Man nehme nur die gesunde Luft! Bei derlei Heilungsraten und dem regeltechnisch einfachen Finden von Wirselkraut und Einbeeren wäre keine Armee Aventuriens durch eine Niederlage lange gelähmt. Es gibt auch keine Moralwerte für Desertierungen oder kopflose Flucht, dennoch geschehen derlei Dinge in Aventurien. Weil es natürlich richtig ist, aber verregelt ist das nicht.
Ich behaupte ja seit Jahren, dass das ein Bug, und kein Feature ist. Bei den LE Schwämmen aus der prä-DSA4 Ära machte die so hohe Regeneration noch Sinn, wenn man das ganze am Maximum maß. Bei den deutlich niedrigeren Pegelständen des gegenwärtigen Systems wurde nicht bedacht, dass man, wenn man die Maximalwerte beschneidet, auch die Regenerationsraten eindämmen muß, oder man bekommt ein bizarr verschobenes Mißverhältnis.
Die Umstellung dieses Unsinns auf ein kausales und in sich logisches Heilugnssystem war die erste Hausregel, die mir für DSA4 eingefallen ist.
Oder, um genauer zu sein: Es ist eine Rollenspielkonvention, damit die Downtime zwischen Kämpfen schön niedrig wird, und man nicht so lange warten muß. Bei anderen Systemen, die von der ganzen Ausichtung mehr auf eher hollywoodeske Action-Darstellung getrimmt sind, wäre das völlig logisch. Im Konvolut der DSA-Regeln, die mal heroische Versatzstücke, und mal sehr realistische Ideen nebeneinander bunt gemischt aufweisen.
Und das ist meines Erachtens eines der Hauptprobleme von DSA4: Es weiß nicht so recht was es will, also versucht es *alles* zu tun und zu können. Das gleiche Symptom von zu vielen Tänzen auf zu vielen Hochzeiten sieht man auch beim Hintergrund, mit seiner Vielzahl an hineingepressten Subgenres und Szenarios.
Im Idealfall würde so eine Kombination einen Synegieeffekt bilden, bei dem die verschiedenen Kombinationen organisch in einander greifen und die Vorteile der verschiedenen Versatzstücke aufgreifen. Beim Hintergrund gelingt das für viele DSA-Spieler auch. Es ist schon nett, wenn man mit der gleichen Gruppe, die aus einem Dumas'schen Musketier, einem Edlen Wilden Elf, einem Ritter in Glänzender Rüstung aus der Artussage, Locke Lamora und Fallstaff zusammen eine Fehde zwischen zwei verfeindeten Adelshäusern schlichtet, nachdem man letzten Monat eine Gruppe Kultisten daran gehindert hat, Cthulhu zu beschören, und man nächste Woche in die Feenwelt reist, um ein verschlepptes Kind vom Hof der Feenkönigin zu befreien und übernächste Woche ein belagertes Dorf gegen Ork-Marodeure verteidigen. Das ist schon cool.
Das Problem ist, dass dieser Synergieeffekt eben nicht immer gelingt. Dann hat man kein Mosaik aus lauter kleinen hübschen Steinen, sondern einen graubraunen Matsch, bei dem bei keinem der Versatzstücke die spezifischen Stärken auch genutzt werden können und letztendlich nur die Schwächen, nicht aber die Stärken zum Tragen kommen.
Das ist beim Hintergrund von Aventurien besser gelöst als beim Regelwerk.
Ich persönlich glaube, dass es mehrere Regelwerke gibt, mit denen man in Aventurien spielen kann, ohne das Setting übers Knie zu brechen. DSA4 ist eines davon, erfordert aber mehr Gewurschtel als andere, und scheitert auch mal daran.
Ob man jetzt die Erfüllung über mehr oder weniger Detailfülle (ich versuche mal, das so neutral wie möglich zu formulieren) , Modesysteme oder Klassiker zu erreichen, ist dabei fast schon banale Nebensache. Geschmäcker sind eben verschieden. Da hilft es auch nichts, die eigenen Vorstelllungen zu fast schon dogmatischer Idealisierung aufzublähen. Das sorgt nur für eine Frontenverhärtung und störrisch vorgeschobenen Kinnladen.
Ein gutes Regelwerk für Aventurien muss nicht besonders detailliert sein. Ich persönlich finde das zwar wichtig und sinnvoll, aber ich erhebe meinen persönlichen Geschmack in aller Regel nicht zum allgemeinen Maßstab. Zu Mindest nicht, bis mein Gedankenkontrolllaser fertiggestellt ist.
Was ein Regelwerk für Aventurien hingegen leisten können muß, ist verschiedene Genrespezifischen Konventionen umzusetzen und ein sehr breites Spektrum von verschiedenen Stilrichtungen kombinieren. Ein Reglsystem mit dem ich zwar testosterongeschwängerte Kämpfe und Schlachten austragen kann, aber beim Gesellschafts- und Intrigenspiel fast beständig improvisieren muß, ist kein gutes aventurientaugliches System.
Ein System, bei dem ich ganz hervorragend Spurensuchen und Detektivarbeit ausspielen kann, aber Kämpfe eher dröge werden, ist kein gutes aventurientaugliches System.
Ein System, bei dem ich strahlende Märchenhelden spielen kann, aber Angst, Schmerz und Schrecken eines Horrorszenarios nicht erfassen kann ist - Überraschung, Überrraschung, kein gutes aventurientaugliches System.
Ob jetzt DSA4 gemessen an den Maßstäben ein gutes aventurientaugliches System dastellt, darüber kann man streiten. Ich sehe die Probleme nicht unbedingt bei der Breite der Möglichkeiten, sondern ehr bei der fehlenden Eleganz und unnötigen Komplixität (ich hab nix gegen Komplexität an sich, aber bitte als Mitte zum Zweck und nicht als reiner Selbstzweck, oder schlimmer noch, als Unfallergebnis, weil man das ganze nicht besser lösen zu können glaubt).