Schönes Thema, finde ich auch!
Cthulhu wäre mir auch als erstes eingefallen - die Versatzstücke sind so abgegriffen, dass ich schon bei der geheimnisvollen Erbschaft grinsen müsste und spätestens bei dem Wort "unheilig" einen Lachkrampf bekäme.
WoD, ja, gut, die dysteren Seelenqualen ur-uralter Maschinenbaustudenten aus Bottrop haben schon was Komisches. Ich würde aber so ein Setting auch sofort hysterisch überdrehen und eine Anne-Rice-Parodie draus machen, dann stelle ich es mir cool vor. Wenn man sagt: Ja. ich will jetzt die ganze Dröhnung aus Spitzenkragen und Ledermänteln und schwülen Homobällen in unterirdischen Ballsälen aus Kristall mit halbnackten Blutsklaven und Jahrhunderte umspannenden Eifersuchtsdramen und Gehstöcken und Absinth und Kokain aus rubingeschwängerten Pokalen. So wird ein Spitzenschuh draus! Mit hysterisch meine ich nicht unbedingt: albern. Eher: Überzogen, aber man grinst nur innerlich. So ungefähr. Ich würde mir sehr viel Mühe geben mit meinem Spitzenkragen-Poeten-Vampir!
Alle Settings sind schrecklich, die sich furchtbar ernst nehmen und schon aus 100 m Entfernung "anspruchsvolles Rollenspiel" atmen: Engel, Dogs in the Vineyard fallen mir sofort ein, gibt aber noch 100 andere. Die einzige Ausnahme aus dieser Riege ist für mich "Polaris". Das ist super-getragen, nervt aber kein bisschen, im Gegenteil.
Offensiv alberne Settings sind mir dann manchmal wieder ZU albern (PP&P, Gamma World auch ein bisschen, ja). Wenn´s nur noch um "Höhö" geht, hat das echt was von der Sketchparade.
Aber: Korknadel hat es mit dem Spalt, durch den was kommen kann (Höhö!), sehr schön beschrieben: Ein Setting, das seine Tiefsinnigkeit nicht vor sich herträgt, signalisiert, dass es auch den Spielern erlaubt ist, einfach drauflos zu labern. Und aus dieser Freiheit, diesem "ich mach mich doch eh schon zum Horst, indem ich nur hier sitze" ergibt sich manchmal viel, viel mehr Dynamik als aus so machen "Da stecken tausend Stunden NSC-Vorbereitung drin, also geht weihevoll damit um, ihr Laffen!". Ich liebe Settings, wo das wilde Drauflosspielen unterstützt wird, ohne dass man Angst haben muss, was kaputt zu machen, sprich: aus dem Settung zu fallen, den Charakter nicht "glaubwürdig" darzustellen, "unpassend" zu sein. Denn dann ergibt sich die Spielwelt wirklich aus dem Spiel heraus. Erstens ist das witziger, zweitens ergibt es meiner Erfahrung nach aber auch die interessanteren Geschichten, weil man nicht schon von vorneherein weiß, was passiert. Ich glaube, ich finde "ernste" Settings mit viel "Tiefgang" oft einfach öde, weil nach der Lektüre der Quellenbücher schon klar ist, was passieren wird. Man kaspert dann eben nach, was in den Büchern steht. Aber das weiß ich doch schon!
Korkis DS-Runde neulich ist ein gutes Beispiel: Klar wars hanebüchen, aber ich kann mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal so viel in-character geredet haben. Und es war spannend!
Ich glaube, ein Teil der Retro-Welle speist sich aus diesem Gefühl: Weg von Settings, die zu viel Aufmerksamkeit ziehen und die Spieler quasi den ganzen Abend zwingen, ein kneifendes, juckendes Kostüm zu tragen. Hin zu: Wir torkeln erstmal so los und machen so lange dumme Witze, bis auf einmal doch Rollenspiel dabei entsteht. Dabei kommt dann zwar nichts Druckreifes raus, aber es ist wild und gefährlich (na ja, ein bisschen).
Ich meine, wir haben bei DS im Vorübergehen eine Ingame-Fantasy-Heftchenreihe erfunden, einen Barbaren mit Dornenkrone gehabt, der wegen der Schmerzen allen anderen wehtun wollte, aber zu doof war, die Krone abzunehmen, eine dauerbesoffene Späherin, die nur bis 1 zählen kann ("Ich hatte doch erst ein Bier!") und einen Zauberer, der "verbotenes Wissen" finden wollte und von den anderen animiert wurde, "da mal Magie draufzumachen". Als er zum Spaß zum Skelett gesagt hat: "Erhebe dich!" hat es sich aus Versehen wirklich erhoben und dann hatten die anderen Tschars Angst vor ihm. Obwohl er Kalle hieß.
Ratten wurden mit Vorliebe plattgetreten. Irgendwann wurde überlegt von dem gesammelten Gold Stiefel mit magischer Sprungkraft anzuschaffen.
Am Ende haben wir auf den Altar gepisst, um ihn zu entweihen. Und dann wurde die Statue lebendig, auf der die Späherin mit runtergelassenen Hosen saß.
Natürlich ist das unsagbar albern. Aber: Es kam spontan aus unseren Köpfen und hätten nicht diese Leute an diesem Abend zusammengesessen, wäre es nie so entstanden. Ich muss sagen, das ist mir lieber als fünfhundert Jahre ingame-Geschichte mit Recherche über die Kleiderordnung im Paris des 18. Jarhunderts oder drei Jahre Vollzeitstudium des mittelreichischen Adels. Oder: Böpp, ich bin ein trauriger Engel, bist du auch so traurig wie ich? Sei mal traurig, das steht auf deinem Charakterblatt.
Albernheit bringt alle auf ein Level und macht, dass man erstmal alle Ideen raushauen kann, um zu gucken, was sich bewährt. Und es bleibt unplanbar. Das finde ich gut. Ich könnte mir vorstellen, dass, wenn wir mit den albernen DS-Tschars weitergemacht hätten, sich irgendwann eben doch ein, zwei ernste Elemente eingeschliche hätten. Es deutete sich bereits eine hoffnungslose Liebe zwischen Barbar und Späherin an und eigentlich wollten wir den Wirt umbringen, weil wir dachten, der steckt hinter dem Rattenkult. Was, wenn wir´s gemacht und unseren Irrtum erkannt hätten? Gut, wir hätten bestimmt keine Tränen vergossen, aber ich glaube, in "albernem" Spiel entstehen durch die Spontanität immer mal wieder Freiräume für andere Inhalte.