Da habe ich Feuersänger anders verstanden: er bewertet die SC-Aktionen seiner Mitspieler eben schon nicht mehr als "moralisch indifferent/pragmatisch", sondern als "böse" im Sinne von ethisch verdorben.
Wo ist da denn der Unterschied zu dem, was ich geschrieben habe? Ich bin da gerade etwas verwirrt.
Nochmal etwas abseits von dem speziellen Fall etwas Theorie zu moralischen Bewertungen:
Es gibt in der kulturellen Prägung, mit der ich aufgewachsen bin, einen Unterschied dazwischen, ob jemand moralische Grenzen überschreitet, weil er etwas anderes für wichtiger hält - dann weiß er, daß er moralisch gesehen einen Fehler macht, aber er geht davon aus, daß er andererseits moralische Gründe genug dafür anführen kann, daß ein anderes Handeln jedenfalls noch schlechter gewesen wäre. Das ist z.B. der Fall Daschner / Gäfgen. Etwas grundsätzlich anderes ist die Haltung, daß man Folter und Mord anwenden kann, ohne sich überhaupt darüber Gedanken machen zu müssen, was man da tut. In dem Fall ist (gemäß der kulturellen Prägung, die ich habe) nicht nur die Folter oder der Mord, sondern schon die Haltung zu Folter und Mord moralisch unangemessen, vulgo: "böse".
Begründung (Vorsicht, lang!):
Es ist die Frage, wo "moralische Indifferenz" und Pragmatismus ihren Raum haben. Es gibt Dinge, die haben mit Ethik und Moral nichts zu tun - mathematische Setzungen, Kalligaphie und ähnliches. Die lassen wir mal außen vor, okay?
Ethik (als "Theorie der Moral") und Moral (als "Ethik in der praktischen Anwendung") kristallisieren sich an Entscheidungen. "Soll ich dies oder jenes tun" ist eine Frage, in der Moral zum Kriterium wird. Und da wird es mit der "moralischen Indifferenz" schon deutlich schwieriger. Ich würde sogar sagen: Es gibt bei diesen Fragen keine einzige, die "moralisch bis ins Letzte indifferent" wäre, nur solche, bei denen die Moral eine wirklich arg untergeordnete Bedeutung hat. Aber solche Fragen moralisch indifferent behandeln zu wollen, ist selbst eine Handlung, die ethisch (s.o., also in der Theorie der Moral) hochrelevant ist - und zwar als Verweigerung, sich überhaupt daran orientieren zu wollen, daß etwas geboten sein könnte.
Es gab weiter oben die Frage, ob man jemand, der seine Familie rächen will, überhaupt als "gut" bezeichnen könnte. Ich würde sagen: Aber sicher besteht diese Möglichkeit. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, inwieweit es für heutige Kulturen noch zutrifft, aber historisch hatten gar nicht wenige Kulturen eine Rachtradition, die Maßstäbe dafür angegeben hat, wie der Verlust von Angehörigen zu rächen ist, und sich daran nicht zu halten, ist dann allgemein als tadelnswertes Verhalten betrachtet worden. Wer "gut" sein wollte, mußte seine Familie rächen. In der Kultur, in der ich aufgewachsen bin, gelten andere Maßstäbe, und innerhalb dieser Maßstäbe ist das Töten eines Menschen aus welchem Grund auch immer eine höchst zweifelhafte Angelegenheit. In jedem Fall aber gibt es keine "moralische Indifferenz" beim Töten eines Menschen: Es kann böse sein (als Regelfall) oder trotz aller Bedenken geboten (als Ausnahme) und "gut" nur als Übernahme der kulturinternen Betrachtung anderer Kulturen. Aber es gibt für die Praxis keine "Grauzone".
Wenn nun jemand sagt, daß es eine Grauzone gäbe, in der er "moralisch indifferent" töten könnte, läßt sich aus meiner kulturellen Prägung heraus sagen: Derjenige handelt möglicherweise nicht einmal im Efekt "böse" (etwa, wenn er Leuten hilft, die sich selbst umbringen wollen, das schmerzloser zu tun, als es sonst möglich wäre), aber er handelt moralisch falsch, denn er nimmt an, es gäbe keine Regeln, an denen auch er sich zu orientieren hätte. Das "Böse" seines Verhaltens bestünde eben darin, gültige Verhaltensmaßstäbe nicht für sich gelten lassen zu wollen.
Soviel zu einer Ethik, die sich an Intentionen orientiert. Es gibt daneben auch andere Konzepte, etwa ethische Modelle, die sich an den Folgen einer Handlung orientieren. Die Sachlage verschiebt sich dann etwas, aber gar nicht so sehr, wie man im ersten Moment denken könnte - weil es neben direkten Folgen immer auch sekundäre und weitere Folgen gibt. Am Ende kommt man auch da wieder dazu, daß jede Entscheidung eine moralische Wertigkeit hat, sie nur in vielen Fällen ziemlich unbedeutend ist. Das ist der Bereich, in dem "Pragmatismus" seinen Raum hat. Allerdings: Handlungen, bei denen die moralische Wertigkeit nicht vernachlässigbar ist, "pragmatisch" lösen zu wollen, ist selbst schon wieder moralisch unangemessen, oder anders gesagt: "böse".
In diesem Sinne würde ich dazu kommen, daß man durchaus pragmatisch entscheiden kann, als Rollenspieler Charaktere zu spielen, die ihr Handeln an keiner Ethik ausrichten. Denn es macht, soweit ich erkennen kann, keinen bedeutsamen Unterschied, ob man einen moralischen oder einen unmoralischen Charakter spielt - unter der Annahme "üblicher Rahmenbedingungen" jedenfalls.
Also etwa, daß man mit Leuten zusammenspielt, die ihre ethische Orientierung schon haben und sie nicht vom Rollenspiel beeinflussen lassen. Gedankenexperiment zur Verdeutlichung: Wenn jemand in der Runde ist, bei dem das nicht der Fall ist, kann die Entscheidung nicht mehr pragmatisch getroffen werden, sondern muß mit einbeziehen, daß die Art, wie man den Charakter spielt, einen Einfluß auf das Verhalten eines Mitspielers hat. Und ein Grenzfall könnte dann eintreten, wenn ein Mitspieler sich von der Art, wie man die Ausrichtung des Charakters spielt, massiv gestört wird: auch dann ist die Frage, ob man den Charakter "verbiegen" oder zu einem anderen Charakter wechseln sollte, unter anderem eine moralische Frage.
Aber das Verhalten der (fiktiven) Charaktere in ihrer (ebenso fiktiven) Umwelt als "pragmatisch" zu bezeichnen, wenn sie töten, ist nach dem, was ich eben skizziert habe, nicht korrekt möglich (es sei denn, man spielt Tiere oder Aliens oder bewußt in einer Kultur, die das Töten von Menschen unter bestimmten Umständen als "angemessene Handlungsweise" betrachtet). Denn Töten ist (abgesehen von diesen Fällen) immer eine Handlung, die wesentlich moralische Aspekte hat. In dem Moment, wo jemand glaubt, aus pragmatischen Gründen töten zu können, handelt er schon moralisch unangemessen. Der Fehler liegt in dem Fall darin, die moralischen Aspekte der Handlung als "vernachlässigbar" einzuordnen - was etwas ist, das man nicht tun soll, wenn sie es halt nicht sind.