Autor Thema: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger  (Gelesen 2964 mal)

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Offline Jiba

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[JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« am: 27.10.2011 | 10:56 »
Kaum zu glauben, dass dieser als Antwort auf den Thread http://tanelorn.net/index.php/topic,70975.0.htmlgedachte Post tatsächlich als Thema im Theoriebereich landet. Vielleicht ist das anmaßend.

Naja, zuerst mal die Formalitäten:

Technik: Spielmechanische Möglichkeit des Charaktertodes
Zu finden zum Beispiel in: fast jedem Rollenspiel, in einigen mechanisch leichter, in anderen mechanisch schwieriger zu erreichen
Ziel dieser Technik: Konsequenzenabbildung, Spannungserzeugung

Meine Ausgangsthese ist provokativ: Bei der Verwendung der Möglichkeit des Charaktertods bzw. TPKs entsteht keine Spannung.

Nun zur Argumentation: Es gibt, finde ich, hauptsächlich zwei Argumente von Befürwortern des spielmechanisch vorgerufenen Charaktertodes, TPK oder Partial PK für den Tod der Charakter bei verlorenen Kämpfen:

1. Es ist konsequent, denn Kämpfe sind auch in der Realität tödlich und das soll das Spiel transportieren.
Das stimmt schon, sind sie... ich möchte nicht in einem Krieg kämpfen müssen, weil ich zuviel Angst um mein Leben hätte. Andererseits: Bestimmte Krankheiten sind ebenso tödlich, aber wann erkranken SCs schonmal an ihnen und sterben dann. Bestimmte Schlangen oder Spinnen sind tödlich, aber wann werden SCs schon mal von ihnen gebissen. Ein gebohnerter Boden oder ein Treppenhaus ist tödlich, aber wann kommt ein SC schonmal um, wenn er sich da flach legt. Nahrungs- und Alkoholvergiftung ist tödlich. Autofahren ist tödlich. Flugzeugfliegen auch. Okay, bei all dem dürfte die Wahrscheinlichkeit, zu sterben, geringer sein als in einem Kampf (Ist sie das? Hat das jemand nachgeprüft?)... trotzdem, vorhanden ist sie immer. Trotzdem kenne ich kaum jemanden, der Krankheiten konsequent auswürfelt oder Bergsteigen oder Flugzeugreisen. Wäre auch übertrieben, oder? Immerhin müssten die Spieler dann ja ständig aufpassen, dass ihre Charaktere nicht draufgehen. Also haben gewissermaßen Kämpfe das Privileg, tödlich zu sein. Das Kämpfe aber nicht tödlich dargestellt werden müssen, zeigt uns die Unterhaltungsindustrie: Ein Held überlebt einen Film in der Regel bis zum Schluss. Eine Heldengruppe geht in einer Serie auch nicht auf einmal drauf, sondern in kleinen Portionen. Bösewichter sterben hingegen viel inflationärer. Na gut, es gibt sicherlich Ausnahmen, aber die sind eher experimenteller Natur.

Das hat dramaturgische Gründe. Wenn dem Zuschauer die Bezugsperson genommen wird, der Protagonist, dann kann er der Geschichte nicht mehr folgen, oder nur sehr schwer. Selbst wenn es danach weitergeht, vielleicht mit Neubesetzung: Viele Leute werden ausgestiegen sein, weil ihnen ihre Bezugspersonen zur erzählten Welt fehlen. Das kann man trotzig nennen oder konsequent. Bei Computerspielen ist es auf den ersten Blick umgekehrt, aber auch nur scheinbar: Der Avatar des Spielers kann potentiell sterben... und dann lädt der Spieler einfach wieder. Dieses Sicherheitsnetz ist wahrscheinlich sogar wichtig um den Spielspaß zu gewährleisten. Aber tödliche Kämpfe erhöhen trotzdem die Spannung in diesen Spielen... womit wir bei Punkt 2 sind.

2. Tödliche Kämpfe mit der Option des TPK machen das Spiel viel spannender, weil etwas auf dem Spiel steht.
Machen sie das wirklich? Nochmal zurück zum Videospiel. Mein Charakter kann sterben. Und das erhöht die Spannung. Warum? Jedenfalls nicht, weil der Tod so konsequent und realistisch ist, denn in Kämpfen stirbt man. Das macht die Sache glaubwürdiger, aber nicht spannender. Wir empfinden möglichen Tod nur dann als spannend, wenn die Abwendung dieses Todes unser spielerisches Geschick fordert: Es steht fürs Spiel selbst etwas auf dem Spiel: Bonusgegenstände, das Glücken der Mission, das Ankommen auf der anderen Seite dieses Abgrunds, die Fortsetzung der Story. Und wir haben es in der Hand! Wir werden gefordert! Aber ist das Spannung: Vielleicht, aber nicht auf der Ebene einer narrativen Spannung, was Hitchcock ja Suspense nennt. Es kann Anspannung (im positiven Sinne) oder Druck (im negativen Sinne) aufkommen, wenn etwas auf dem Spiel steht. Das große ABER ist stets dabei: Wenn wir es nicht schaffen, können wir laden und es erneut probieren. Die Spannung nimmt nach dem 7. Mal Spielen vielleicht etwas ab und wird immer mehr zu Druck, aber letztlich ist die Unsicherheit, ob wir es schaffen oder nicht ein ständiger Begleiter. Und das Sicherheitsnetz sorgt dafür, dass wir auch ein gutes Gefühl dabei haben können, wenn wir scheitern. Wer mir nicht glaubt: Wie sehr nervt es in älteren Spielen kurz vor dem Ende zu sterben und dann den ganzen Level nochmal von vorne spielen zu müssen? Massiv, natürlich! Ein ausgefeiltes Sicherheitsnetz ist uns für unseren Spielspaß wichtig.

Bei narrativen Medien ist es anders herum. Hier fügen wir uns breitwillig in unsere Rolle, nichts tun zu können. Es kann unser Rezeptionsvergnügen einschränken, wenn die Handlung Entwicklungen nimmt, die uns nicht gefallen. Wir haben eben keinen Einfluss darauf. Und Hand aufs Herz: Wer hat nicht schon mal gesagt "Die Serie ist scheiße!", wenn die eigene Lieblingsfigur mitten in der Staffel ins Gras beißt? Wenn das passiert, soll er wenigstens cool sterben... und dennoch, Dramaturgie hin oder her: Es wäre schon cool gewesen, wenn Boromir bis zum Ende dabei gewesen wäre. Fan Fictions beweisen, dass da Bedürfnisse nach sowas in den Rezipienten geweckt werden.

Übertragen wir das auf's Rollenspiel: In einer Situation, in der mein Charakter oder die gesamte Gruppe unwiederbringlich vernichtet werden kann, gibt es folgende Unterschiede zur Videospiel- und Narrativ-Situation:

1. Es gibt kein Sicherheitsnetz...
2. Wir haben eine gewisse Kontrolle über die Handlung...

Das Problem daran: Wir haben nur eine Chance! Kein Laden, keine Extraleben. Hui, das ist ja mal spannend! Es steht wirklich was auf dem Spiel und mein spielerisches Geschick wird aufs Äußerste gefordert!

Falsch gedacht, würde ich sagen, denn: Wir nehmen beim Rollenspiel* entweder die Videospiel-Rezeptionshaltung an oder die Narrativ-Rezeptionshaltung ein, denke ich. Wir können Rollenspiel als Narrativ (Fall 1) begreifen oder als (verkapptes Video)-Spiel (Fall 2)**.

Für Fall 1 gilt...
Der Tod eines Charakters folgt dramaturgischen Gesichtspunkten. Wenn er stirbt soll es wenigstens cool sein. Und was cool ist und was nicht, das ist am Spieltisch immer situationsbezogene Verhandlungssache. Situationsbezogen deshalb, weil man sich im Vorfeld zwar auf Tropen einigen kann, aber nicht auf das, was in einer bestimmten Situation als cool empfunden wird oder nicht. Man empfindet das in der Situation einfach. Da gibt es keine allgemeinen Regeln, die man vorher festlegen kann.
Außerdem: Gehen wir mal davon aus, mein eigener Charakter ist mein Lieblingscharakter***, meine Identifikationsfigur mit der Spielwelt, ich identifiziere mich mit ihm, ich möchte ihn weiterhin auf dem Schirm der erspielten Welt sehen. Sterben dieses Charakters beraubt mich dieser Identifikationsfigur, da mir die Möglichkeit mit den mechanischen Möglichkeiten dieses Charakters auf die Spielwelt Einfluss zu nehmen genommen wird. Je nachdem, was in der Spielwelt und in der Handlung auf Messers Schneide steht, kann uns das sehr viel angehen, weil die Identifikation mit dem Charakter uns dazu bringt, dass uns seine Ziele auch wichtig werden. Auch auf übergeordneterer Ebene, wenn es uns mehr um die Geschichte als Ganzes geht, in der der Charakter nur ein Element ist, ist das Ableben des Charakters nicht wünschenswert, wenn wir nicht über ein Sicherheitsnetz verfügen, das uns weiter Einfluss auf die Spielwelt zugesteht - durch narrative Rechte, etc. Wäre das nicht da, dann würden wir einfach nicht mehr mitspielen, so einfach ist das. Das Spiel wäre rum für uns. Das kann klappen, aber eben am Besten bei One-Shots. Da wird der Charaktertod leicht verwunden, weil die Narration selbst auch nicht mehr lange weitergeht.

Für Fall 2 gilt...
Wir sehen den Charakter als unseren Avatar an. Er ist das Werkzeug, mit dem wir mit der Spielwelt interagieren. Wir betrachten das Spiel herausforderungsorientiert. Mein spielerisches Geschick bestimmt über Gedeih und Verderb des Charakters. In einer tödlichen Situation empfinde ich An(spannung), weil ich auf die Probe gestellt werde. Ich kann scheitern. Und wenn ich das tue, dann ist der Charakter hin. Kein Sicherheitsnetz, kein Laden. Wenn ich wirklich in Form bin, dann kann ich da was rausholen, wenn nicht, dann ist alles schnell verloren, ohne das ich eine echte Chance hatte. Die Würfelmechaniken können das Ganze sogar zu einem relativen Glücksspiel machen. Das muss nicht schlimm sein: Wenn ich das Ganze aus der Spielperspektive betrachte, dann kann mich das nicht weiter stören - ich spiele ja nur ein Spiel.

Jetzt zu meiner Behauptung: Weder in Fall 1 noch in Fall 2 wird durch die Möglichkeit des Sterbens echte Spannung im Sinne des hitchcockschen Suspense erzeugt!

Weshalb?

In Fall 1 entsteht keine Spannung, sondern Sorge im unangenehmen Sinne und auch Druck. Wenn ich diesen Charakter verliere, beraube ich mich (bzw. der SL beraubt mich) meiner Möglichkeit, Einfluss auf die Spielwelt zu nehmen und ich verliere meine Lieblingsfigur. Das dürfte keiner gerne haben, wenn er diesen Rückzug aus der Spielweltmitgestaltung nicht ohnehin anstrebt oder die Narration ohnehin endet. Oder eben, wenn es nicht seine Lieblingsfigur ist, wenn er sie nicht einmal leiden kann, aber dann wäre ihm das Ableben ja egal und deswegen sind sämtliche Voraussetzungen, Spannung zu erleben, ohnehin dahin. Es muss uns kümmern, damit wir Spannung empfinden können. Aber wenn es heißt: Der Charakter kann immer und jederzeit sterben, führt das nicht zu Spannung, sondern eben Sorge: Was, wenn mein Charakter jetzt stirbt, ich könnte nicht mehr mitspielen. Ich werde aus dem Spiel entfernt und werde nicht mehr die Möglichkeit haben, aus der Perspektive dieses Charakters auf bedeutsame Weise die Spielwelt mitzugestalten. Und wenn der Tod dann noch nicht mal cool ist (aus der eigenen Perspektive, Coolness ist keine Verhandlungssache), dann scheint mir das Ganze reichlich sinnlos, oder? Selbst wenn ich die Möglichkeit habe, alles dafür zu tun, dass der Charakter das übersteht, habe ich es nicht komplett in der Hand (Würfel, etc.). Ich sorge mich also um den Charakter, aber positiv spannend ist das nicht.
 
In Fall 2 entsteht keine Spannung, sondern Herausforderung. Ich betrachte den Charakter nicht als etwas, was wichtig genug wäre, dass es mich sorgt. Ich habe nicht genug emotional investment in ihn - er ist primär eine Spielfigur, durch die ich mein eigenes spielerisches Geschick kanalisiere. Wenn es mich nicht stört, dass er stirbt, dann ist er mir egal. Das mag hart klingen, aber ich versuche nicht hier irgendwie zu werten. Aber Fakt ist, dass mir ein Charaktertod, der mir emotional egal ist, wohl auch auf den Charakter selbst übertragen werden kann. Ein Charaktertod, der mir emotional egal ist, ist im Sinne der Dramaturgie vielleicht kein besonders guter Charaktertod, aus Spielperspektive gibt es keine guten und schlechten Tode, sondern nur Sieg oder Niederlage, Daumen hoch oder Daumen runter. Ohne Sicherheitsnetz ist die Herausforderung aber natürlich auch ein stückweit unberechenbarer, weil Zufallswürfe und Tagesform variabel sind, und das Lernen aus Fehlern für diese Spielsituation nicht stattfinden kann. Also: Einfach gesprochen ergibt sich hier keine Spannung im Sinne von Suspense, der auf dem Vorhersehbarkeit basiert, sondern nur im Sinne von Surprise, also Überraschung, was passiert. Und streng genommen wollen wir in einer herausforderungsorientierten Spielsituation ja nicht überrascht werden, sondern gefordert. Und zwar so gefordert, dass für uns Sieg und Niederlage einsichtig ist - in Videospielen nutzen wir genau diesen Vorgang, um aus unseren Fehlern zu lernen und Hindernisse dann nach dem 7. Mal doch noch erfolgreich zu meistern. So oder so: Ein Charaktertod ist ein verlorenes Spiel.

Wer in dieser Einschätzung nicht bei mir ist, wird sich vielleicht damit abfinden können, dass Sorge bzw. Herausforderung in solchen Situationen die (An)Spannung überschatten und ihr einen gewissen Geschmack geben.

Die Crux ist diese: Wenn herausforderungsorientierte Spieler argumentieren, tödliche Kämpfe machen Rollenspiel spannender, so müssen sie anerkennen, dass sie es auf der Ebene des Spiels spannender machen, nicht auf der Ebene der Rolle. Oder anders, auf der Ebene der (kooperativen) Narration, da das Ausscheiden einer Spielfigur den Spieler seiner Gestaltungsmöglichkeiten unter gleichen Voraussetzungen beraubt. Und wenn narrationsorientierte Spieler argumentieren, dass der Charakterverlust immer frustrierend ist, dann müssen sie bedenken, dass es stark auf das emotional investment des einzelnen Spielers ankommt.

Was bedeutet das für Charaktertod als Technik? Ich halte es für schwierig von Vornherein aus Konsequenzgründen Charaktertod Ja oder Nein? in der Spielrunde festzuhalten, da die Entscheidung für einen (befriedigenden) Charaktertod immer nur situativ getroffen werden kann. In beiden Fällen halte ich den Charaktertod als Regelabsolutum oder SL-gesteuerte Notwendigkeit immer für ein schlechtes Mittel zur Erzeugung von Spannung. Im herausforderungsorientierten Spielmodus würde mir das Fehlen eines Sicherheitsnetzes nicht gefallen, da ich nicht in der Lage wäre, meine Entscheidungen zu korrigieren, aus ihnen zu lernen und so meine Spielfähigkeiten zu verfeinern (es sei denn, ich spiele ein Spiel über einen wirklich, wirklich langen Zeitraum und gerate unter selben Voraussetzungen in . Im narrationsorientierten Spielmodus würde mir der Mangel an Kontrolle und das hier eher negativ belegte Gefühl der Sorge sauer aufstoßen. Konsequenz ist nicht Spannung. Und einen Charaktertod zu akzeptieren aufgrund eines Gruppenvertrags ist etwas anderes, als ihn zu begrüßen. Ich gehe sogar so weit, zu behaupten, dass niemand einen Charaktertod begrüßt, wenn er nicht die volle Kontrolle über ihn hat. In beiden Fällen steht jedenfalls der Leistungsdruck - jetzt vollkommen ohne Wertung gesagt. Aber der Spannungsbonus dürfte gering sein oder vollkommen als von der erzählten Spielwelt losgelöst betrachtet werden.

Puh, der Gedanke war klarer, als ich zu schreiben begonnen habe - ich habe mich etwas verrannt. Im Zweifelsfall soll der Beitrag zwei Dinge zu begründen suchen:

1. Mögliche Charaktertode im Gruppenvertrag festzuhalten ist problematisch, weil Charaktertode erst situativ wirklich von Bedeutung sind
2. Mögliche Charaktertode erhöhen nur gering die Spannung, dafür die Herausforderung und die Sorge - und damit verbunden ggf. auch die Frustration

Eine intelligente Lösung für das Dilemma bieten übrigens teilweise moderne Systeme aus dem Alternativ- oder Indiebereich. Ich möchte hier FATE erwähnen, was über Konsequenzen dem Spieler die narrative Kontrolle gibt, wie weit ein Konflikt und damit auch ein Kampf überhaupt eskalieren kann. Auch sind Charaktertode nicht die einzige Möglichkeit, harte Konsequenzen für scheiternde Charaktere abzubilden - den narrativen Spieler wird die Aussicht auf den Verlust einer Stadt oder eines Angehörigen des Charakters sicher (und ohne Sorge) emotional treffen - und der herausforderungsorientierte Spieler kommt bei der Aussicht auf ein verlorenes Auge oder eine abgetrennte Hand mit entsprechenden wertetechnischen Modifikationen ins Schwitzen.

Soweit dazu. Jetzt könnt ihr diesen Beitrag zerreißen!  ;D

*Möglicherweise sind auch Mischungen zwischen den beiden Ansätzen möglich. Ich glaube ja, dass das situativ ist, weil sich diese Haltung innerhalb einer Spielsitzung fließend ändern kann.
**Ja, klingt nach GNS. Den Sim-Ansatz würde ich aber auch auf Fall 2 beziehen, nur dass hier nicht Herausforderung, sondern Konsequenz der treibende Faktor ist. Für das emotional investment gilt dasselbe.
***Es ist denkbar, dass ein Spieler seinen eigenen SC weniger mag als einen anderen SC oder gar einen NSC. Das ist glaube ich hauptsächlich dann der Fall, wenn man den eigenen Charakter aus Spielperspektive betrachtet und als Avatar in der Spielwelt und nicht als Identifikationsfigur begreift. Dass ein NSC für einen Spieler der Protagonist der Geschichte ist, dürfte trotzdem eher selten sein.
Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

Offline korknadel

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #1 am: 27.10.2011 | 11:30 »
Nur eine Randnotiz: In WFRP3rd werden Krankheiten sehr schön eingebunden und sind in mehrfacher Hinsicht hässlich, da sie allerlei Mali mit sich bringen, den Gebrauch von Talents einschränken, nur schwer wieder zu kurieren sind, sich leicht verschlimmern und schließlich zum Tod führen können (zumal, wenn man mit den ganzen Einschränkungen in einen Kampf zieht ...).

Was die Herausforderung und Sicherheitsnetz angeht: Du meinst, dass man nur wegen des Sicherheitsnetzes die Chance hat, zu lernen. Aber was, wenn es nicht taktisches Versagen war, was zum Tod führte, sondern Würfelpech? Ich glaube, dass ein nicht zu vernachlässigender Teil der Charaktertode auf Würfelpech hinausläuft.

Auch verstehe ich Deine Trennung von Sorge und Spannung nicht so ganz. Wahrscheinlich meinst Du den Kitzel, den man bei manchen Filmen hat, wenn es brenzlig wird, wo man aber weiß, dass am Ende alles gut wird? Aber das hat mit der Charakterrolle auch nichts zu tun, sondern läuft auf der Betrachter-Ebene ab. Die Sorge um einen Charakter lässt sich doch aber bestens auch auf die Rolle übertragen. Die Sorge des Spielers spiegelt die Angst des Charakters. Und was daran nicht spannend sein soll, wenn ein Charakter mit Angst vor dem Tod in einen Kampf geht, weiß ich auch nicht.

Aber wahrscheinlich habe ich das -- wie so manches im Theorie-Board -- einfach nicht recht verstanden und durchdrungen.
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Offline Reed

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #2 am: 27.10.2011 | 12:09 »
Auf einer persönlichen Ebene stimme ich dir zu. Ich brauche die Möglichkeit des Charaktertods nicht zur Spannungerzeugung und sie bedeutet für mich eher Sorge. Ich akzeptiere ihn nur wegen des Arguments mit der Glaubwürdigkeit. Ich bin aber auch wohl ein Musterbeispiel für den narrativ orientierten Spielertyp, den du beschreibst, und ja, ich finde den FATE-Mechanismus toll.

Allerdings, wenn man tatsächlich eine gamistischere Spielweise hat, kann ich schon nachvollziehen, dass einem die Möglichkeit des Charaktertods einen Extra-Kick gibt. Deine Unterscheidung zwischen  "Herausforderung" und "Spannung" sehe ich nicht wirklich - das eine bedingt dann wohl das andere. Die Spannung kommt  eben nicht aus dem emotional investment in den Charakter, sondern durch den höheren Einsatz - wie bei Wettkämpfen, wo man 'rausfliegen' kann, oder auch beim Glücksspiel.

Bei dem Vergleich mit dem Reload ist mir nicht ganz klar, worauf du rauswillst. Meinst du, Computerspielkämpfe werden durch das Reload spannender? Weniger spannend? Außerdem kann man beim Rollenspiel insofern reloaden, als man sich einen neuen Charakter machen kann. Das ist ja das, was normalerweise nach einem Charaktertod geschieht. Der betroffene Spieler ist nicht komplett draußen, sondern hat nur eine Unterbrechung und Umstände durch das Bauen und Einführen eines neuen Chars (der oft schwächer ist als der alte - das ist die gamistische 'Strafe').

Also ich würde sagen, deine These gilt zwar für mich, aber nicht objektiv und grundsätzlich.

Achamanian

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #3 am: 27.10.2011 | 12:29 »
Ich kann ebenfalls diese scharfe Trennung zwischen "Spannung" und "Sorge" nicht nachvollziehen. Ich denke sehr wohl, dass die Möglichkeit des Charaktertods Spannung erzeugt, nicht prinzipiell, wohl aber in einer Kampagne, bei der unter den Spielern ein entsprechender Konsens und eine entsprechende Spielweise herrscht.

Der Knackpunkt, wo du in meinen Augen mit deinem Modell zu sehr vereinfachst und einengst, Jiba, ist der, dass du "(melo-)dramatisch" und "narrativ" zusammenfallen lässt. Ein Charaktertod muss eben nicht in jeder Geschichte möglichst irgendwie "cool" sein, nach welcher Maßgabe auch immer, zumindest nicht in dem Sinne, dass er den Charakter sinngebend "abrundet". Er kann auch einfach für die Kampagne cool sein, weil mein sieht, dass selbst ein altgedienter Gefährte mal mir nichts, dir nichts abkratzen kann. Ups. Wenn man so eine Geschichte will, ist das toll und spannend.
Wie Korknadel schon schreibt, würde ich abgesehen davon die Sorge als Spannung sehen: Wenn ich mit meinem Charakter um sein Leben bangen, dann wäge ich sehr viel genauer ab, ob ich es aufs Spiel setze, und das führt unabhängig davon, ob man um ein Königreich oder nur um einen Sack Gold kämpft dazu, dass jeder Kampf für sich bedeutender wird.

Letztlich bleibt auch noch das persönliche Argument: Für mich ist es spannender, wenn der Charakter unerwartet sterben kann. Ich mag das.

Offline Terrorbeagle

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #4 am: 27.10.2011 | 12:44 »
Erstmal: Respektbekundung für die hier dargebotene Argumentation. Ich teile sie zwar nicht in allen Punkten, aber das Argument an sich wird stringent dargelegt und der Gedankengang scheint wohl überlegt. Das allein kann ich nur gut heißen, obwohl ich inhatlich nur wenig mit den Schlußfolgerungen übereinkomme, da ich die Ausgangsthese für, nun ja, falsch halte.
Das Problem, das ich in weiten Teilen mit dieser Argumentation habe, ist die automatische Annahme, dass der normale Mitspieler im Grunde seines herzens wie ein rohes Ei behandelt werden will:

Wir nehmen beim Rollenspiel entweder die Videospiel-Rezeptionshaltung an oder die Narrativ-Rezeptionshaltung ein, denke ich. Wir können Rollenspiel als Narrativ (Fall 1) begreifen oder als (verkapptes Video)-Spiel (Fall 2).

Ich glaube, dass diese Entweder-Oder Mentalität in der Regel falsch ist, sondern dass viel mehr beide ASpekte auftreten, aber selbst dabei nicht exklusiv sind, sondern nur Bestandteile eines eigenständigen Rollenspielstils darstellen.
In einem Punkt hast du glaube ich recht: Der Tod eines Charakters an sich ist nicht automatisch spannend. Es ist allerdings in aller Regel ein dramatisch und emotional aufgeladener Moment, der zum Einen wesentliche Ansätze für die Charakterisierung der Überlebenden bietet und dementsprechend Auswirkungen und Impact haben sollte. Dementsprechend ist der Tod eines Charakters eher ein Mittel zum Erzeugen von Drama, und als solches schwer zu überbieten (wobei auch hierbei gilt, dass es sich mit der Zeit abnutzt).
Hinzu kommt, dass ich dir in dem Punkt, dass die Bedrohung eines Charakters unter bestimmten Umständen nicht spannend sei, für weitgehend falsch halte. Der tatsächliche Tod eines Charakters ist dann nur die konsequente Fortführung dieser Drohung, als dass die Handlungen des Charakters eben Konsequenzen haben. Wer A sagt, muß auch B sagen. Der Verzicht auf Konsequenzen ist nicht bloß inkonsequent, er ist schwach und vor allem selbstbetrügerisch, da durch den Verlust der Möglichkeit des Scheiterns (und Draufgehen gehört in aller Regel ziemlich definitiv zum Scheitern) auch die Möglichkeit des Gewinnens in ihre Bedeutsamkeit geschmälert wird, weil der so geschenkte Triumph durch den Automatismus entwertet wird.


Würde ich tatsächlich jedes Mal, wenn ich sinnbildlich Lehrgeld bezahlen würde, tatsächlich Geld verteilen, wäre ich arm.

Achamanian

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #5 am: 27.10.2011 | 13:03 »
Ich muss auch noch mal bekräftigen, dass die argumentative Darlegung hervorragend ist, die Schlussfolgerungen sind alle nachvollziehbar, allein die Ausgangsthesen treffen eben nur auf einen sehr kleinen Ausschnitt möglicher Spielweisen zu.

Für mich persönlich führt die Garantie, dass Charaktere nur sterben, wenn das irgendwie "cool" ist, bei vielen Runden eher zu Desinteresse. Das hat zumindest bei mir eher wenig mit Gamismus zu tun und schon mehr mit Narrativismus: Zu den reizvollen Elementen des Rollenspiels gehört ja gerade, dass die "Geschichte" unabhängig vom Willen irgendeines der Beteiligten völlig unerwartete Wendungen nehmen kann, dass Spieler und SL manchmal von der Eigendynamik der Ereignisse und der Macht des Zufalls überrascht werden. Charaktertode gehören da für mich dazu. Die spannende und wechselhafte Geschichte ergibt sich dann im besten Fall daraus, dass die Spieler auf diese Unwägbarkeiten wieder sinnstiftend reagieren und dabei eventuell gezwungen sind, die Geschichte in eine neue Richtung zu lenken.

Dass jeder prinzipiell schon im Vorhinein "weiß" oder "spürt", wann ein Charaktertod cool ist, halte ich da einfach nur sehr begrenzt zutreffend, nämlich dann, wenn man einen "melodramatischen" Erzählstil bevorzugt (klingt jetzt abwertend, ich meine aber einfach nur: einen Erzählstil, bei dem emotional besetzte Erwartungen zuverlässig eingelöst werden, und zwar so, dass die emotionale Wirkung möglichst stark und eindeutig ist).

Offline Merlin Emrys

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #6 am: 27.10.2011 | 13:07 »
Danke für das Angebot, den Beitrag zu zerreißen. Aber ich will eigentlich gar nicht :-) .
Ich kann die Trennungen sehr gut nachvollziehen, aber ich denke, daß der "idealtypische" Fall 2 unter Rollenspielern so gut wie nicht auftaucht, und die, die sich eher auf der entsprechenden Seite finden, nicht so weit gehen würden. Diejenigen, denen die Spielfigur wirklich egal ist, würden schätzungsweise das ganze Drumherum des Rollenspiels für "zu viel Kram drumherum" halten und eben einfach etwas anderes spielen.

Bezogen auf die Spieler, mit denen man es zu tun hat, stimme ich zu, daß sie nicht "idealtypisch", also "Entweder - oder" sind, sondern mal mehr so und mal mehr anders. Sie können vielleicht sogar mal einem Charaktertod etwas abgewinnen, wenn er in ihr Konzept passt und ihr Bild vervollständigt, statt es unfertig zu lassen. Aber dann finden sie es vermutlich immer noch eher trotz des Charaktertodes okay anstatt wegen.

Dem Punkt, den Terrorbeagle und Rumspielstilziel anführen, würde ich aber auch noch Beachtung schenken wollen: Es gibt ein Gefühl des "berechtigten Stolzes", wenn man etwas erreicht hat, was nicht selbstverständlich ist. Und andererseits: Ich glaube, es war Beral, die mal darauf hingewiesen hat, daß bei einem "ausgewogenen" Spiel zwischen Charakteren und NSCs statistisch in der Hälfte der Fälle der Charakter anschließend beerdigt werden müsste und kaum ein Charakter mehr als vier, fünf Kämpfe erleben dürfte. Der Spielleiter muß also (edit wichtige Einschränkung: außer bei "dark-and-gritty-Spielen", bei denen in der Tat eine Chance besteht, in seinem Leben maximal einmal wirklich um sein Leben gekämpft zu haben) in jedem Fall "betrügen": Entweder, indem er die Gegner schon im Vorfeld so schwach plant, daß die Charaktere fast "jeden"falls überleben können, oder, indem er erst im Kampf dafür sorgt, daß die "richtige Seite" gewinnt, oder indem er dafür sorgt, daß die Charaktere "doch nicht" sterben. Der Betrug ist nur mehr oder weniger zeitlich nah am Spielmoment und mehr oder weniger offensichtlich. Und da zumindest ich mir über diesen Betrug ohnehin im Klaren bin, bevorzuge ich das Spiel mit offenen Karten, d.h.: der Absprache, daß Charaktere nur im Einverständnis der Beteiligten sterben. Das läßt die Option offen, daß doch mal einer stirbt (weil er nun wirklich zu dumm gehandelt hat oder weil es dramaturgisch passt), aber im Regelfall die Sorge einem nicht die Spannung verdirbt.
« Letzte Änderung: 27.10.2011 | 13:12 von Merlin Emrys »

LöwenHerz

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #7 am: 27.10.2011 | 13:27 »
Hast Du in diesem Zusammenhang mal über die "Ja, aber..." - Regel nachgedacht?

Du schreibst, dass ein ausgefeiltes Sicherheitsnetz für den Spielspaß für Dich elementar wichtig sei. Und das bekräftige ich für mich und meine Gruppe ebenfalls.
Es geht um langfristige Kampagnenplanung, irre Charakterhintergründe und dergleichen mehr.
Ein drohender, unwiderruflicher Tod eines Charakters ist dann eher frustrierend, denn spannungsfördernd.

Die Kunst ist hier, die Balance zwischen Gefahr und der Selbstverständlichkeit des Überlebens zu wahren.
"Ja, aber..." hilft da 1a weiter :)


Nur mein kurzer Exkurs aus diesem Thema.

Offline Oberkampf

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #8 am: 27.10.2011 | 13:51 »
Erstmal auch von mir vielen Dank & großes Lob für die tolle Argumentation.

Grundsätzlich finde ich deine Unterscheidung zwischen (narrativ-dramaturgischer) Spannung und Herausforderung/Sorge nicht schlecht. Persönlich gehe ich aber schlicht davon aus, dass es zwei Arten der Spannug gibt: die narrative Spannung und die spielerische Spannung, und das verschleiert dein Begriff Sorge meiner Meinung nach. In einem Brettspiel entsteht infolge der Züge und Würfelergebnisse Spannung - nicht vordringlich Sorge um die Niederlage, sondern spannungsvolle Erwartung darauf, was passiert, wenn die eigene Strategie/Taktik aufgeht oder scheitert oder vom Würfelglück begünstigt/zerschossen wird. Das Rollenspiel kann (und soll meiner Meinung nach) beide Formen der Spannung bedienen: die spielerische Spannung und die dramaturgische Spannung.

Aus dramaturgischer Sicht ist der Charaktertod nicht unbedingt, aber möglicherweise ein spannungserzeugendes Element. In der Spielwelt geschieht etwas bedeutendes, das (hoffentlich) Folgen nach sich zieht und die Dynamik der Spielwelt beeinträchtigt. Z.B. solche Sachen wie: Wie reagieren Verbündete auf den Tod des SC? Wie reagieren Institutionen (Orden, Sekten)? Der Verlauf wird unvorhersehbar, die Auflösung steht noch ungespielt aus - das ist durchaus spannend. Für den Spieler, dessen Charakter gestorben ist, wird dieses Spannungsgefühl sicherlich erstmal vom Frust überlagert, aber das heißt nicht, dass ein Charaktertod keine für die narrative Spannung interessanten "Weichen" (im Abenteuerverlauf) bereitstellt.

Hinsichtlich der spielerischen Spannung ist der Charaktertod nur eine von vielen Möglichkeiten. Das Problem ist allerdings meiner Ansicht nach deine Annahme, dass Spiel und Herausforderung identisch sind. Diese Sichtweise teile ich nicht oder zumindest nur sehr begrenzt, speziell bei Spielen, in denen der Zufall (Würfelwurf) maßgebliche Auswirkungen auf das Ergebnis hat. Rollenspiel ist eben (von einigen würfellosen Ausnahmen abgesehen) kein Mikado oder Schach, sondern ein auch glücksbasiertes Spiel. (Ich habe übrigens große Zweifel daran, dass eine 100%ig saubere Herausforderung der Spieler im RPG möglich ist - ich halte das für eine Unterschätzung der sozialen Unterströmungen, die in jeder Rollenspielrunde wirksam sind.) Würde das RPG allein als Herausforderung gesehen und das Charakterspiel vorwiegend von Sorge um diesen Charakter getragen, bestände die angemessene Spielart darin, Abenteuer nach Möglichkeit zu vermeiden (denn der Charakter könnte darin ja umkommen).
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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #9 am: 27.10.2011 | 15:37 »
Ich habe übrigens große Zweifel daran, dass eine 100%ig saubere Herausforderung der Spieler im RPG möglich ist - ich halte das für eine Unterschätzung der sozialen Unterströmungen, die in jeder Rollenspielrunde wirksam sind.

Care to elaborate? Gern auch in einem anderen Strang?
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Zitat von: korknadel
Rollenspiele sollen bei Dir im besten Fall eine gewisse Schwermut, Resignation und Melancholie hervorrufen.

Zitat von: Dolge
Auf Diskussionen, was im Rollenspiel realistisch ist und was nicht, sollte man sich nie unter gar keinen Umständen absolut gar überhaupt vollständig nicht einlassen.

Offline YY

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #10 am: 27.10.2011 | 16:37 »
Um mal bei Filmen und Videospielen zu bleiben:

Ein ("Hollywood"-)Film nach Schema F ist so gesehen auch nicht spannend - der Verlauf ist ja absehbar.
Was so einen Film gut oder schlecht macht, ist nicht das Ziel, sondern der bis dahin gegangene Weg - und das kann man in sehr ähnlicher Weise im Rollenspiel ohne Charaktertod und ohne echte Möglichkeit des Scheiterns abhandeln.


Dann haben wir die Variante ähnlich zu den gängigeren Videospielen:
Statt Quicksave oder Speicherpunkten bietet einem das Rollenspiel Schicksalspunkte (oder wie auch immer die Dinger grad heißen), um sich doch noch mal aus der Affäre ziehen und ein Scheitern abwenden zu können.
Ob die Begrenzung dieser Punkte tatsächlich echt ist, ob also "wenigstens" mittel- und langfristig ein Scheitern möglich ist, oder ob sie de facto immer in ausreichendem Maße nachgefüllt werden, ist mMn eine ziemlich schwammige Geschichte - das hängt dann wieder von der jeweiligen Gruppe ab und kratzt an der Tür zu Variante 3.


Als drittes (und im obigen Videospielvergleich vernachlässigt) haben wir noch die Videospiele mit sog. "Permadeath", bei denen bei einem Scheitern der Charakter unspielbar wird bzw. die jeweiligen Spielstände (die man dann auch eigentlich nur noch für Spielpausen braucht) automatisch gelöscht werden etc. pp..
Beispiele wären die zahlreichen rogue-likes und ihre geistigen Nachfolger; einer der bekanntesten Vertreter dürfte der Hardcore-Modus von Diablo 2 sein.

Und da spaltet sich - wie zu erwarten - die Spielerschaft in ähnlicher Weise wie beim Rollenspiel:
Für die einen ist der Reiz daran überhaupt nicht nachzuvollziehen und dem Rest macht es einen Heidenspaß.

Der Grundgedanke dahinter ist der (wie von Terrorbeagle schon angesprochen), dass nur eine echte Möglichkeit des Scheiterns echte Triumphe ermöglicht - wobei das meiner Wahrnehmung nach im P&P gegenüber den entsprechenden Videospielen deutlich abgeschwächt ist.
Das muss dann eigentlich auch nicht zwingend ein Charaktertod sein; auch andere Formen des Scheiterns (die möglicherweise auch den SC spielbar belassen) sind denkbar.

Problematisch an der Variante mit SC-Tod ist eigentlich nur, dass diese Spielweise in manchen Spielerkreisen und/oder Systemen eher zufällig, in jedem Fall aber nicht von allen gewollt, zum default geworden ist.

Es gibt aber zumindest eine Gruppe von Spielern, denen es um so mehr Spaß macht, wenn es kein Sicherheitsnetz gibt.
Dass man nicht immer bzw. nicht ausschließlich in dieser Form spielen will, ist wohl auch klar - gerade nach einer Niederlage.

Aber das hängt mMn ausschließlich von der Persönlichkeit des Spielers ab und nicht davon, dass die Spannung bei dieser Spielform nicht gegeben wäre.
Herausforderungen sind per se spannend.


Abschließend noch zwei freistehende Kommentare zu Sachen, die mir aufgefallen sind:
- und der herausforderungsorientierte Spieler kommt bei der Aussicht auf ein verlorenes Auge oder eine abgetrennte Hand mit entsprechenden wertetechnischen Modifikationen ins Schwitzen.

Das ist aber unterm Strich nichts großartig Anderes - gerade herausforderungsorientierte Spieler überlegen nach Eintreten so einer Konsequenz meiner Erfahrung nach ziemlich früh, ob sie nicht mit einem neuen Charakter besser fahren.
Ein endgültig vernichteter SC ist per definitionem jenseits der "Unspielbarkeitsgrenze".
Bei einem lediglich geschädigten SC hängt das vom Spieler ab und wird über kurz oder lang zu ähnlichen Konsequenzen führen - neuer SC mit zugehörigem Aufwand.

Würde das RPG allein als Herausforderung gesehen und das Charakterspiel vorwiegend von Sorge um diesen Charakter getragen, bestände die angemessene Spielart darin, Abenteuer nach Möglichkeit zu vermeiden (denn der Charakter könnte darin ja umkommen).
Der Knackpunkt daran ist, dass herausforderungsorientiertes Rollenspiel nur sehr selten (völlig) von Sorge um den Charakter getragen wird, sondern der Charakter "höherwertige" Motivationen hat, die ihn zwingen, sich in Gefahr zu begeben.

Ein nicht in relevanter Weise handelnder Charakter ist schließlich uninteressant - was natürlich einige Spieler nicht davon abhält, die Paranoia-Schiene zu fahren und sich aus Allem raushalten zu wollen  ::)
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Offline Blechpirat

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #11 am: 27.10.2011 | 16:50 »
Ich habe mal überlegt, ob es Spiele ohne Sicherungsnetz gibt

- (a)d&d hat entsprechende Zauber, die einen Char wiederbeleben können - aber nicht bei TPK
- FATE, 7. See hat den Charaktertod durch Regeln quasi freiwillig gemacht
- Savage Words etc hat Bennies, um eine gewisse Kontrolle zu ermöglichen
- Cyberpunk 2020 hat ein LUCK-Attribut, aber das kann nur vorher eingesetzt werden und ist daher nicht vergleichbar - hier kann man also ganz erfolgreich sterben (tatsächlich reichen schon Verwundungen aus, da man kaum noch spielbare Chars erhält)

Gibt es noch etwas "Pureres" in Sachen Charaktertod?

- Bei Hollowpoint wird man für den Tod sogar belohnt.

Taschenschieber

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #12 am: 27.10.2011 | 16:57 »
Die Bennies bei SaWo sind aber irgendwie auch nur aufgebohrte Lebenspunkte.

Offline mat-in

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #13 am: 27.10.2011 | 17:10 »
Vielleicht könnte man damit sogar Batterien aufladen, wenn genug Spannung über einen ausreichenden Zeitraum...

Ich finde ein Charaktertod sollte kein Stil- oder Erziehungsmittel sein sondern als Konsequenz von Handlungen oder glaubwürdigem Zufall in einer konsistenten Spielwelt auftreten.

"Boah, du nervst mit dem Kugelschreiber geklacker! Deinem Charakter fällt ein Nashorn auf den Kopf!!!" beendet zwar das Kugelschreiber klackern und ist auch kurz lustig, aber... nenene.  :q

Offline YY

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #14 am: 27.10.2011 | 17:12 »
Die Bennies bei SaWo sind aber irgendwie auch nur aufgebohrte Lebenspunkte.

Und sie ermöglichen (neben ein paar anderen Anwendungen) Re-rolls.

Gibt es noch etwas "Pureres" in Sachen Charaktertod?

Klar - z.B. DSA.
Für die vierte Edition kann ich nicht sprechen, aber in den Vorgängern gab es keine Bennies o.Ä., um sich noch mal zu retten, und mit Wiederbelebung war meistens auch nichts. Da war DSA eigentlich immer ziemlich geradlinig und unerbittlich - aber damals war das eben mit dem Charaktertod einfach so  :P


Millennium´s End kennt settingbedingt keine Magie und hat IIRC spielmechanisch keinerlei Sicherungsnetze.

Ähnliches kann man mit GURPS erreichen, und der default ist da auch ziemlich "ungesichert"*.
Sicherungsnetze und Rettungsmechanismen sind zwar optional vorhanden, aber man muss sich eben bewusst dafür entscheiden und sie rein nehmen statt dagegen zu sein und sie weg zu lassen.

*Settingbedingte Magie mal außen vor.


Es gibt sicher noch jede Menge weitere Systeme, die man hier aufzählen könnte, bei denen die Sicherungsnetze zumindest sehr schwach ausgeprägt sind - wenn man sie überhaupt so nennen kann.
Corporation wäre so eins - da gibt es zwar die Möglichkeit, eigene Würfe durch das Corp-eigene Bennie-Äquivalent zu beeinflussen; am Charaktertod ändern diese recht kleinen Boni aber letztlich nichts.

Fazit:
Ja, es gibt Rollenspiele mit sehr schwachem und auch ganz ohne Sicherungsnetz für die SCs.
Bei den älteren war das früher halt so.
Einige neuere wollen es nicht anders - und die Retro-Klone fallen dazwischen  :P ;)
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Taschenschieber

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #15 am: 27.10.2011 | 17:13 »
"Boah, du nervst mit dem Kugelschreiber geklacker! Deinem Charakter fällt ein Nashorn auf den Kopf!!!" ist vor allem mal kein Spannungserzeuger, sondern ein Grund, die Runde zu verlassen. Und das ist auch nicht im Ansatz das, worum es hier geht.

Achamanian

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #16 am: 27.10.2011 | 17:16 »
[quote author=Blechpirat link=topic=70990.msg1425906#msg1425906 date=1319727

Gibt es noch etwas "Pureres" in Sachen Charaktertod?

- Bei Hollowpoint wird man für den Tod sogar belohnt.
[/quote]

Bei Fiasco darf nach nach dem Charaktertod sogar weiter mitspielen, ohne den Charakter wechseln zu müssen - aber ich denke, solche Indiespiele mit grundsätzlich anderen Mechaniken fallen hier raus. (interessant aber: In keinem mir bekannten Spiel gibt es eine so hohe Mortalitätsrate wie bei Fiasco, obwohl man dort ziemlich weitgehend selbst entscheiden darf, ob der Charakter stirbt. Aber ist ja auch nur ein One-Shot-Spiel.)

Ansonsten haben doch sehr viele Spiele keine offiziellen Sicherungsnetze: Die ganze RuneQuest-Familie tendenziell nicht (bin mir bei neueren Inkarnationen da nicht sicher), obwohl die ja durchaus recht tödlich ist. DSA an und für sich auch nicht (keine Wiederbelebung, heilen wird verdammt schwer, wenn der SC im Sterben liegt). Ars Magica hat nicht nur kein Sicherungsnetz, sondern ein System, bei dem es bei der Genesung zur Katastrophe kommen kann und man einfach Wochen später an einer Wunde stirbt!

Gerade bei älteren Systemen ist es doch eigentlich die Norm, dass kein Sicherheitsnetz existiert, zumindest nicht nach offiziellen Regeln. Früher bei Sturmbringer sind wir immer krepiert wie die Fliegen, bei Shadowrun war's auch nicht besser, und selbst bei DSA3 habe ich in einer Kampagne zwei hochstufige Charaktere verloren. Die Systeme sehen das laut Regeln eigentlich durchaus so vor ...

Offline mat-in

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #17 am: 27.10.2011 | 19:22 »
Ich glaube die allerwenigsten Spiele die ich öfter mal gespielt habe haben ein Sicherungsnetz... Warhammer Fantasy (fate points), Shadowrun (Karmawürfe) und die Schicksalspunkte (name fällt mir gerade nicht ein) aus Song of Ice and Fire würden mir da einfallen. Klone bei Paranoia? D&D Varianten mit Wiederbelebungszauber, was aber auch kein "regeltechnisches" Rettungsnetz im engeren Sinne ist. Vielleicht noch das ein oder andere Spiel mit Bennies und Co, aber die sind ja auch anderweitig einsetzbar und daher kaum ein reines Sicherungsnetz.

Cyberpunk2020? Da kann man schon bei moderaten Wunden am Ex-Wurf eingehen wenn man schlecht würfelt, ob man "glück" einsetzt muß man vor dem Wurf entscheiden. Harnmaster war ganz übel mit den Infektionen, bei Ars magika konnten die Genesungswürfe auch relativ spät schief gehen, hat die oWoD sowas dann erinner ich mich nicht dran? BluePlanet? WEG Starwars? SpaceGothic? MERS? ERPS? ... ich denke nicht.

Achamanian

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #18 am: 28.10.2011 | 11:54 »
BluePlanet? WEG Starwars? SpaceGothic? MERS? ERPS? ... ich denke nicht.

Bei MERS rutschte man ja schon mal auf einer unsichtbaren Schildkröte aus, brach sich dabei das Rückgrat und erlitt einen innerhalb von 24 runden tödlichen eingeklemmten Leistenbruch oder so.

Offline mat-in

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #19 am: 28.10.2011 | 12:32 »
Das war rol(l)master, da gab es sogar unterschiedlich große Schildkröten ;)

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #20 am: 28.10.2011 | 12:42 »
Das war rol(l)master, da gab es sogar unterschiedlich große Schildkröten ;)

Ich eiß, dass ein Assassinne in Rolemaster bei einem Fall aus einer Höhe von 2m zu Tode kommen kann.

Das war tatsächlich nicht spannungserzeugend.

Care to elaborate? Gern auch in einem anderen Strang?

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Achamanian

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Re: [JdT] Charaktertode als Spannungserzeuger
« Antwort #21 am: 28.10.2011 | 14:59 »
Das war rol(l)master, da gab es sogar unterschiedlich große Schildkröten ;)
[/quote
In MERS gab es die auf der Patzertabelle auch,ganz sicher, denn RM habe ich nie gespielt, an das Schildkrötengestolper erinnere ich mich allerdings lebhaft!