Ich nehme eine Anfrage per PM zum Anlass, jetzt doch nochmal dieses alte Pferd aufzuzäumen. Obwohl ich ja eigentlich gesagt habe, wer es in den letzten 10 Jahren nicht kapiert hat, wird es auch in den nächsten 10 Jahren nicht kapieren. Aber vielleicht geschehen ja noch Zeichen und Wunder.
Also fangen wir nochmal bei Adam und Eva an. Warum ist es bei D&D wichtig, dass man sich an die Tabelle 5-1 aus dem DMG hält, "Reichtum nach Stufe"? Ich erklär es mal so, wie ich es einem D&D-Neuling erklärt habe:
Erstens: die Kosten für magische Ausrüstung steigen bei D&D nicht linear, sondern quadratisch an. Das heisst z.B., ein +5 Gegenstand ist 25mal so teuer wie ein +1. Entsprechend steigt der Geldbedarf enorm. Das wurde so gemacht, um zu verhindern, dass ein 5.Stufer mal eben etwas Kohle zusammenspart und sich davon eine +5er Waffe kauft. Man fährt am besten, wenn man seine Ausrüstung gleichmäßig verbessert. (Vor allem was AC angeht: drei +1 Items sind wesentlich billiger als ein +3 Item)
Zweitens, die Verteidigung = Armour Class steigt bei D&D nicht automatisch mit den Leveln, sondern NUR über die getragene Ausrüstung. (Es gibt ein paar ganz wenige, spezielle Charaktere die inhärente Boni bekommen, aber das macht das Kraut nicht fett.) Neben Rüstung und Schild gibt es z.B. noch Amulette und Umhänge, mit denen man die RK verbessern kann. Aber das heisst halt auch, dass ein Charakter ohne magische Ausrüstung auf Stufe 20 genauso leicht zu treffen ist wie auch Stufe 1, was ziemlich tödlich ist, da ja die hochstufigen Gegner auch viel stärker zuhauen.
Mit "Verteidigungsprogression" meine ich, wenn sich die RK eben automatisch verbessern würde, so ähnlich wie eben die Angriffsprogression es tut. Da könnte man z.B. sagen: "es gibt keine magischen RK-Gegenstände, aber dafür verbessert sich die RK automatisch um 1 Punkt pro 2 Stufen."
Drittens, magische Ausrüstung verleiht im Prinzip permanent den Effekt jeweils eines Zauberspruchs; oder andersrum gesagt, mit dem passenden Zauber kann man ein Item wenigstens zeitweise ersetzen. Das bedeutet logischerweise, dass Zauberer nicht auf gekaufte Ausrüstung angewiesen sind, da sie sich ja die gewünschten Effekte selbst herzaubern können. Zum Beispiel: mein Kleriker damals hat bewusst auf eine magische Rüstung verzichtet (um Geld zu sparen), aber dank Magic Vestment doch die mit Abstand beste RK der ganzen Gruppe. Das gesparte Geld konnte ich dann anderweitig anlegen, z.B. in ein Weisheitsamulett, das wiederum meine Zauberfähigkeiten verbesserte.
Nichtzauberer können sich die durch Geldmangel fehlende Ausrüstung aber nicht selber emulieren, und sind dann halt unterm Strich gearscht.
--
Was passiert, wenn man sich nicht an die Reichtumsprogression hält?
- Wenn der SL zu großzügig ist, also zuviele Items verteilt, sind die Charaktere deutlich mächtiger, als sie ihrer Stufe nach sein sollten. Eigentlich angepasste Encounter werden lächerlich leicht. Vor allem kann man die Levelempfehlungen für Abenteuer in die Tonne kloppen, wenn den SCs magische Effekte zur Verfügung stehen, die das Modul sprengen.
- Wenn der SL zu knickerig ist, sind die SCs mit eigentlich angemessenen Encountern überfordert. Wieder kann man vorgefertigte Abenteuer nicht oder nur schlecht spielen. Encounter sind entweder unschaffbar oder kosten mehr Ressourcen als geplant; unterm Strich bekommen die SCs zu wenig XP für ihre Mühen.
Wenn die Gruppe _extrem_ unterversorgt ist, kann sie in einen Teufelskreis geraten: sie schafft nur Encounter weit unter ihrem eigentlichen Level, bekommt für diese aber auch fast keine XP mehr. Da der SL ja eh nichts von Schatztabellen hält, ist es aber eigentlich auch schon wurscht, ob er den Spielern nun High- oder Lowlevel Loot vorenthält.
--
Dann stellt sich bei "Low Wealth"-Runden für mich die Frage: _warum_ machen die das so?
Ich kann mir folgende Motivationen vorstellen:
- der SL ist mit den Möglichkeiten, die D&D bietet, überfordert. Durch die Begrenzung der Ausrüstung versucht er, die Gesamtmacht der SCs übersichtlich zu halten. Dies funktioniert unter Umständen, wenn er entsprechend auch die Gegner eindämmt und die CRs anpasst. Problem: auf lange Sicht werden die Spieler es mit immer den gleichen schwachen Gegnern zu tun bekommen, was relativ schnell langweilig wird.
- der SL will die Spieler "hungrig" halten, damit sie brav nach jedem Plothook schnappen, den er ihnen vor die Nase hält. Das hat aber eigentlich mit dieser Thematik nichts zu tun, und wurde vor langer Zeit im Thread
Knicker und Schundnickel besprochen.
- der SL hält die Fülle der magischen Gegenstände sowie die gewaltigen Goldmengen für "unglaubwürdig", oder will insgesamt "Low Magic" spielen. Bitte, das lässt sich alles in den Griff bekommen, ohne die SCs zu verkrüppeln:
-- Waffen, Rüstungen und Schulde werden einfach nicht als "magisch" deklariert, sondern eben einfach als besonders hochwertige Exemplare.
-- Gold deklariert man zur Meta-Ressource. Niemand schleppt wirklich 100.000 Goldmünzen mit sich herum; der Betrag diene lediglich als abstrakter Wert, mit dem man seine Ausrüstung verbessern kann.
-- Statt magischer Amulette, Ringe, Umhänge etc. kann man wie oben bereits erwähnt eine Verteidigungsprogression einbauen, die über die Level eben genausoviele AC-Boni hergibt, wie man sich normalerweise als Item kaufen würde.
Dazu sei aber noch eindringlichst erwähnt, dass Gold in D&D-Welten einfach um Größenordnungen gewöhnlicher ist als in der historischen Welt. Man ziehe die Upkeep-Tabelle aus dem DMG zum Vergleich heran: ein
gewöhnlicher Lebensstil kostet demnach fast
ein Pfund Gold pro Monat. Im "echten Mittelalter" hätte eine solche Menge fürs halbe Leben gereicht.
Wer sich also an der Goldinflation stört, sollte erstmal hier ansetzen. Ich habe das jetzt nicht durchgerechnet, weil es mir in D&D ehrlich gesagt absolut scheissegal ist, aber vielleicht kann man ja einfach sämtliche Goldpreise mal locker-flockig durch 100 teilen (oder 20, oder 50, wie gesagt es ist mir wurscht). Schwupp, kostet eine +3-Waffe nur noch 30 Goldmünzen Aufpreis. Dann ist es auch in Ordnung, wenn die komplette Loot des letzten Dungeons sich auf 50GM summiert.
Aber
eigentlich ist mein Ratschlag an jene, die sich ums verrecken nicht an die Reichtumgstabellen halten wollen: sucht euch ein anderes System. Ist ja nicht so, dass es nicht selbst diverse D20-Varianten gäbe, die solchen Ansprüchen Rechnung tragen, z.B. Conan D20, welches komplett ohne magischen Kladeradatsch auskommt.
Schlusswort: dazu sei noch angemerkt, dass ich früher in meiner Unwissenheit ebenfalls versucht habe, D&D auf "low magic" zu spielen. Inzwischen bin ich da bekehrt, und erkenne an, dass es für jeden gewünschten Spielstil ein passendes System gibt. Und D&D steht eben für abgedrehte Fantasy mit bis zum Anschlag aufgedrehten Magieregler.