Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen soll. Aventurien ist mitnichten so harmlos, wie es oft dargestellt wird. Das Gut-Böse-Schema hat man auch in anderen Settings, teilweise sogar extremer. Ich glaube, den schlechten Ruf hat die Welt wegen des "moralischen Anspruchs", der eine zeitlang an die "Helden" herangetragen wurde. Aber eigentlich ist das Setting keine Vorgartenidylle.
Aventurien hat eine andere Art der Dunkelheit als andere Systeme. Weniger der widernatürliche Tentakel-Horror als vielmehr der "ahndungsvolle" Waldesschatten.
Aventurien ist dort am besten, wo es sich in seine stillen Ecken zurückzieht oder wo es sich nicht recht ernst nimmt. Wenn es Pathos anstrebt (zum Beispiel G7), dann scheitert es oft. Bleibt es aber auf dem Boden, bei seiner vermeintlichen "Harmlosigkeit" und Beschaulichkeit, dann rockt es richtig. Dafür gibt es unzählige AB- und Quellenband-Beispiele.
In irgendeiner Antho gab's dieses Abenteuer über einen Koch-Wettbewerb. Das meine ich, das ist ein Heidenspaß. Vor allem unter den Kurz-Abenteuern gibt es viele solcher Perlen (und mir geht es dabei nicht um die AB-Qualität hinsichtlich Präsentation und Ergebnisoffenheit, sondern nur um Settings, Plotideen, das Aventurienhafte). Im Prinzip trifft hier zu, was in John Crowleys "Little, Big" so ein Grundthema ist: Je weiter man ins Kleine geht, desto größer wird es. So ist Aventurien: Die großen, weltbewegenden Kampagnen sind oft schal, während die Nebenschauplätze blitzen und blinken.
Ich liebe Havena. Die Box, die beiden frühen Bände mit Havena-ABs (Auf Dracos Spur ist köstlich) und die Sachen aus der Albernia-Box (ich glaube, Nurinais Ring ist das AB, das ich am häufigsten geleitet habe, immer mit anderen Havena-ABs verzahnt; und für den Jüngling am Strand habe ich eine große Schwäche).
Das Bornland mit den bescheuerten Namen (leider ist DSA im Laufe der Zeit humorloser geworden), dem Zorn des Bären, Sumpfranzen, Überwals (hat mir vor G7 besser gefallen, aber immerhin).
Al'Anfa und die Regenwälder (erstaunlicherweise kann DSA diese Urwald-Sachen richtig gut, finde ich. Auch an dieser Stelle sei noch mal Unter Wudu erwähnt ... okay, ich bin ja schon still).
Wäre das Magiesystem nicht so unendlich komplex geworden, wäre ich nach wie vor ein großer Fan. Bei den 11 x 11 Zaubern hätte man es belassen sollen. (oder noch besser: mit der Ausbau-Box).
Mit den Geweihten kann ich bis heute nicht viel anfangen, an das Götter-Pantheon habe ich mich gewöhnt, aber man hätte mehr à la Jüngling am Strand draus machen können ...
Was mir DSA sympathisch macht, ist auch das Scheitern. Dieses ständige Wechselbad aus Entzücken und Enttäuschung, das ich schon seit den allerersten Begegnungen mit dem Spiel kenne. Wie hat man sich damals auf "Werkzeuge des Meisters" gefreut -- und dann war das nur so ein dünnes Heft, und anstatt der erhofften 100 Monster waren es nur fünf oder so.) Immer wieder diese Abenteuer, die teils Jubel ausgelöst haben (Orkland-Trilogie, Strom des Verderbens), teils irritiert haben (Weg ohne Gnade), teils verärgerten (Kanäle von Grangor, dieses Elfenabenteuer mit dem Vampir, du meine Güte -- heute würde ich das vielleicht anders sehen). Mit jeder neuen Regeledition und jedem neuen Quellenbuch und jeder Box kamen Highlights und Ärgernisse. Und das ist bis heute so
. Und irgendwie erträgt man es nicht nur, sondern man mag es auch. Das ist ein bisschen wie mit der eigenen Familie. Die darf, was andere nicht dürfen. Über kein anderes Rollenspiel kann ich mich so verbiestert aufregen, aber ich werd ihm trotzdem immer irgendwie treu bleiben -- nee, nee, nee, das klingt jetzt aber mal viel zu sentimental.
Aber was soll's?