vielleicht legst du bei Immersion auch einfach Wert auf etwas anderes. Ich definiere Immersion halt immer noch über "Das Hineinversetzen in den Charakter"
Immersion ist für mich ein Hineinversetzen in die Spielwelt. So wie ich es sehe, passiert das immer, wenn gerade die Geschichte läuft und mich als Zuschauer oder Agierenden mitreißt. Und es wird immer unterbrochen, wenn ich in der Realwelt etwas tun muss, sei es, weil ich würfle oder sei es, dass ich mir einen Kräcker vom Spieltisch schnappe.
Aus diesem Grund stört für mich jede Anwendung der Regeln die Immersion, weil ich in diesem Moment nicht meinen Charakter nicht als Figur der Spielwelt sehe, sondern als regeltechnisches Konstrukt. Wenn der SL eine Szene schildert und ich beschreibe, was mein Charakter denkt und tut, dann werde ich in die Spielwelt hineinversetzt. Wenn dann aber ein Wurf gefordert ist, um zu sehen, welchen Erfolg das Handeln des Charakters hat, dann greife ich zu den Würfeln, schaue den Wert des Charakters auf dem Bogen nach, verwalte eventuell weitere Ressourcen und agiere ganz in dieser Welt. Denn wenn der SL sagt: "Würfle mal Aufmerksamkeit!", dann hat das überhaupt nichts mit dem Charakter als Figur in einer Geschichte zu tun, sondern mit mir und dem was ich am Spieltisch zu tun habe.
Unterm Strich ist es eigentlich das, was mich am Rollenspiel reizt, dass es nicht nur eine einzelne Tätigkeit ist, sondern ich gleichzeitig eine Figur darstelle, eine Geschichte erlebe, sie kommentiere, ein Gesellschaftsspiel spiele und mich mit meinen Freunden unterhalte. Von daher ist "Immersion" meinerseits kein hervorstechendes Qualitätsmerkmal für ein Rollenspiel.
Aber von meiner Warte aus sind Regeln und Immersion zwei entgegengesetzte Begriffe und die einzige Art, wie ein System für mich Immersion unterstützen kann, ist, dass die Regeln im Spiel möglichst wenig zur Anwendung kommen und leicht auszuführen sind.
Ok, das überrascht mich jetzt doch, weil ich bislang dachte, es wäre völlig klar. Ist dir das noch nie aufgefallen bei all den Systemen, die ihr spielt?
(nicht nur) FATE stellt bei der Schaffung von Fakten die zeitliche abfolge der Realität völlig auf den Kopf. Dein Charakter ist nicht neugierig, weil er "Neugierig" ist, sondern nur dann, wenn es die Story hergibt. In allen anderen Szenen spielt die Eigenschaft keine Rolle, du oder SL braucht einfach nur nicht den Aspekt akvitieren. Es passiert also erst dann etwas, was deine Neugier erregt, wenn du den Aspekt aktivierst. Und wenn du keine Anwendungen hast, dann kannst du nicht mehr "neugierig" sein. Regelmechanisch betrachtet. Mit der InGame Ursache hat das nicht zwangsläufig etwas zu tun.
Ich glaube, du wirfst da etwas durcheinander. Ein Charakter, der in FATE neugierig ist, hat natürlich immer die Eigenschaft, eine neugierige Person zu sein. Wie in jedem anderen System. Und natürlich gibt es ganz bestimmte Stellen der Geschichte, wo das eine große Rolle spielt und welche, wo es völlig egal ist. Wie in jedem anderen System. Er muss diese Eigenschaft in keiner Weise aktivieren oder verliert sie, wenn er keine FP mehr hat.
Die Eigenschaft kann auch jederzeit compelled werden. So wie ein SL einen neugierigen Charakter in jedem anderen System jederzeit aufgrund seiner Neugier in Schwierigkeiten bringen kann. Nur bekommt er bei FATE dabei eine Glasmurmel in die Hand gedrückt.
Natürlich hat der Spieler eine begrenzte Ressource von Punkten, um den Aspekt zu invoken. Aber das schränkt ja den Charakter und sein Handeln nicht ein, seine ganzen Werte und Würfelpools werden ja nicht verschlechtert, sondern der Spieler hat einfach nicht mehr die Möglichkeit, einen außerordentlichen Bonus zu kaufen. Oder einen Reroll.
Ich verstehe nicht, wieso bei FATE vielen diese Ressource als ein Sonderfall ins Auge sticht, obwohl sie eigentlich ziemlich ähnlich ist wie die Bennies bei SW, Willenskraft bei WoD oder Exalted und Schicksalspunkte bei WFRP.
Und die Regeln wurden so designt in dem Irrglauben Bücher und Filme würden genauso funktionieren. Was aber nicht richtig ist, da Bücher und Filme bereits fertige Produkte sind, die per definition Sinn ergeben (Wenn der Filmcharakter einmal neugierig ist, dann ist das in der Handlung des Drehbuches schon logisch eingebaut), während man im RPG die Story so verdrehen muss, daß es den begrenzen Aspekten Rechnung trägt.
Aus dem Grund sind die Fateregeln ein reines Metaelement und können imho nicht immersiv sein.
Nach deiner Argumentation hätten D&D und Shadowrun also einen höheren Grad an Immersion als Engel mit Arcana-System oder die World of Darkness, weil in diesen Systemen die "Steuerung" eines Charakters komplett dem Spieler überlassen ist, anstatt dass das von Regeln, die dramaturgischen Überlegungen miteinbeziehen, eingegrenzt wird?
Das kann ich so nachvollziehen, aber wir scheinen da wirklich einfach andere Vorstellung davon zu haben, was "Immersion" jetzt bedeuten soll.
Zumindest in dem Punkt, dass die ganze FP-Economy auf einer Meta-Ebene funktioniert, kann ich dir voll und ganz zustimmen.
Was da kritischer ist, ist das aktivieren von Aspekten, die nicht auf meinem Charakter liegen. Ich kann zwar immer meinen Gegner ins Kaminfeuer stoßen, aber nur, wenn ich dafür einen FATE-Point zahle, hat das auch einen Effekt. Zornhaus Hinweis auf die Konsistenz der Spielwelt ist da ziemlich passend.
Wenn ich das in-den-Kamin-stoßen als Angriff ausführe, hat das bei Erfolg immer den Effekt, dass dadurch der Stress Track des Gegners Schaden nimmt und er möglicherweise dadurch besiegt wird.
Wenn ich die Aktion als Manöver durchführe, habe ich bei Erfolg einen von mir frei wählbaren Aspekt auf den Gegner gelegt, denn ich dann einmal ohne Kosten benutzen kann. Damit erhalte ich immer einen Gegenwert für meine Aktion.
Ich kann das dazu benutzen, den Gegner zu compellen und ihm so eine Handlung aufzuzwingen, etwa, dass er seine Waffe fallenlässt, wegrennt, blind durch die Gegend torkelt oder was auch immer mir gerade passt.
FP kommen erst ins Spiel, wenn ich einen Aspekt wiederholt zu meinem Vorteil gebrauchen will. Man muss sich dabei auch vor Augen halten, dass FATE von einem relativ hohen Abstraktionsgrad ausgeht und weder jede Handlung in kleine Einzelaktionen unterteilt, noch jedes blaue Auge und jede blutende Nase genau. nachhält.
In einem System, bei dem ein Wert von 4 oder 5 absolute Spitze ist und ein Wert von 2 eine Kompetenz darstellt, die ausreicht, dass man in diesem Feld einem Beruf nachgehen kann, ist ein Bonus von +2 gewaltig. Ich finde es realistisch, dass Hänsel und Gretel bei der brennenden Hexe einmal einen Glückstreffer landen, aber ich denke nicht, dass die gute Frau so sehr brennen kann, dass die zwei schwachen Kinder sie dauerhaft auf dem Level eines Berufskämpfers verdreschen können. Der "permanente" Nachteil des Feuers für die Hexe wird vor allem von der Grobheit des Systems gefressen und kann sich am besten in Compels niederschlagen.
Das ist keine Situation, die der menschliche Verstand erfassen kann, demnach auch nicht immersiv. Der Charakrer weiss ja nicht wieso das mit dem Kamin manchmal klappt und manchmal nicht (oder warum manchmal ein Kamin da steht und manchmal nicht). Der Spieler weiss das aber immer.
Das passiert in Filmen und Büchern doch andauernd: Der Zuschauer weiß, dass die Handlung einer Dramaturgie folgt, aber der Charakter im Film kann nicht davon ausgehen. Das kann natürlich danebengehen ("Boah ey, voll unrealistisch!"), aber eine Geschichte, die nur aus Zufallstabellen und Alltagsleben der Realwelt besteht, würde niemand lesen oder sehen wollen. Selbst Dokumentarfilme folgen einer Dramaturgie, um das Geschehen interessant zu machen und damit sie sich nicht gucken wie ein Überwachungsvideo.
Das Ergebnis ist natürlich überspitzt, aber das ist, was ich sehen will und das ist, was ich bei FATE zu sehen bekomme. Das, was FATE macht, sehe ich nicht als Problem, sondern als Lösung für ein Problem, was ich bei vielen anderen Rollenspielen oft gehabt habe...