Autor Thema: Mittelalterbild  (Gelesen 13126 mal)

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Seth

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #50 am: 16.08.2011 | 20:17 »
Du hast nie das lange 19. Jahrhundert gemacht? Nie französische/russische Revolution? Nie Imperialismus/Kolonialismus? Auch bei dir im Geschichtsunterricht ab der Mittelstufe nur noch "Nazis uber alles"? Erzähl.

Ging es hier nicht um Mittelalter? Und ja, der Fokus lag ziemlich eindeutig auf dem Dritten Reich. Bin ich jetzt ein Lügner?


Am Ende steckt da sogar ein großer Plan dahinter... man will den Schülern v.a. die Teile der Geschichte nahebringen, die sich prägend auch auf ihr eigenes Leben auswirken. Aber hahaha... dabei weiß doch jeder, dass man in der Schule nur völlig unsinniges Faktenwissen lernt, bei dem immer sofort klar ist, wofür mans braucht. Und wer nicht weiß, dass die Ritter keine Kanonen hatten (oder doch.. oder wann das Mittelalter überhaupt war), der bekommt auch keinen Arbeitsplatz bzw. darf später mal nicht Chef werden. Soistdas.

Genau, alles vor der Französischen Revolution ist so gut wie irrelevant für das heutige Leben. Was interessiert uns schon Vorgestern? Die waren doch eh alle ungebildet und dumm. Im Gegensatz zu uns. Wir sind ja aufgeklärt.

Offline Grey

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #51 am: 16.08.2011 | 20:20 »
Das es früher mal so gewesen sein mag, bestreite ich nicht. Seit Mitte der 90er sieht das zumindest in NRW anders aus.
Dann nimm du bitte den "Unsinn" zurück. Hat man dir in Geschichte nicht beigebracht, daß man früher in Geschichte nur das Dritte Reich durchgenommen hat? ;)

Ernsthaft, ich kann diese Erfahrung auch nur bestätigen: Baujahr 1972, Abi-Jahrgang 1991, und wir hatten in Geschichte das Dritte Reich zweimal, während das Mittelalter irgendwo unter den Tisch gefallen ist. Hätte ich mich nicht damals schon hobby-mäßig nebenher damit befaßt, ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt wüßte, daß es ein Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation gegeben hat. In Geschichte hätte ich es jedenfalls nicht gelernt.

Noch viel mehr als in Geschichte hatten wir das Dritte Reich in Deutsch. In Reli kam es auch dran. Und als es sogar in Mathe(!) durchgenommen wurde, habe ich innerlich den Rest der Stunde damit verbracht, die Stirn auf den Tisch zu hämmern.
Ich werd' euch lehren, ehrbaren Kaufleuten die Zitrusfrucht zu gurgeln!
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Lust auf ein gutes Buch oder ein packendes Rollenspiel? Schaut mal rein! ;)

Offline K3rb3r0s

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #52 am: 16.08.2011 | 20:47 »
Gerade die ersten sollten das nicht tun, denn dann läuft es dem eigentlichen Sinn und Zweck des "Reenactment" zuwider. Was soll das "re" in dem Wort, wenn man sich nicht an historische Vorlagen hält?  ;) Das nennt man dann GroMi (Grob-Mittelalter) oder eben LARP.

Da bin ich ganz meiner deiner Meinung.

Sie (also die Reenactor) tun es aber leider Trotzdem zu einem sehr großen Teil.  :-\
„Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.“

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #53 am: 16.08.2011 | 21:00 »
Um mal ein anderes Bundesland als NRW reinzubringen:
RLP: Baujahr 1971. Abi 1990.
Ich kann mich noch relativ genau erinnern, was wir in der Mittelstufe und später im LK in Geschichte durchgenommen haben (Ja, ich war einer der verlachten und verhassten Streberschüler gewesen):
Zuerst hatten wir die Antike mit den Schwerpunkten Griechenland und Rom. Danach kam das Mittelalter mit samt Investiturstreit (Gang nach Canossa usw.) und Unterschiede zwischen der deutschen und der französischen Lehenwesens (Ritter waren im HrRdN nur direkt ihrem Lehensherr zur Treue verpflichtet, während in Frankreich alle Ritter gleichzeitig dem König zur Treue verpflichtet waren). Danach kam die französische Revolution, Imperalismus und die Einheitsbewegung in Deutschland (Bismarck! Ganz wichtig!!1!). Danach war Weimar sehr wichtig und dann noch das 3. Reich ("Machtergreifung" und die Folgen für die Juden) mit relativ wenig 2. Weltkrieg.
Im LK kam dann wieder die Antike (Studienreise war Austauschprogramm mit einer griechischen Schule). Dann war die französische Revolution ganz wichtig. Dann natürlich wieder die Einheitsbewegung in Deutschland und wie es dann zur Einheit kam. Danach begannen wir wieder mit Weimar und das war es dann.  
Das Dritte Reich und der Weltkrieg war noch in Religion ein Thema (Unser Relilehrer hatte einen Sympathisanten der weißen Rose dazu gebracht, mal bei uns vorbeizuschauen). In Deutsch war Brecht ein Thema. Das dritte Reich und der 2. Weltkrieg dafür nicht. Dafür kenne ich Reich Ranicki aus der Gruppe 47 und war mit dem Thema Mittelhochdeutsch im mündlichen Abitur. In Sozialkunde kam überhaupt kein 3. Reich vor.
Also erstens, ja Mittelalter war ein relativ wichtiges Thema in Geschichte gewesen und zweitens nein das dritte Reich war bei uns nicht im Mindesten alles beherrschendes Thema.
Ich bin viel lieber suess als ich kein Esel sein will...
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Nicht Sieg sollte der Zweck der Diskussion sein, sondern
Gewinn.

Joseph Joubert (1754 - 1824), französischer Moralist

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #54 am: 16.08.2011 | 21:24 »
Ich kann jetzt nur für NRW sprechen, von daher mögen hier vielleicht auch andere Erfahrungen existieren.

Kernlehrplan Geschichte - Kompetenzerwartungen und zentrale Inhalte in den Jahrgangsstufen 7 bis 9
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Und wo ist da das MA?
 

Offline Bad Horse

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #55 am: 16.08.2011 | 21:32 »
Ich hab die ganze "Hat das Wissen über Geschichte denn überhaupt noch Relevanz heutzutage"-Diskussion abgetrennt und in die Speaker´s Corner verschoben.
Zitat von: William Butler Yeats, The Second Coming
The best lack all conviction, while the worst are full of passionate intensity.

Korrekter Imperativ bei starken Verben: Lies! Nimm! Gib! Tritt! Stirb!

Ein Pao ist eine nachbarschaftsgroße Arztdose, die explodiert, wenn man darauf tanzt. Und: Hast du einen Kraftsnack rückwärts geraucht?

Offline Auribiel

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #56 am: 16.08.2011 | 22:15 »
@6:

RLP, Baujahr 1977, Mittelalter kam so um die 8. Klasse dran, danach ging's erstmal strebsam weiter bis zum zweiten Weltkrieg.
Dann LK Geschichte: Da wurde zwar nochmal alles aufgerollt vom alten Ägypten bis zum Mauerfall, aber da kam das Mittelalter auch sehr kurz weg. UND: Herrschaftssysteme (in Deutsch dann noch Mittelhochdeutsch und Dichtkunst im Mittelalter). Aber von Schusswaffen hat uns da keiner was erzählt. *schimpf*

Von daher: Prinz Eisenherz (nicht der neue Film aus den 90ern!), Ivanhoe der schwarze Ritter, Robin Hood - Konig der Vagabunden, etc. ;)

Und ich war ganz baff als Kid, dass die Musketiere mit den Schusswaffen rumrennen durften, wo sie doch so schicke Säbel Degen hatten! :D
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Offline Stonewall

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #57 am: 16.08.2011 | 22:19 »
Das mit der Vollplatte ist tatsächlich falsch, wie Samael schon bemerkte. Ansonsten ist es aber goldrichtig! Vor allem, weil du "klassisch" meinst. Dieser Zeitraum ist die Blütezeit, in der das mit mit dem Rittertum entwickelt, propagiert, erträumt wurde. Die allerwichtigsten Quellen zur Ritteridee stammen aus dieser Zeit, die großen Feste, auf denen diese Ideen aufkamen, fallen in diese Zeit nebst den wichtigsten Kreuzzügen. So rein kunsthistorisch, oder besser gesagt literarisch (und auch philosophisch) ist das die Klassik des Mittelalters. Als die dann später tatsächlich mit Vollplatte auf Turnieren rumgeeiert sind, ging's gar nicht mehr so sehr um Rittertum, sondern nur noch um Geld.

Um zum Ausgangsthema zurückzukehren: Für Rollenspielzwecke ist mir der Götz als rüstungtragender Burgbewohner ritterhaft genug.

"Klassisch" impliziert doch auch ein "nachklassisches" Rittertum? Die ganze Zeit liegt vor meinem fachlichen Schwerpunkt, aber ich bin skeptisch, was die reinliche zeitliche Abgrenzung des "idealen Rittertums" angeht. War das nicht eigentlich eine Leitidee mit zivilisatorischem Impetus, der die realen Umstände nicht unbedingt so recht entsprachen? Als Richard Löwenherz Herzog Leopolds Banner von den Mauern Akkons riß, gings ihm wohl auch um den Anspruch auf die Beute. Andererseits haben die Ideale ja auch bis in die Spätausläufer hinein weitergewirkt (Maximilian I. et al.).

Offline Skele-Surtur

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #58 am: 16.08.2011 | 22:20 »
Ich hab die ganze "Hat das Wissen über Geschichte denn überhaupt noch Relevanz heutzutage"-Diskussion abgetrennt und in die Speaker´s Corner verschoben.
Und da isse dicht gemacht worden. Schade eigentlich, ich hätte gerne noch was dazu gesagt.


Nun gut. Ich bin ja schon seit jeher sehr interessiert an Geschichte gewesen und hab mein Bild vom Mittelalter im Jugendalter über die für Kinder und Jugendliche konzipierte populärwissenschaftliche Literatur gebildet und informiere mich inzwischen primär übers I-Net weiter. Nachdem "Mittelalter" aber einen Zeitraum von rund 900 Jahren abdeckt, eine Zeit, in der die Menschen weltweit z.T. enorme gesellschaftliche Entwicklungen durchgemacht haben, ist mein Bild vom Mittelalter bestenfalls ambivalent und ziemlich uneinheitlich. Genau wie das Mittelalter.

In der Schule kann ich mich nicht daran erinnern, dass das Mittelalter groß durchgenommen worden wäre.
« Letzte Änderung: 18.08.2011 | 16:32 von Surtur »
Doomstone ist die Einheit in der schlechte Rollenspiele gemessen werden.

Korrigiert meine Rechtschreibfehler!

Seth

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #59 am: 16.08.2011 | 23:35 »
Ich habe mein Ritterbild aus den Werken der Blütezeit des höfischen Romans. Mein altfranzösisch ist allerdings nicht so prickelnd, deshalb habe ich mich auf die mittelhochdeutschen Werke beschränkt. Die großen Ritterromane eben von Wolfram, Gottfried (meine Lieblinge), Hartmann, Heinrich von Veldeke, bis zum Stricker usw.

 :d (zufällig neben Musik auch noch Mediävistik studiert? ;) - ich kann "Der Rote Ritter" von Adolf Muschg in dem Zusammenhang empfehlen, falls du den nicht eh schon kennst)

Mein "Mittelalterbild" wurde ebenfalls dadurch und früher durch die hier auch erwähnte Populärkultur gebildet. Gerade im Rollenspielbereich habe ich ohnehin nichts gegen ein romantisiertes Mittelalter.

Offline aminte

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #60 am: 16.08.2011 | 23:52 »
Ging es hier nicht um Mittelalter? Und ja, der Fokus lag ziemlich eindeutig auf dem Dritten Reich. Bin ich jetzt ein Lügner?
Nein. Mir ging es um die These, dass an deutschen Schulen ab der Mittelstufe Im Geschichtsunterricht ausschließlich gehitlert wird. Und die halte ich für Unsinn. Genau das hab ich ja auch geschrieben. Da regt man sich einmal auf, schon regen sich allen andern auf. Verdammt.  ;)

Und wo ist da das MA?
Wenn man dem Link folgt, kann man mit ein wenig Mühe erkennen, dass in den Jahrgangsstufen 5&6 das Thema Mittelalter behandelt wird.

4.1 Kompetenzerwartungen und zentrale Inhalte in den Jahrgangsstufen 5/6
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Seth

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #61 am: 17.08.2011 | 00:01 »
Nein. Mir ging es um die These, dass an deutschen Schulen ab der Mittelstufe Im Geschichtsunterricht ausschließlich gehitlert wird. Und die halte ich für Unsinn. Genau das hab ich ja auch geschrieben. Da regt man sich einmal auf, schon regen sich allen andern auf. Verdammt.  ;)

Ja, stimmt schon ;) - der Eindruck scheint sich allerdings bei einigen verhärtet zu haben, dass es etwas zu viel des Guten war. Wenn es auch wieder andere geben mag, die sagen würden "davon kann es nie zu viel geben". Ich glaube wir können uns aber darauf einigen, dass trotz alledem recht wenig Mittelalter oder generell "Zeit vor der Französischen Renaissance" behandelt wird. Warum das so ist und ob das gut ist, hat ja bereits zu einem anderen Thema geführt, das etwas in die Hose gegangen ist.

Offline Lichtschwerttänzer

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #62 am: 17.08.2011 | 00:05 »
Was sind das für Zeiten, wo jemand bei Wikipedia nachschlagen muss, um zu erfahren, dass es zu Zeiten der Ritter noch keine Kanonen gab?

Pisa


Zitat
Hat man euch nicht die Geschichte vom Reichsritter Götz von Berlichingen erzählt, dem im Gefecht eine Kanonenkugel die Hand zerschmetter hat?
Nein, dafür gab es den Funken, Scott und Rittersagen
Zitat
Hat die "deutsche Jugend" heutzutage ihr Mittelalterbild wirklich aus amerikanischen Fantasy-Romanen und Hollywood-Schinken?
im Schwarzer Prinz mit Flynn ist ne Kanone zu sehen
“Uh, hey Bob?”
“What Steve?”
“Do you feel like we’ve forgotten anything?”
Sigh. “No Steve. I have my sword and my bow, and my arrows and my cloak and this hobbit here. What could I have forgotten?”
“I don’t know, like, all of our stuff? Like the tent, the bedroll, my shovel, your pot, our cups, the food, our water, your dice, my basket, that net, our spare nails and arrowheads, Jim’s pick, my shovel, the tent-pegs…”
“Crap.”

Offline Stonewall

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #63 am: 17.08.2011 | 00:33 »
Nein. Mir ging es um die These, dass an deutschen Schulen ab der Mittelstufe Im Geschichtsunterricht ausschließlich gehitlert wird. Und die halte ich für Unsinn. Genau das hab ich ja auch geschrieben. Da regt man sich einmal auf, schon regen sich allen andern auf. Verdammt.  ;)

Natürlich. Aber Übertreibung ist ein anerkanntes Stilmittel.  ;)

Und das (IMHO nachvollziehbare) Übergewicht der Neuen Geschichte im Unterricht scheint nach den allgemeinen Aussagen hier doch weithin üblich zu sein.

Wobei das Spezialgebiet, welches das Thema "Ritter mit Kanonen" betrifft, nämlich Militärgeschichte einschließlich Geschichte der Waffentechnik, in Deutschland mWn sowieso auch im akademischen Bereich lange ein eher randständiges Gebiet war. Das ändert sich AFAIK seit den 1990ern, aber bis neue Forschungstrends und Erkenntnisse (falls überhaupt) in den Schulbüchern und Lehrplänen ankommen...

Offline Zauberelefant

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #64 am: 17.08.2011 | 00:57 »
Aber jeder weiß doch: In der Schule erzählt man den Kindern Märchen, bzw. Realität light. Das zieht sich von den Naturwissenschaften in die Human- und Sozialwissenschaften durch.
Gelehrt wird eben, was man später verwenden kann, Mathe, Lesen und Schreiben, eine Fremdsprache sowie (prinzipiell) eine Allgemeinbildung, die jeden möglichen Werdegang vorbereiten soll.
Dass das Mittelalter (das ja im übrigen alles andere als "dunkel", "statisch" oder, verglichen mit der Moderne "grausam" war) dann eher unter bestimmten Aspekten wie "damals wars so und heute ist es besser" kurz abklamüsert wird, ebenso wie die Wurzeln der modernen Zivilisationen oder auch nur außereuropäische Geschichte unter den Tisch fallen, weil Geschichte eben höchstens zwei Wochenstunden lang für maximal 9 Jahre gelehrt wird (überschlagen keine 800 Schulstunden, mithin 600 Zeitstunden - ohne Krankheit, Wiederholung, Ausfall!) - Grundausbildung beim Bund dauert da länger, und niemand würde einen Gefreiten nach GA einen professionellen Soldaten nennen. Geschweige denn die Absolventen unserer Schulen Geschichtsexperten.
Also ja, angesichts der Erfordernisse des Schulsystems ist MA mal sowas von irrelevant. Aber die permanente Wiederholung des Dritten Reiches (3x bis Abi 2001) unter immer denselben Gesichtspunkten war halt auch redundant. Da wäre mal Kritische Theorie angebracht gewesen, oder Weltwirtschaftskrise, oder Kalter Krieg, oder Afrika nach der "Entkolonialisierung" oder sowas. Nur mal fürs 20. Jahrhundert. Es war ja nicht immer nur der Hitler, aber ich habe rückblickend auch nie den Eindruck gehabt, daß die Realität des Geschichtsunterrichts ein zusammenhängendes Geschichtsbild ermöglicht.
Und was hat das mit dem Thema zu tun? Der Geschichtsunterricht hat für die Freizeitgestaltung Rollenspiel wenig gebracht. Bei einem mittelalterlichen Setting spiele ich nicht korrekt, sondern im "kulturellen Konsens" - Ritter reiten, tragen Metall, haben Lanzen und dienen dem König. Wer das Hobby Mittelalter mit Rollenspiel verknüpfen kann, darf das gerne machen, aber ich hätte mangels solidem Wissen dadurch nicht mehr Spaß.
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Mike

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #65 am: 17.08.2011 | 01:36 »
Das ist schon richtig. Ich hatte in der Schule den Eindruck, dass viel im Geschichtsunterricht auch vom Lehrer ab hing. Und die meisten Lehrer fanden das 3. Reich extrem wichtig, da sie fürchteten wenn wir nicht genügend darüber wüssten, würden wir auf ähnliche Ideen kommen. Dabei vergessen sie meiner Meinung nach, dass man ebenso etwas darüber wissen sollte, wie es zur Aufklärung gekommen ist und welche Zustände zuvor herrschten. Gesellschaften können in diese unmoralischen Zustände viel leichter zurück fallen als man gemeinhin annimmt.

Offline Stonewall

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #66 am: 17.08.2011 | 01:37 »
Es war ja nicht immer nur der Hitler, aber ich habe rückblickend auch nie den Eindruck gehabt, daß die Realität des Geschichtsunterrichts ein zusammenhängendes Geschichtsbild ermöglicht.

Das ist einer meiner Kritikpunkte am Geschichtsunterricht, wie ich ihn erlebt habe: Durch die Konzentration auf ausgewählte Themen entsteht IMHO kaum Verständnis der "langen Geschichte". Nach der athenischen Demokratie wird gleich Cäsar ermordet und von Augustus der Prinzipat etabliert und dann setzt auch schon die Völkerwanderung ein. Nach dem Sonnenkönig bricht sofort die Revolution aus. Die positivistische Fortschrittserzählung des 19. Jahrhunderts muß ich auch nicht unbedingt wiederhaben, und das Auswendiglernen von Krönungsdaten* und preußischen Schlachten braucht auch niemand in der Schule. Aber eine Vermittlung der großen, langen Zusammenhänge könnte doch irgendwie machbar sein.
Aber wie gesagt, begrenzte Stundenzahl, Unterrichtsausfall, unmotivierte Lehrer auf dem Wissensstand der Zeit ihres Staatsexamens, Schulbücher mit Forschungsstand von vor (bestenfalls) zehn Jahren etc... etc...

*Obwohl, meine ich, die Herrscherlisten zumindest unterbewußt die Geschichte als langen Ablauf verdeutlicht und eine mögliche Strukturierung geboten haben. Es galt in Frankreich noch vor nicht allzu langer Zeit auch in erzrepublikanisch gesinnten Kreisen als wertvolles Bildungsgut, die französischen Könige von Hugues Capet bis Louis Philippe zu kennen. Aber da kommen wir auch wieder in den Bereich der Geschichte als gemeinsamer, identitätsstiftender nationaler Erzählung, was heute wohl in Deutschland (aber nicht nur hier) einigermaßen anrüchig scheint... (auch nicht völlig ohne Grund)
« Letzte Änderung: 17.08.2011 | 01:57 von Stonewall »

LöwenHerz

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #67 am: 17.08.2011 | 07:46 »
Nein. Mir ging es um die These, dass an deutschen Schulen ab der Mittelstufe Im Geschichtsunterricht ausschließlich gehitlert wird. Und die halte ich für Unsinn. Genau das hab ich ja auch geschrieben. Da regt man sich einmal auf, schon regen sich allen andern auf. Verdammt.  ;)

Habe ich auch nicht behauptet ;)
Nur, dass es bei uns einen deutlich spürbaren Schwerpunkt hatte. Negativ sehe ich das gar nicht, da wir das Thema sehr differenziert und vielseitig betrachtet haben (u.A. wg 4 unterschiedlichen Geschichtslehrern in dieser Zeit) und es mir Spaß gemacht hat, jedes Jahr wieder sehr gute Noten nach Hause zu bringen. Einmal richtig aufgepasst und der Rest war... äh...  Geschichte!  ~;D

Achja: BJ '78, Hamburger Jung, Abi '98 (jaja, mit 7 eingeschult  ;D ) und ähm... was ist noch wichtig? Schuhgröße 44 1/2

Offline korknadel

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #68 am: 17.08.2011 | 08:22 »
Um zum Ausgangsthema zurückzukehren: Für Rollenspielzwecke ist mir der Götz als rüstungtragender Burgbewohner ritterhaft genug.

"Klassisch" impliziert doch auch ein "nachklassisches" Rittertum? Die ganze Zeit liegt vor meinem fachlichen Schwerpunkt, aber ich bin skeptisch, was die reinliche zeitliche Abgrenzung des "idealen Rittertums" angeht. War das nicht eigentlich eine Leitidee mit zivilisatorischem Impetus, der die realen Umstände nicht unbedingt so recht entsprachen? Als Richard Löwenherz Herzog Leopolds Banner von den Mauern Akkons riß, gings ihm wohl auch um den Anspruch auf die Beute. Andererseits haben die Ideale ja auch bis in die Spätausläufer hinein weitergewirkt (Maximilian I. et al.).

Deshalb schrieb ich ja auch, dass das Bild des Ritters auch nie viel mehr als ein bloßes Bild war. Sicher hat man sich bei der Schaffung dieses Bildes auch bei Realitäten wie den (für damalige Verhältnisse) prächtigen Hoffesten und Jagdmoden Inspiration geholt, aber vor allem war das Rittertum ein Konstrukt des höfischen Romans, genauso wie die Minne ein Konstrukt des Minnesangs war (wie es heute Millionäre gibt, die noch immer den Blues singen, so dürften wohl die allermeisten "Minnesänger" in der Praxis nicht viel von hoher Minne gehalten haben, aber dem Publikum, das in der Praxis bestimmt auch nicht sehr hoch geminnt war, hat das halt irre gefallen).

Natürlich gab es auch nach der klassischen Zeit Ritter. Aber die Werke aus der nachklassischen Zeit sind meist nur noch mehr oder weniger reine Abenteuerromane und haben das Bild nicht mehr geändert, und vor allem haben sie dem Ritter keine Arkebuse in die Hand gedrückt, auch wenn es die da schon lange gab.

:d (zufällig neben Musik auch noch Mediävistik studiert? ;)

Jepp!  :d
Beziehungsweise davor.

- ich kann "Der Rote Ritter" von Adolf Muschg in dem Zusammenhang empfehlen, falls du den nicht eh schon kennst)

Ein unglaublich tolles Buch!!
Allerdings ist das "Original", also der Wolframsche Parzival nicht minder toll.
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Re: Mittelalterbild
« Antwort #69 am: 17.08.2011 | 08:26 »
Ich mag Kanonen, Gonnen, Hakenbüchsen und Mittelalter. Das schliesst sich alles gemeinsam nicht aus...
in dem schulischen Unterricht hat sich trotzdem irgendwann nur noch alles im Kreis von Weimarer Republik zu drittem Reich gedreht. Darum bin ich nicht böse wenn andere da nix drüber wissen... mein Gott ich bin nichtmal böse wenn Leute nix über den zweiten Weltkrieg wissen, weil auch wenn bei uns tausendmal plattgeredet wurde wie die Nazis an die Macht gekommen sind und das sie (scheinbar in der Schulversion ganz alleine) Polen überfallen haben so gab's info über Frankreich Feldzug nur im Nebensatz zwischen der kurzen Info, dass wohl Hitler sich auch nochmal mit Stalin gehauen hat bevor das Schuljahr zu ende war un es wieder Zeit wurde für die Weimarer Republik.  :-X

Offline korknadel

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #70 am: 17.08.2011 | 09:02 »
Ich mag Kanonen, Gonnen, Hakenbüchsen und Mittelalter. Das schliesst sich alles gemeinsam nicht aus...

Das ist vollkommen richtig. Allerdings ist Mittelalterbild nicht gleich Ritterbild. Der klassische Ritter, von dem auch noch der sinnreiche Junker aus der Mancha geschwärmt hat (und den es so nicht so ganz wirklich gegeben hat), rennt halt mit Schwert, Schild und Lanze rum.

Den Götz noch mit dem Mittelalterbild zusammenzubringen, fällt mir ungeheuer schwer, weil in fast allen Bereichen (Wirtschaft, Stadtkultur und vor allem sämtlichen Facetten der Kunst) da bereits schon die Renaissance aber so was von im Gange war.  Mal abgesehen davon, dass die erzkonservativen Deutschen auch noch um 1500 der Meinung waren, man müsste gotische Kirchen bauen. Aber vor allem in Italien ist das 15. Jahrhundert halt schon so demaßen nachmittelalterlich, dass ich den Götz da eigentlich nicht mehr reinkriege.
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Offline Zauberelefant

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #71 am: 17.08.2011 | 09:29 »
Aber der Götz ist doch auch gar nicht als so ein klassischer Ritter angelegt. Das ist doch kein deutscher Don Quichote, der ist halt bloß konservativ und standesbewußt.
Und das Raubrittertum als Symptom eines Bedeutungsverfalls des Rittertums ist ja nur ein Spiegel des Götz, so wie in Michael Kohlhas der Junker von Zaschnitz einer wäre (der nebenbei ja auch fast Zeitgenosse des Götz ist).
Der Götz will zurück zur "guten alten Zeit", weil er die Alternative fürchtet - Aufkommen der Massenheere, endgültiger Niedergang des Ritteradels, etc pp. Die Umformung des Landadels zum preußischen Offizierskorps wird ja noch zweieinhalb Jahrhunderte dauern...
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Samael

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #72 am: 17.08.2011 | 09:34 »
Mal abgesehen davon, dass die erzkonservativen Deutschen auch noch um 1500 der Meinung waren, man müsste gotische Kirchen bauen.

Warum auch nicht? Sind doch die schönsten.

Offline korknadel

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #73 am: 17.08.2011 | 09:50 »
Warum auch nicht?

Weil es schon genug gab.

Sind doch die schönsten.

Nicht die Spätgotischen. Oder zumindest in den seltensten Fällen.

Und: Geschmackssache.
Das mit dem Konservatismus war aber nicht nur eine deutsche Sache. Auch das kulturell abartig hochstehende Venedig hat die Revolutionen aus Rom und Florenz nur sehr zögerlich übernommen. Einige der berühmtesten und gelungensten gotischen Palazzi stammen aus der Zeit, als man in Italien eigentlich gar keine Gotik mehr gebaut hat (allerdings zeigen diese spätgotischen Meisterwerke, wie zum Beispiel die Ca' Foscari schon ganz überdeutliche Renaissance-Einflüsse). Gotische Kirchen wurden aber meines Wissens nach 1470 auch dort nicht mehr gebaut (allerdings hat man zuvor begonnene Kirchen auch danach noch eine Weile gotisch fertig gebaut).
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Offline Xemides

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Re: Mittelalterbild
« Antwort #74 am: 17.08.2011 | 10:04 »
Pisa

Wie gesagt, mein Schulbesuch auf einer Realschule war lange vor Pisa, und um mich geht es dabei.
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