Nun mal wieder traditionellerer Jazz. "You Go To My Head" ist ein Standard, den ich sehr mag. Er besteht aus zwei Strophen, einer Bridge, einer dritten Strophe und einem Schlussteil. Jeder dieser Abschnitte ist gleichlang. Hier erstmal der Text, ein Meisterwerk für sich: So viele wundervolle, magische Sprachbilder auf so engem Raum muss man erstmal finden! (Dichter: Haven Gillespie)
You go to my head
and you linger like a haunting refrain,
and I find you spinning ´round in my brain
like the bubbles in a glass of champagne.
You go to my head
like a sip of sparkling burgundy brew
and I find the very mention of you
like the kicker in a julep or two.
The thrill of the thought
that you might give a thought
to my plea casts a spell over me.
Still I say to myself,
“Get a hold of yourself,
can´t you see that it never can be.”
You go to my head
with a smile that makes my temp´rature rise,
like a summer with a thousand Julys,
you intoxicate my soul with your eyes.
Tho´ I´m certain that this heart of mine
hasn´t a ghost of a chance in this crazy romance,
you go to my head.
Die mit dem Titel startenden Strophen liefern also regelmäßig Parallelismen (die sich auch im Reimschema wieder finden): die Betörung des lyrischen Ichs wird mit der Wirkung diverser alkoholischer Getränke verglichen. Schon hier wird deutlich, wie der Song interpretiert werden muss: sehnsüchtig, aber auch beschwippst, trunken vor Liebe eben.
Die textlastigere Bridge enthält zunächst eine Selbstbeobachtung und dann die Selbstermahnung sich keinen falschen Illusionen hinzugeben (der reflektierende, nüchterne Moment also).
Aber nach einer weiteren schwärmerischen Strophe bleibt für den Schlussteil nur noch die Feststellung der Vergeblichkeit jeglicher Vernunft: die Liebestrunkenheit bleibt. Besonders schön ist, wie der ansonsten am Strophenbeginn stehende Titel hier fazitartig ans Ende rückt.
Der Song beginnt mit einem kleinen Intro, dann setzt die Gesangsmelodie ein, die den Aufbau des Textes präzise nachzeichnet: Die Strophen beginnen mit einem großen Aufwärtssprung, auf den ein paar Tonwiederholungen folgen. Danach erklingen abwärts geführte Melodielinien, die zum Ausgangspunkt zurückführen. Ein paar Blue-Notes verstärken die betörende Stimmung.
Die Bridge klingt gegenüber den Strophen intensiviert: durch den höheren Textgehalt entsteht eine fließende Bewegung. Auch die Tonhöhe wird in zwei Stufen schrittweise erweitert. Die "Selbstermahnung" enthalten eine einzige Tonwiederholung auf dem Spitzenton des Songs. Die Warnung ["...see that it never can be"] könnte kaum deutlicher erfolgen. Außergewohnlich sind auch die Triolen, die die Melodie hier ins Rollen bringen.
Der Schlussteil enthält umgekehrt zu den sehnsüchtigen Strophen nach einem Abwärtssprung eine aufsteigende, alle Bedenken beiseite fegende Melodie. Im vorletzten Vers kehren die rollenden Triolen zurück, diesmal allerdings in Gestalt bogenförmiger, sich aufschwingender kleiner Sprünge. Die Schlusspointe in Form der Ausgangsthese verharrt auf der Wiederholung eines offenen Schlusstons, was der Gesangslinie einen schwebenden Abschluss verleiht.
Die Harmonik ist zwar traditionell, enthält aber einige Überraschungen (besonders an den Versenden, in der Bridge und zu Beginn des Schlussteils): Wer will, kann in den ungewöhnlichen Akkorden eine Beziehung zum Text herstellen: die Harmonik schwankt ähnlich wie die bzw. der trunkene Liebende.
Die verlinkte Aufnahme ist eine der frühesten Interpretationen des Songs aus dem Jahre 1938 und stammt von Billie Holiday (mit siebenköpfiger Begleitband). Ich finde, Holidays belegte Stimme ist geradezu prädestiniert für diesen Song. Sie singt leicht laid back und die größeren Sprünge in der Melodie wirken etwas angestrengt. "Ist die Frau am Ende?", könnte man sich fragen. Man achte darauf, wie sie „bubbles“ singt: für einen winzig kleinen Moment scheint es, als habe sie Artikulationsprobleme… doch dann hat sie sich wieder gefangen. Das ist natürlich keine Amateuraufnahme, sondern gekonnt inszenierte große Unterhaltungskunst!
In der verlinkten Interpretation folgt nach einem Gesamtdurchlauf mit leicht verlängertem Schluss ein relativ schlichtes aber funktionierendes Tenorsolo über die Bridge, worauf Billie Holiday den Schlussteil wiederholt. Ein wenig vermisse ich hier die Verbindung stiftende Strophe, ansonsten ist das für meine Begriffe ein tolle und intensive Interpretation eines kleinen Meisterwerks.
Billie Holiday: You Go To My Head