Antwort #27 am: 4.07.2003 | 10:16 »
Ich erinnere mich an eine Szene, wo ein Spieler seinen Zwerg auf eine Brücke zurücklies, um die Verfolger aufzuhalten, während seine Kollegen die befreiten Gefangenen nach draußen geleiteten.
Für den Zwerg war es eine rollengerechte Entscheidung, da unter den Gefangenen eine für ihn wichtige Person weilte.
Es war eine absolut dramatische Situation und sie bedeutete den sicheren Tod, denn es war unzweifelhaft, dass die Verfolger den Zwerg besiegen würden, es war nur eine Frage der Zeit, die der den anderen schinden konnte.

Als Spielleiter habe ich entschieden, dass durch dieses "Opfer" die Flucht auf jeden Fall erfolgreich verlaufen würde (weil die Flüchtenden eben immer zufällig genug Zeit hatten), weil ein Mißerfolg sicherlich das frustrierenste überhaupt für den Spieler gewesen wäre (wofür hätte er dann das Opfer gebracht).

Am Ende waren wirklich alle begeistert und einige reden heute noch davon und der Spieler erntet manchmal noch die Schulterklopfer, die sein Zwerg verdient hätte. Durch den Tod des Charakters, den der Spieler entschieden hatte, wurde eine Story zu einem wirklich legendären Ereignis in dieser Runde.
Viele Charaktere, die erfolgreicher waren wurden inzwischen in die Vergessenheit gespielt, aber dieser Zwerg ist immer noch im Gedächtnis der anwesenden Spieler und die Geschichte wird immer mal wieder rausgekramt. Das nenne ich wahres Storytelling.
Die Story steht eben auch vor dem Opfer eines Charakters.
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Offline Der Nârr

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Re:Rechtfertigung von Storytelling
« Antwort #28 am: 4.07.2003 | 10:52 »
a) das was Sara Pink gemeint hat
(Die Geschichte bildet sich um die Charaktere, deren Interaktion maßgebend ist)
Das ist die Spielart, die ich bevorzuge. Aber das ist eben kein Storytelling.

Zitat
Ich meinte irgendwo mal die B als definition für storytelling gelesen zu haben...
Wahrscheinlich in einem Regelwerk von White Wolf.
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Offline Bitpicker

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Re:Rechtfertigung von Storytelling
« Antwort #29 am: 4.07.2003 | 11:35 »
@Boba:

Ich würde sagen, dass dies ein Moment war, in dem sich Narrativismus und Simulationismus die Hand gaben. Der Zwerg war ein Held, damit war es charactergerechtes (simulationistisches) Rollenspiel. Dieses führte außerdem zu einer befriedigenden Story (Narrativismus und Storytelling).

Wäre es jetzt aber eine nicht entscheidende Situation gewesen und der Zwerg wäre aufgrund einiger Würfelpatzer gestorben, dann hätte die Story gelitten - und der Narrativist und Storyteller hätte dem entgegengewirkt, der Simulationist hätte es akzeptiert (ebenso wohl der Gamist, weil er 'verloren' hätte).

Die Gretchenfrage ist die: arbeitest du als Storyteller gegebenenfalls auch auf den Tod eines SC hin, weil es für die Story notwendig ist?

Robin
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Offline Boba Fett

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Re:Rechtfertigung von Storytelling
« Antwort #30 am: 4.07.2003 | 12:02 »
Da ich kein Storyteller bin, weil mir die Erwartungen der Spieler ans Rollenspiel wichtiger als die "Story" an sich sind, ist das keine Gretchenfrage. Ich definiere mich nicht als Narrative-GM.
Narrative ist ein Element im Rollenspiel, aber für mich nicht das wichtigste.
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Offline Bitpicker

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Re:Rechtfertigung von Storytelling
« Antwort #31 am: 4.07.2003 | 12:18 »
Ich betrachte mich vornehmlich als Narrativist mit deutlichem Simulationisten-Einfluss. Wenn ich das Prädikat 'Storyteller' bewerten soll, würde ich sagen, jawohl, bin ich.

Mein System nimmt den 'Tod durch das Erreichen von 0 Trefferpunkten' aus dem Spiel. Tot ist, wer vom SL für tot erklärt wird. Es gibt für einen SC mit 0 oder weniger Trefferpunkten immer zumindest die Chance zu überleben (siehe z. B. mein Werwolf-Ritualbeispiel im 'besondere Momente'-Thread).

Wenn es der Story dienlich ist, kann ein Charakter durch Regelmechanismen sterben, er kann aber auch für tot erklärt werden, ohne dass Mechanismen bemüht werden.

Wenn es der Glaubwürdigkeit der Story (also dem Realismus) schadet, wird kein Charakter verschont.

Was Spielerinteressen angeht, werden vorgeplante Charaktertode meist durch etwas aufgewogen oder später zurückgenommen (Träume, Duplikate aus Parallelwelten etc.).

Zentral ist also die Story, aber immer mit einem Blick auf Realismus (innerhalb der Gesetze der Spielwelt). Mit heroischem oder cinematischem Spiel kann ich wenig bis nichts anfangen.

Robin
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Re:Rechtfertigung von Storytelling
« Antwort #32 am: 4.07.2003 | 12:47 »
Da der Begriff "Erzählforschung" für "Erzählforschung" steht, und das im Rollenspiel nicht viel aussagt, denn es definiert ja nicht, wie man Rollenspiel betreibt, sondern nur, dass man sich um das "wie" kümmert, ist der Begriff "storytelling orientiertes Rollenspiel" besser, weil verständlich.
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Offline Lord Verminaard

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Re:Rechtfertigung von Storytelling
« Antwort #33 am: 4.07.2003 | 13:25 »
@ Minneyar:

Zitat
a) das was Sara Pink gemeint hat
(Die Geschichte bildet sich um die Charaktere, deren Interaktion maßgebend ist)

Das stimmt insofern, als der Gang der Handlung natürlich durch die Aktionen der SCs bestimmt wird. Die entscheidende Frage ist aber: Wonach richten sich diese Aktionen? Nach einer realistischen Einschätzung der Reaktion des Charakters (Method Actor / Simulationist), nach dem, was den größten Erfolg verspricht (Gamist) oder eben nach dem, was dramaturgisch am schönsten ist (Storyteller / Narrativist)?

Zitat
b) das Nachspielen einer bestimmten Geschichte
(die Charaktere folgen einem vorher bestimmten Plot im Kopf des meisters der sich mit der Zeit entfaltet, was logischerweise bedeutet das die "bewegungsfreiheit" der charaktere innerhalb der geschichte begenzt sind)

Spieler und SL erzählen die Geschichte gemeinsam. Sie muss nicht vorbestimmt sein, sondern kann sich auch während des Spiels völlig frei und unerwartet entwickeln. Als SL muss man ja eigentlich von "berufswegen" auf die Dramaturgie achten. Echte Storyteller tun dies aber eben auch, wenn sie Spieler sind. Und dadurch, nicht etwas durch den SL, funktioniert das Ganze.


@ Jesto:

Zitat
Rollenspiel geht nicht darum, Geschichten nachzuspielen oder zu entwickeln, sondern nur darum, Geschichten als Vehikel zu benutzen, um fiktive Erlebnisse zu erzeugen. Die Geschichte erzeugt die Spannung und den Druck, um uns in unsere Rollen zu versetzen - und dieses Erlebnis der Identifikation wird nur bedingt von anderen Kunstform bedient (denn sonst funktioniert Identifikation mit der Hauptfigur nur durch Passivität und nicht durch aktives Verkörpern, bzw. (bei Computerspielen oder Büchern) kommt nur der Entdeckungsfaktor aber nur sehr bedingt der Gestaltungsfaktor oder -Entscheidungsfaktor zum tragen...

Amen, Bruder!!
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Offline Minne

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Re:Rechtfertigung von Storytelling
« Antwort #34 am: 4.07.2003 | 13:38 »
Vielen dank Lord Verminaard durch deine Erklärung wurde für mich vieles klarer :)

Mir scheint es das Storytelling und Simulationismus ein kombiniert ein gutes Paar abgeben... oder sich zumindest nicht grundsätzlich abstossen müssen (es kommt auf die SCs an...)  

Allerdings wird mir diese diskussion langsam zu hoch, ich steige jetzt aus, bin ja vergleichen mit euch alten Hasen nur Junior-Meister ;D


Offline Sara Pink [DA]

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Re:Rechtfertigung von Storytelling
« Antwort #35 am: 4.07.2003 | 14:53 »
Ich glaub ich muss mich nochmal erklären  ;)


Ich wollte damit eingentlich nur sagen, dass nicht die Charaktere sich nach der Erzählung richten, sondern die Charaktere die Erzählung erst so richtig entstehen lassen, nämlich durch diesen dramaturgischen Tiefgang im Falle vom Story Telling. Damit ist auch gemeint, dass es nicht nur nötig ist, dass der Spielleiter ein Narrativist ist, sondern auch die Spieler sich auf diesem Niveau begegnen.

Das hat sich beim Hamf aus der Dose in meinen Augen so gelesen, als ob nicht nur die Charaktere, sondern auch deren Geschichte vernachlässigt werden würde .... deswegen meine Aussage ;)


Offline Bad Horse

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Re:Rechtfertigung von Storytelling
« Antwort #36 am: 9.07.2003 | 18:36 »
Am besten ist es natürlich, wenn sich Charaktere und Geschichte miteinander verweben, d.h. wenn diese Geschichte so auch nur mit diesen Charakteren funktioniert. Ich erzähle eine Geschichte ja nur zum Selbstzweck (wie etwa ein Autor), sondern um die Spieler und ihre Charaktere in ihren Fokus zu stellen und so die Geschichte voranzutreiben und zu verändern.

Auch als Spieler bemühe ich mich, die Gratwanderung zwischen Charakterspiel und dem Vorantreiben der Geschichte zu bewerkstelligen. Bis zu einem gewissen Grad bin ich dann auch bereit, meinen Charakter zu verbiegen ("na gut, ich mag keine Sethiten, aber Senenta scheint ja ganz nett zu sein, also helfen wir ihm eben..."), allerdings nicht so weit, daß er unlogisch oder völlig inkosequent erscheint (wenn Senenta Hilfe bei einem Drogenschmuggel gebraucht hätte, wäre der Charakter nicht mitgekommen...).
Bei One-Shots fällt es mir natürlich leichter, meinen Charakter an die Story anzupassen - der Char ist nicht so definiert wie ein Kampagnencharakter. Bei einem Kampagnencharakter erwarte ich aber auch vom SL, daß er dessen Persönlichkeit kennt und in die Abenteuerplanung einfließen läßt (daß der Charakter aus dem Beispielt oben keinen Drogenschmuggel betreibt, sollte dem SL eigentlich klar sein). Bei einem One-Shot kann der SL nicht für die Charaktere planen. Beispiel: Stahlengel hat neulich ein kurzes Horror-Abenteuer geleitet, wir haben selber Chars gebaut (laute linksliberale Studenten, die Skifahren gehen wollten). Mein Char ist dann irgendwann völlig durchgedreht und hat sich kichernd an ihre Axt geklammert... sie ist dann auch gestorben (war von mir auch völlig beabsichtigt  :)). Ich hätte es einfach langweilig gefunden, wenn keiner der Studenten durchgedreht wäre...
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
The best lack all conviction, while the worst are full of passionate intensity.

Korrekter Imperativ bei starken Verben: Lies! Nimm! Gib! Tritt! Stirb!

Ein Pao ist eine nachbarschaftsgroße Arztdose, die explodiert, wenn man darauf tanzt. Und: Hast du einen Kraftsnack rückwärts geraucht?

Reviel

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Re:Rechtfertigung von Storytelling
« Antwort #37 am: 9.07.2003 | 19:02 »
Da ich mich bei den Systemen auf Exalted spezialisiert habe und Exalted ein sehr cineastisches RP ist (man beachte die Begriffe "Episode", "Geschichte" und "Serie") bin ich absolut pro Storytelling.

Natürlich ist das von Runde zu Runde und von System zu System verschieden (dürfte bei SR etwas schwierig werden), aber bei Exalted und 7te See sollte man so etwas denke ich schon machen.
Es kommt einfach mehr Feeling auf, wenn man als Spieler begreift, wie tief man doch in dieser Welt drinsteckt und wenn man die Folgen seines Handelns auch später noch erkennen kann. Da man bei 7te See ohnehin nur in wenigen Fällen ohne den WUnsch des SL oder Spielers sterben kann, können Tode dort auch sehr zur Untermalung genutzt werden.
So wird einer meiner Charaktere am Ende ihrer Abenteurerkarriere auch draufgehen, einfach weil es passend ist. Und wenn ein Charakter gegen eine Übermacht antritt, um seine Freunde fliehen zu lassen, halte ich so etwas auch für eine heldenhafte Tat.

Genauso werde ich es auch bei Exalted handhaben, das heißt, dass den Charakteren immer mal wieder Personen aus ihrer Vergangenheit begegnen und dergleichen. Rollenspiel (im passenden Setting) ist an sich auch nur eine Serie, solange die Runde vorhanden bleibt. Eine Endlos-Soap, könnte man sagen.
Aber im Gegensatz zu einer Soap passieren im RPG auch Dinge, die man einfach niemals vergessen kann, selbst wenn man es wollte. Ich schätze das ist mit eine der wichtigsten Regeln für wirklich befriedigendes Rollenspiel, wenn ein Charakter nicht nur eine Figur auf einem Blatt ist, sondern zumindest eine rundeninterne Legende.