Mein letzter Michael Jackson Link... natürlich von "Thriller" (1982), dem Album, an dem wohl niemand vorbeikommt, der irgendetwas über Michael Jackson wissen oder erzählen will.
Wenn ein Album nach annähernd 40 Jahren permanent so eine Präsenz hat, stellen sich natürlich ein paar Abnutzungserscheinungen ein. Der Song selbst ("Thriller") braucht in meinen Ohren eine Auszeit - und wenn er dann doch mal irgendwo läuft, freue ich mich über die schrägen (künstlichen) Bläsersounds im Refrain und warte ansonsten höflich, bis er wieder vorbei ist.
Der Song aber, für den ich immer noch auf die Tanzfläche springen würde (wenn es denn noch Tanzflächen gäbe), ist "Billie Jean"... kaum weniger berühmt als Thriller...
Dieser provokant-trockene Simpelbeat mit Off-Beat-Hihat-Shuts, der rotierende Bass und die darüber rollende synkopische Keyboard-Mollterz (zwei Schritte aufwärts, zwei Schritte abwärts) ist wohl das Groove-Geheimnis: für sich genommen äußerste Banalität, im Zusammenspiel Magie. Bemerkenswert finde ich auch Jacksons Stimme, die den gesamten Song über so klingt, als könne er sich nur noch mühsam unter Kontrolle halten. Laut Wikipedia hat Jackson drei Wochen gebraucht um den Basslauf zu komponieren, aber die Stimme schon nach dem ersten Take im Kasten gehabt.
Worum geht´s? Diese ganzen biographischen Details interessieren mich nicht, dieses Tratschen der Fans und diese wichtigtuerischen Biographen nerven mich. Ich bin hier auch weniger an Michael Jackson als an diesem Song interessiert. Ich bleibe daher mal beim Text. Er handelt von einem Star, der von einem weiblichen Fan erzählt bekommen hat, dass sie einen Sohn von ihm hat. Durch das Lied äußert der Star nun, dass das nicht sein kann. Das war´s eigentlich schon.
Wenn aber ein Song sagt "Ich hab´ nichts mit dir gehabt, deshalb kannst du dir irgendwelche Alimente-Forderungen aus dem Kopf schlagen" (so ähnlich dürfte das wohl zu verstehen sein), dann stelle ich doch mit einer gewissen Verwunderung fest, dass dieses unglamouröse Statement sich in Form eines extrem glamourösen Dance-Hits äußert. Dieser Song will ja nicht, dass wir alle dem Sänger glauben, das ist völlig unerheblich. Dieser Song will, dass wir tanzen.
Ich glaube, dass das auch die Botschaft des Sängers für seinen Fan ist. Er sagt nicht: "Du lügst! Ich habe keinen Sohn mit dir!" Er sagt: "Du lügst! Geh tanzen!" Tanzen ist die Lösung für viele - vielleicht sogar alle - Probleme. Tanzen ist die Kirche, wenn man so will. "Du magst ein uneheliches Kind haben und die Schlechtigkeit besitzen, es jetzt auch noch mir in die Schuhe schieben zu wollen, aber das spielt keine Rolle. Entscheidend ist, dass du tanzt. Wenn du tanzt, wird dir vergeben!", das sagt Michael Jackson. Ich habe als Spätgeborener, der in den 70ern leider zu jung war, das Urphänomen Disco nur im Fernsehen miterlebt. Bei Billy Jean habe ich begriffen, dass für diese Leute die Disco die Kirche ist, der Ort der Verheißung auf ein besseres Leben. Es kommt eine Gemeinde zusammen, Leute, die sich gut angezogen haben, die möglicherweise gemeinsam in Extase geraten. Es ist kein Zufall, dass viele Soul Sängerinnen und Sänger als Gospelsänger angefangen haben.
Im Video zu Billie Jean taucht der Fan überhaupt nicht mehr auf. Michael Jackson gewinnt dafür aber übernatürliche Qualitäten: Wo er seinen Fuß hinsetzt, leuchten Bordsteine auf (wie in der Disco) und Katzen wechseln ihr Fell, Models auf Werbeplakaten lächeln ihm zu, einem Penner am Straßenrand verschafft er einen eleganten, weißen Anzug: "Ich sage dir, steh auf, nimm deinen Anzug und geh in die Disco!" Das ganze Video über will ihm eine Art Detektiv auf die Schliche kommen und ein Foto von ihm machen. Mehrere Versuche schlagen fehl, Michael Jackson löst sich jedesmal kurz vorher in Luft auf. Du sollst dir kein Bildnis machen, so heißt es doch! Stattdessen sollst du tanzen! Und so verschwindet Michael Jackson von dieser Welt und hinterlässt blinkende Bordsteine, zu unser aller Vergnügen.
Michael Jackson: Billie Jean